Es gibt viele Gründe, verzweifelt zu sein. Gerade haben wir viel existenzielle Verzweiflung, weil die Corona-Konsequenzen für Selbstständige und Unternehmen bedrohlich sind. Dann gibt es die Ursachen für Verzweiflung wegen Burnout, Mobbing, Trennung, Krankheit, Einsamkeit, Perspektivlosigkeit, Depressionen. Doch was kann man tun, wenn man in eine verzweifelte Situation gerät? Hier 5 Tipps von mir
Das Schlimmste ist die Ohnmacht…
Mir selbst sind verzweifelte Zustände gut bekannt. Eigentlich geht es bei mir sogar erstaunlich schnell, dass ich in Verzweiflung gerate. Das mag daran liegen, dass mein Körper (mein „Haustier“) sich tatsächlich gern so verhält wie ein Hund oder eine Katze, die mit einer Veränderung ihres Frauchens oder Herrchens nicht klarkommen und krank bzw. verhaltensauffällig werden. Meine 5 Tipps für verzweifelte Situationen beruhen also auf jahrzehntelanger Erfahrung. Würde mich freuen, wenn die Tipps zumindest ein bisschen trösten oder auch zum Schmunzeln bringen…
Tipp Nr. 1: Seziere Deine Verzweiflung
Bewusstheit ist der erste Weg zur Handlungsfähigkeit. So habe ich es erlebt, dass ich mich 2003 beruflich in einer Situation befand, in der ich Angst vor jedem neuen Arbeitstag entwickelte. Ich schlief schlecht und viel zu wenig, mein Appetit war gestört, ich war abgelenkt und verwirrt. Mein Mund war ständig trocken, ein Auge zuckte, ich schluckte andauernd unwillkürlich (was gegenüber meiner Chefin sehr peinlich war, weil es mich outete).
Also machte ich mich ans Sezieren der Symptome, der Anlässe, der Historie, der Gefühlszustände und kam auf diese Weise zu einem Fazit. Dafür nutze ich immer gern eines oder mehrere der folgenden Werkzeuge:
- Mit einem Menschen darüber sprechen, der gut zuhören kann. Traurig ist, wenn man in Verzweiflung mit Menschen spricht, die bei jedem Satz reagieren mit „Das kenne ich auch“ „Genau wie bei mir“ „Also ich habe damals…“ Und dann erzählen sie ihre Geschichten und man bleibt allein zurück. Ich suche mir dann lieber einen Menschen, der zuhören kann, ohne von sich zu sprechen. Je stummer, je besser. Spazieren gehen ist toll. Dann hat man zu tun durchs Laufen, und das Zuhören fällt leichter.
- Tarot-Karten als Inspiration nutzen. Ich mag das Rider-Tarot sehr gern, da es so „harmlos“ ist und im Jugendstil ein wenig an die gute alte Zeit erinnert. Die Karten sind von einer Frau gezeichnet und sehr weiblich. Ich lege mir dann immer das „Keltische Kreuz“, wälze Literatur für jede einzelne Karte und schreibe auf, was für Assoziationen ich durch die Karte und ihre Stellung im Keltischen Kreuz bekomme. So habe ich eine Chance, aus meiner Betriebsblindheit zu kommen und das Ganze anders zu interpretieren. Ich schreibe und schreibe und schreibe. Natürlich glaube ich nicht an Zukunftsprognosen. Aber ich glaube an die Kraft von Bildern und Symbolen. Manchmal fühlt sich diese Arbeit mit den Karten an, als würde meine Rollen-Püppchen im Gehirn umziehen und sich neu positionieren. Das ist sehr hilfreich.
