Platons Höhlengleichnis und die digitale Filterblase

Vor wenigen Wochen erreichte mich die Mail eines Lehrers, der mich fragte, ob er einen Text aus den SteadyNews zum Thema „Filterblase“ für eine Prüfung verwenden dürfe. Und zwar bat er seine Schüler darum, anhand meiner Erläuterung die Internet-Filterblasen-Entwicklung mit Platons Höhlengleichnis in Verbindung zu bringen. Natürlich war ich ganz begeistert darüber und bat ihn, ob ich selbst die Prüfungsfragen erhalten könnte, um eine Beantwortung zu versuchen. Hier die Prüfungsfragen. so wie ich diese zugesandt bekam (danke nochmals dafür!)
 Lesen Sie die ersten beiden Abschnitte aus „Was ist eigentlich eine Filterblase“ bis hin zu „…Meinungen immer seltener eine Chance.“
  1. Erläutern Sie anhand des Textes den Begriff „Filterblase“ und die Folgen, die sich aus der Filterblase ergeben.
  2. Stellen Sie das Höhlengleichnis Platons dar und vergleichen Sie es mit dem Ansatz der „Filterblase“.
  3. Auf der Homepage der Süddeutschen Zeitung erschien am 12. Mai 2017 ein Artikel mit der Überschrift „Trump, gefangen in der Filterblase“. Zeigen Sie Konsequenzen auf, die sich ergeben können, wenn sich der US-Präsident in einer (nicht nur digitalen) Filterblase befinden sollte, und entwickeln Sie für Präsident Trump Möglichkeiten der Filterblase zu entkommen.

Teil 1: Erläutern Sie anhand des Textes den Begriff „Filterblase“ und die Folgen, die sich aus der Filterblase ergeben.

Gefangen in der Filterblase

Meine Meinung zur „Filterblase“ hat sich seit dem Verfassen des Beitrags (vor zwei Jahren) nicht viel geändert. Doch ich spüre, dass ich mich durch den ständigen Umgang mit den von Google, Facebook und Co vorgefilterten Inhalten weiterentwickelt habe. War ich zunächst ärgerlich über die Fremdbestimmung, spiele ich heute damit. Ich habe gelernt, die Algorithmen ein Stück weit zu beeinflussen, indem ich bewusst Tools, Keywords, Likes, Shares und Retweets einsetze, um meinen maschinengesteuerten Filter zu steuern. Bei YouTube funktioniert das noch nicht so gut, doch bei Facebook und Google bin ich ganz zufrieden mit den Ergebnissen.

Was meine eigene Auswahl an Content betrifft, bin ich ziemlich stolz auf meine Filterblase. Diese ist vergleichbar mit einer eigenen Hausbibliothek, die mit viel Liebe und Sorgfalt wächst und sich gestaltet. Ich wähle immer professioneller aus, welchen Zeitungen, Blogs und Menschen ich folge. Ich erkenne immer besser anhand von Überschriften und Teasern, ob ich Texte bereichernd finde. Ich blende immer schneller aus, wenn es sich um Clickbaiting (Versprechen mit nichts dahinter) handelt – und ich „bestrafe“ Medien, die gern Clickbaiting zur Steigerung der Klickrate verwenden, mit Nichtbeachtung. Tag für Tag sortiere ich Nepper, Schlepper, Bauernfänger aus meiner Filterblase aus und reduziere meinen Lesestoff auf Inhalte, die meinem eigenen Wertesystem entsprechen: Respekt; lösungsorientiertes Streben; Achtung für alle lebenden Wesen und den Kosmos.

Meine Netzwerkkultur hat sich zunehmend von Twitter hin zu Facebook hin verschoben. Dadurch, dass ich meine Filterblase bei Facebook so aufgeräumt habe, dass ich (trotz 1.500 Kontakten) mit eben solchen Menschen in Verbindung bin wie oben beschrieben, können wir zugewandt und intelligent über alle politischen, philosophischen und wissenschaftlichen Themen diskutieren, obwohl wir natürlich nie einer Meinung sind.

