Früher war alles leichter – heute ist nur Stress?

Gerade habe ich durch Zufall eine Folge der US-Serie „Die Zwei“ von 1970 geschaut. Ich musste lachen angesichts der Einfachheit der ganzen Inszenierung. Ein bisschen erinnerte es mich an ein Kasperle-Theater. Ein Schlag mit der Pritsche auf den Kopf – bumm, fällt der Gegner um. Alles war so leicht, so fluffig, so unkompliziert. Im realen Leben erscheint mir hingegen alles sehr komplex, kompliziert, herausfordernd. Ständig muss man reagieren, Entscheidungen treffen, Neues lernen, sich zusammenreißen, sich umstellen. Kein Wunder, dass sich immer mehr Menschen überfordert fühlen. Was kann man nur tun, um nicht durchzudrehen?

Lass los

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay 

Zum Geburtstag habe ich eine Tarotkarte geschenkt bekommen: „Der Gehängte“. Diese Karte zeigt einen Menschen, der angenagelt und gefesselt mit dem Kopf nach unten hängt, nackt, mit geschorenen Haaren, in völliger Hilflosigkeit. Jeder Widerstand ist zwecklos. Die absolute Kapitulation.

Ich lese die Erklärung zu der Karte und diese fällt auf fruchtbaren Boden. Anscheinend schlummert eine tiefe Sehnsucht in mir: Die Sehnsucht danach, alles Wollen loszulassen. Mich einfach bedingungslos dem Leben hinzugeben. Doch ist das überhaupt möglich? Kann ich es schaffen, allen Widerstand loszulassen und alles anzunehmen, was mir begegnet? Und würde das heißen, dass ich als willenloser Dummkopf durchs Leben taumeln würde? Würde ich mich und meine Talente damit aufgeben?

Der einzige Weg?

Um mich herum sehe ich Menschen, die am Rand ihrer Belastbarkeit sind. Mütter, die nicht wissen, wie sie Familie und Arbeit vereinen können, ohne hysterisch zu werden; Frauen die daran verzweifeln, dass sie keine Mutter werden konnten; Menschen, die sich wertlos fühlen; Menschen die ständig unter Strom stehen; Menschen, für die sieben Stunden Schlaf ein seltener Luxus sind.

Es ist keine Einbildung, dass unsere Welt immer komplexer und herausfordernder wird. Kein Wunder, wenn in uns irgendwo die Sehnsucht schlummert, sich zu ergeben, einfach zu kapitulieren. Und nun überlege ich, ob das nicht – zumindest für mich persönlich – tatsächlich der nächste Schritt ist in meiner Entwicklung.

Jeder Widerstand ist zwecklos

Resilienz ist angeblich, wenn man alles annehmen kann, was passiert und ganz natürlich das Beste daraus macht. Da kommt mein Chef auf mich zu und fordert von mir eine Leistung, die ich unmöglich bis zum Feierabend bringen kann? Ich zucke die Achseln und sage ohne Groll „Sorry, das klappt nicht mehr. Ich mache auf jeden Fall pünktlich Feierabend“. Ich bin nicht verärgert, ich beurteile ihn nicht, ich stelle keine Anforderungen an das menschliche Verständnis – ich ergebe mich ohne Widerstand in die Situation. Auf eventuelle Drohungen reagiere ich friedlich. Ich gebe mein Bestes, doch wenn das nicht reicht, dann ist es halt so.

Vielleicht werde ich entlassen, vielleicht verliere ich Haus und Hof, vielleicht wird mich meine Familie verlassen, vielleicht werde ich verarmt und einsam durch die Straßen irren für den Rest meines Lebens.

Wenn ich jeden Widerstand aufgebe, bin ich frei. Wenn ich alles um mich herum annehmen kann, kann ich auch alles um mich herum liebhaben. Natürlich ist das kein Garant dafür, den Job, das Haus, die Familie und überhaupt irgendwas zu behalten – aber mal ehrlich, ist Erpressbarkeit so eine lohnenswerte Alternative zu Lockerheit? Oder sind Kampf und der Schwur, „bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen“, so ein heroisches Verhalten? Das Leben ist doch keine Netflix-Serie!

Schritt für Schritt

Ich weiß nicht was noch alles auf mich wartet in diesem Leben. Aber ich finde es ausgesprochen attraktiv, mich wie der Gehängte einfach zu ergeben. Wieder wie ein Kind fühlen, denken, sprechen und handeln können, das würde ich gern lernen. Wann nur bin ich damals zum Richter geworden? Irgendwann in der Grundschule? Oder in der Pubertät? Wann wurde ich zum Henker? Mit 18? Mit 30?

Ach, so wie Diogenes einfach nur noch das Leben genießen, und sei es nackt in einer Tonne, das möchte ich auf meine alten Tage noch lernen. Und alles lieb haben ohne Unterschied. Und aufhören, nach Kontrolle zu fahnden. Und hinnehmen, dass ich nichts Besonderes bin. Und mein Bestes geben, weil es mir Spaß macht, mein Bestes zu geben! So wie ein kleines Kind es tut bei allem, was es ausprobiert und spielt. Kinder sind Gläubige – einfach so. Frei von Ideologie und Weltanschauung. Einfach so. Mal gucken, was dann aus mir wird. Auf jeden Fall ein spannendes Experiment: Leben ohne Widerstand. Leben einfach so…

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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