- „The Work“ von Byron Katie ist für mich geeignet, wenn ich mich in einem emotional verurteilenden Zustand befinde. Wenn ich etwas ungerecht und gemein empfinde. Wenn ich einem Menschen die Schuld gebe und mich als Opfer wahrnehme. Es handelt sich um 4 Fragen, die schriftlich beantwortet werden und die Beurteilung aus der „Opferhaltung“ heraus in Frage stellen. Wer nicht schreiben mag, kann den Prozess auch mit dem Smartphone-Diktiergerät aufnehmen. Hauptsache, man kann es später wieder zur Hand nehmen und überrpüfen, ob sich etwas geändert hat. Anleitung zu „The Work“ von Byron Katie
- Struktur in das Chaos der Verzweiflung bringen. Letztendlich geht es bei meiner Inventur darum, Struktur in die Verzweiflung zu bringen. So wie ein Arzt die Anamnese erhebt oder wie man bei einer Geschäftsgründung die IST-Situation auflistet. Ich mache sozusagen aus meiner Verzweiflung eine Unternehmens-Analyse – natürlich mit Stärken-Schwachen-Chancen-Risiken Analyse
Tipp Nr. 2: Ermittle Deine Handlungsoptionen
Wichtig ist für mich, aus der Ohnmacht wieder in die Handlungsoptionen zu kommen. Oder wie es bei den Anonymen Alkoholikern heißt: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Die Frage ist also, was alles kann ich tun (und sei es noch so abwegig) um mich aus meiner Verzweiflung zu befreien – oder um mit meiner Verzweiflung weiterleben zu können.
- Man kann zum Beispiel Selbsthilfegruppen aufsuchen, die thematisch passen. Selbsthilfegruppen sind super, weil die Gruppenmitglieder nachempfinden können, wie man sich fühlt. Dort kommt man vielleicht auf Handlungsoptionen, über die man noch nie nachgedacht hat!
- Man kann bei Konflikten mit Menschen die Aussprache vorbereiten und durchführen. Wenn man zum Beispiel vom Chef fertig gemacht wird (wie ich damals) kann man im Internet nach Gesprächsleitfäden suchen, um sich strategisch zu stählen. Es erfordert Mut, einen solchen Termin zu vereinbaren – doch hat man sich sehr sehr sehr gut vorbereitet und oft genug geübt, wird man es nicht bereuen
- „Liebe es, ändere es oder verlasse es“ ist bei mir etwas, was ich extrem schnell durch dekliniere. Bei meinem empfindlichen „Haustier-Körper“ habe ich wohl auch keine andere Wahl. Denn meine Gesundheit ist mir zu kostbar, als dass ich sie aufs Spiel setzen will. Also ist mein Tipp, für alle drei Optionen Möglichkeiten zu beschreiben, mit welchen Handlungen das möglich wäre: Lieben? Ändern? Flucht?
Tipp Nr. 3: Rede, rede, rede
Nun bin ich innerhalb meiner Verzweiflung immerhin an dem Punkt angelangt, wo ich auch Hinz und Kunz davon erzählen kann, ohne mich lächerlich zu machen. Nun kann ich es auch ertragen, wenn jemand meinen Kummer nimmt, um von sich und früher und allem Möglichen zu erzählen – und um sich das recht herauszunehmen, mir Rat-Schläge zu verpassen. Ich rede mit so vielen Menschen darüber, bis ich mir selbst langweilig werde. Reden befreit. Und die Rat-Schläger sind sogar manchmal echte Glückstreffer bei der Suche nach Strategie und Handlung!
In dem Moment, wo ich nicht mehr darunter leide, dass niemand mich verstehen will, bin ich offen für den brutalen Pragmatismus der alten Nachbarin, für die mitfühlenden Schuldzuweisungen meiner besten Freundin, für das Unverständnis meines Kollegen, der immer alles so toll im Griff hat und meine „ich stelle mich an“.
Nun kann ich ertragen, wenn niemand meine Trauer, meine Angst, meinen Schmerz, meine Verzweiflung nachvollziehen kann. Sobald ich meine innere Struktur und meine Analyse gefunden habe, klammere ich mich nicht mehr an die Antworten meiner Mitmenschen – dann nutze ich sie einfach aus, um zu reden und zu reden und zu reden. Denn Reden befreit.