Da wird zugehört, nachgedacht, höflich und respektvoll kommentiert, wenn Donald Trump, Angela Merkel, Richard David Precht, Gunter Dueck und andere Einflussreiche reden und schreiben. Ich lerne viel von den Kontakten meiner Filterblase und kann mich dank ihrer Impulse ständig weiterbilden. Ich lerne neue Gebiete kennen und staune darüber, wie viele Wunder und Wissensgebiete es auf der Welt gibt. Ich lerne und lerne und lerne – reine Unterhaltung ist mir so langsam ein Gräuel, weil es so viele spannende Dinge gibt auf der Welt!

Fazit: Die Digitalisierung mit der Möglichkeit, weltweit und in Echtzeit Wissen, Inspiration und Meinung zu filtern, ist ein noch nie dagewesener Quell an lebenslangem Lernen. Ob in Regionen mit wenig Bildungsbudget, auf dem abgeschiedenen Land oder in konservativen Vergangenheits-Welten – jeder Mensch hat die Chance, sich seine Welt Stück für Stück zu formen, zu erweitern und neue Kulturen hinzunehmen. Das verbindet und Menschen auf dem ganzen Planeten und ermöglicht echte Innovation. Wir erhalten die Macht, selbstbestimmt und intrinsisch motiviert Intelligenz und verbindendes Mitgefühl zu lernen, unabhängig von Elternhaus und Erziehung.

Frage 2: Stellen Sie das Höhlengleichnis Platons dar und vergleichen Sie es mit dem Ansatz der „Filterblase“.

Sehnsucht nach der „echten Welt“ – sich nur einmal umwenden können, das wäre schön…

Platon zeichnet ein Bild des Menschen auf der irdischen Gegenstandswelt: Wir alle, (auch er selbst) sind gezwungen, uns mit den Bildern an der Wand der Höhle abzufinden. Wir sind alle Gefangene dieser Bilder, sind gefesselt an unsere Erfahrungswelt und unsere Erinnerungen – wir denken und urteilen wie konditionierte Hunde. Wir urteilen permanent über Dinge, die wir nicht kennen, da wir nur ihre Abbilder wahrnehmen – und nicht einmal die Menschen, die diese Gegenstände tragen, sehen – wir wissen nicht einmal etwas von ihrer Existenz! Was für ein primitives Leben ist doch dieses irdische…

Sollte jemand die Chance haben, sozusagen aus dem Leben nach dem Tod oder vor der Geburt wieder zu den irdischen Menschen zurückzukehren und ihnen von der „Wahrheit“ hinter den Schattenbildern zu erzählen, wird er natürlich für verrückt gehalten. Oder er wird durch seine schöne Art zu erzählen zum Guru, Propheten oder Gott erhoben. Doch egal, nach einiger Zeit hat er sich dem irdischen Höhlenleben der Schattenbilder wieder angepasst und verliert seine lebendigen Erinnerungen an die Wirklichkeit.

Manchmal erhaschen wir armen Menschen einen Hauch dieser Wahrheit durch Imagination, Inspiration und Intuition. Das sind heilige Momente, die uns glücklich machen. Doch nur Urteilsfreiheit (auch gegenüber Phänomen wie der Filterblase 😉 ) gibt uns die Grundlage dafür, ein Stück Lebendigkeit und Wahrhaftigkeit zu erkennen. Viele spirituelle Wertegemeinschaften versuchen, durch Meditations-Praktiken diese Fähigkeiten zu schulen und zur Meisterschaft zu bringen. Innerhalb unseres irdischen Lebens die Wirklichkeit hinter der Höhle wahrnehmen zu können, wird im Buddhismus Erleuchtung genannt.

Die Filterblase ist eine technische Erweiterung der bisherigen Höhlenbilder. So wie schon der elektrische Strom und die technischen Übertragungsmedien wie Radio, Telefon und Fernsehen eine Erweiterung der kleinen Höhlenschattenbilderwelt gebracht haben, ist nun das Internet eine weitere technische Revolution, die uns arme, gefesselten Menschen vor große Herausforderungen stellt. Wie immer ist die Frage, wie der Einzelne Fluch und Segen einer Innovation für sich gewichtet, abhängig von Werten und Erziehung. Trotz der enormen Wohlstands- und Lebenszeiterweiterung dank des elektrischen Stroms gibt es immer noch Menschen, die die Industrialisierung ablehnen – trotz der Bildungszunahme und Blickerweiterung dank des Buchdrucks und der Massenmedien gibt es immer noch Menschen, die sich nach der Zeit zurücksehnen, in denen die Menschen in ihren Regionen abgeschieden vom Weltgetriebe lebten.

Jede Erweiterung von Informationszugang und Kommunikationserweiterung stellt den Menschen vor Herausforderungen, da die Flut bewältigt werden muss. Täglich strömen mehr als 10.000 Bilder und Botschaften auf uns ein – viele davon haben nur einen Auftrag: Sie sprechen den gierigen, nimmersatten Konsumenten in uns an, der sich mit Materie (Höhlen-Schattenbildern) umgeben will, die ihm rauschartige Hormonausschüttungen verschaffen. Sucht nach starken Gefühlen, nach elektrisierenden Emotionen, nach Rührung, Wut, Sehnsucht, Staunen, Lachen, Liebe, Anerkennung, Hass, Weinen, Ekstase…

Fazit: Wie bei jeder technischen Erneuerung schlägt das Pendel zunächst in beide Richtungen extrem aus, bis der Mensch sich souverän damit vertraut gemacht hat (innerhalb seiner gefesselten Höhlenexistenz). Ein Messer ist ein Werkzeug und eine Waffe. Die Filterblase ist eine Chance und ein Risiko. Menschen können dadurch verblöden oder sich täglich weiterbilden. Sie können vereinsamen oder sich zu Bewegungen zusammenschließen. Sie können intolerant werden oder menschheitsumschließend.

Ich kann nicht in die Zukunft blicken, doch ich bin sehr optimistisch, dass wir gerade dabei sind, uns als Spezi Mensch dank der neuen Farbigkeit und Vielfalt der Schattenbilder zu einer neuen Stufe an Menschlichkeit und Demut weiterzuentwickeln. Schließlich hat uns der Buchdruck auf lange Sicht auch nicht geschadet – trotz des Dreißigjährigen Krieges 😉

Teil 3: Auf der Homepage der Süddeutschen Zeitung erschien am 12. Mai 2017 ein Artikel mit der Überschrift „Trump, gefangen in der Filterblase“. Zeigen Sie Konsequenzen auf, die sich ergeben können, wenn sich der US-Präsident in einer (nicht nur digitalen) Filterblase befinden sollte, und entwickeln Sie für Präsident Trump Möglichkeiten der Filterblase zu entkommen.

Ich vermute, dass die spontane und unabgesprochene Nutzung von Twitter den etablierten Meinungsführern und Leitmedien

Trumps Filterblase

besonders als „digitale Dummheit“ ins Auge fällt. Das ist sehr verständlich, da Trumps suchtartiges Twittern den politischen Abläufen viel von seiner bisherigen Kontrolle nimmt. Wenn nicht mehr die Stäbe und Berater sorgfältig vorfiltern, was ein Präsident sagt, ist das eine nie dagewesene Umwälzung aller Regeln in Politik und Diplomatie. Wenn man in die Geschichte blickt sieht man, dass häufig Kriege ausgelöst wurden durch die spontane, irrationale Gefühlsregung eines Machthabers. Und das passiert heute täglich – denn Twitter lässt sich nicht kontrollieren und vorfiltern. Twitter passiert.

Ich selbst bewundere Politiker besonders dann, wenn sie gute Diplomaten sind, wenn sie „Dicke Bretter“ bohren können und wenn sie professionell damit umgehen, Konflikte und Krisen durch geduldiges, beharrliches, gesprächsbereites Verhandeln abzumildern und aufzulösen. Hätten wir ausschließlich Frauen und Männer in der Politik, die Meister der Diplomatie und des Verhandelns wären, wären kriegerische Auseinandersetzungen sicher seltener.