Tipp N. 4: Es wird Zeit für die Strategie
Egal, ob es sich um eine Verzweiflung handelt, die faktisch nicht zu ändern ist (wie eine tödliche Erkrankung) oder der Verlust eines geliebten Menschen) oder um eine Verzweiflung, die mutiges bzw. entschlossenes Handeln erfordert – nun ist es Zeit, eine Strategie zu entwickeln und Maßnahmen zu planen, die für die Umsetzung sorgen.
Im Analysieren sind Menschen ja meist ganz gut – doch bei der Umsetzung hapert es dann. Und so drehen sich viele Menschen um sich selbst wie ein Hund, der sich in den Schwanz beißen will. Dann will uns auch kein Mensch mehr zuhören. Dann werden wir langweilig und suhlen uns in unserem Leid. Dann laufen uns die Menschen (zu Recht) weg.
Wenn wir festgehalten haben, ob wir lernen wollen, den Grund unserer Verzweiflung zu lieben (z.B. in einer schwierigen Zweierbeziehung) oder zu verändern (indem wir zum Beispiel beim Chef klare Forderungen äußern und konkrete Maßnahmen vorstellen) oder alles zu verlassen (was bei mir persönlich in fast allen Fällen die einzig richtige und heilende Option war), machen wir einen passgenauen Plan. So richtig mit Stundenplan. Montag mach ich das, Dienstag mach ich das, und Mittwoch gehe ich wieder in meine Selbsthilfegruppe…
Handeln ist immer der Weg zur Heilung! Selbst wenn mein Kind bei einem Autounfall gestorben ist, kann ich handeln, um damit zu leben! Ich kann mich mit anderen trauernden Eltern vernetzen – zum Beispiel über Internet-Gruppen – ich kann mich ehrenamtlich engagieren, ich kann meine Wut und Trauer in Kunst umsetzen….
Tipp Nr. 5: Ein paar konkrete Vorschläge als Anregung
- Wende Dich einer höheren Macht zu und verstehe, dass es da etwas gibt, was dem Ganzen „Sinn“ verleiht
- Lese Bücher über Menschen, die in ähnlichen Verzweiflungen waren wie Du
- Geh viel raus und zwinge Dich, täglich Menschen zu sehen und zu erleben
- Nutze eine künstlerische Ausdrucksform, um Dich zu transformieren
- Nutze Seminare, Gruppen, Experten, um Dir zu helfen. Auch wenn Du vielleicht damit Geld verschwendest und enttäuscht zurückbleibst – es bringt immer irgendwas
- Burnout: Kündige Deinen Arbeitsplatz auch ohne Sicherheitsnetz – geh einfach!
- Achte auf Deinen Körper. Tu alles dafür, dass es ihm gesundheitlich so gut wie möglich geht. Koche gesund, bewege Dich ausreichend, achte auf genügend Schlaf oder zumindest auf einen gesunden Rhythmus von Anspannung und Entspannung.
Disziplin ist der Therapie der Verzweifelten
Disziplin ist die Therapie der Verzweifelten. Fehler macht man, wenn man immer wieder das Gleiche wiederholt, und dabei auf andere Ergebnisse hofft.
– Disziplin führt dazu, dass man an sich glauben kann.
– Mut führt dazu, dass man stolz auf sich ist.
– Handlungsautonomie führt dazu, dass man kein „Opfer“ ist.
Wir sind alle Gestalter unseres Lebens. Gerade in Verzweiflung kann man die Wahrhaftigkeit dieser These prüfen, indem man die Herausforderung annimmt. Und irgendwann wirst Du vielleicht sagen: „Gottseidank, dass ich damals so verzweifelt war. Sonst hätte ich nie dieses neue Leben gefunden. Sonst wäre ich in meiner damaligen Komfortzone stecken geblieben…“
Wollt ihr mich verarschen????????