Doch ob es den einzelnen Menschen und den Völkern unter den Politikern besser gehen würde, wage ich zu bezweifeln. Wo sich Lobbyisten und Politiker klug verhandelnd ohne Störungen einigen können, bleibt das Wohl und Wehe des „gewöhnlichen“ Menschen auf der Strecke. Das kann zu entsetzlicher Ausbeutung und Verelendung führen – und zur Manipulation durch Schule, Arbeitgeber, Medien und anderen Autoritäten, die von Kapital und Politik gelenkt werden.

Trump und andere (leider meist rechten) Wut-Kandidaten wurden und werden gewählt, weil das Volk spürt, wie machtlos und ohnmächtig es ist in einer langen Friedenszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der sich Kapital und Politik hervorragend arrangiert haben. Häufig sind diese Ohnmachtsgefühle und Ängste sehr unbewusst und unreflektiert. Schließlich werden sie ja auch selten öffentlich in den Massenmedien diskutiert. Je unbewusster und unreflektierter die Wahrnehmung von Machtzuwachs einer kleinen Elite in der Bevölkerung sind, desto mehr Chancen haben Menschen wir Hitler, Trump und andere skrupellosen „Wir zuerst“ Prediger.

Ob sich die Filterblase Trump von anderen Machtversessenen aus der Historie unterscheidet, kann ich nicht beurteilen. Ehrlich gesagt vermute ich, dass er zwar exzessiv Twitter nutzt, doch ansonsten eher der typische Print- und TV-Nutzer ist als der digitale Nerd. Ich nehme ihn nicht wahr als Jemanden, der souverän das Internet nutzt und dort seine Informationen und Inspirationen erfährt. Auch in dem Artikel aus der Süddeutschen werden die klassischen Quellen beschrieben, so wie sie schon seit Ewigkeiten von Machthabern beeinflussen: Berater, Intriganten, Günstlinge… Und wenn es dem Machthaber nicht mehr passt, wirft er sie eben raus oder macht Schlimmeres mit ihnen. Da sehe ich keine digitale Erneuerung.

Fazit: Ich wünsche dem Präsidenten der USA keine „Erlösung aus seiner Filterblase“. Ehrlich gesagt kann er von mir aus damit ins Grab gehen, er ist mir menschlich extrem gleichgültig – ja, widerwärtig. Was ich mir wünsche ist, dass durch unsere digitalen Quellen die Menschen weltweit abseits der staatskonformen Medien Informationen, Diskussionen und Inspirationen erfahren, die ihnen so schnell wie möglich die Entzauberung der autoritären Regime-Ideologien in ihr Bewusstsein bringen! Ich wünsche mir, dass die ganze Welt erleichtert lachen kann in der Erkenntnis: „Seht, der Kaiser ist ja splitternackt!“

Ich wünsche mir Demokratie von unten, ich wünsche mir dank der digitalen Revolution eine kluge politische Bewusstseinserweiterung der Menschen, die über Staats- und Standesgrenzen hinweg gucken können und miteinander ins Gespräch kommen. Ich wünsche mir, dass die deutsche Hausfrau mit einem Jungen aus einem lateinamerikanischen Ghetto korrespondiert und Projekte initiieren kann. Ich wünsche mir, dass wir abseits von Gatekeepern über Kontakte, Gruppen, Projekte und Netzwerke an einer besseren Welt arbeiten und können und aufdecken und weitergeben, was verheimlicht werden soll. Ich wünsche mir, dass Geheimdienste und Lobbys täglich davor zittern müssen, dass mal wieder ein mutiger Insider wie Edward Snowden ihren Elfenbeinturm aus Macht und Manipulation ins Wanken bringt.

So, das hat Spaß gemacht. Nochmals vielen dank für diese Prüfungsaufgabe. Imagination (das Höhlengleichnis) und Inspiration (Trumps Story) haben mich mal wieder dazu gebracht, mir ein bisschen klarer zu werden darüber, warum ich das Internet so liebe – trotz aller Gefahren. Möge es dazu beitragen, dass ich ein bisschen intuitiver werde und einen Hauch davon erwischen kann, was wirklich in der Welt passiert – abseits vom Schleier der gegenständlichen Welt. Intuition – das ist wohl das Einzige, was uns aus unserer Dummheit manchmal ein Ministückchen befreien kann. Danke!

 

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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