Alle Bewohner von Metropolen kennen das: In den Innenstädten begegnet man unzähligen Bettlern, Flaschensammlern, Obdachlosen. Doch wer sind diese Menschen? Sollte man Geld geben? Lieber etwas zu essen? Sind häufig kriminelle Banden darunter? Bekommt nicht Jeder, der Hilfe braucht, Unterstützung durch Hartz IV oder Sozialhilfe? Und wie ist das eigentlich mit der Krankenversicherung? Ich sag mal so, dank der Krankenkassenpflicht sammeln sich bei mehrjähriger Versicherungslosigkeit Schulden an, die sprachlos machen. Und die rigoros eingetrieben werden…
Stadtführung vom Straßenmagazin Bodo
Was für ein Erlebnis, an einem Samstag vormittag das Angebot des Straßenmagazins Bodo zu nutzen, um dieses und noch viel mehr zu
erfahren. Und um die Gelegenheit zu erhalten, einige der Orte kennen zu lernen, die das tägliche Überleben der Obdachlosen und Wohnungslosen erträglicher machen. Doch zunächst die Frage: Wer sind denn nun die Betroffenen? Wie viele gibt es in Dortmund? Sind viele Leute aus anderen Ländern und Kulturen darunter? MUSS man betteln oder kann man auch in jeder Lebenslage Unterstützung erhalten durch öffentliche Stellen?
Unser Stadtführer ist Dennis. Seit fünf Monaten ist Dennis wohnungslos und übernachtet bei Freunden. Über 160 Wohnungen hat er besichtigt – doch dank des angespannten Wohnungsmarkts ist es auch für einen nüchternen, seriösen jungen Mann ohne Arbeit schwer, nicht zu resignieren. Das Jobcenter zahlt maximal 414 Euro monatlich für die Kaltmiete – für diese Preise gibt es kaum etwas auf dem Markt.
Dennis verkauft den Bodo auch, um Kontakt zu den Menschen in der City zu bekommen. Man trifft ihn an fünf Tagen in der Woche auf der Treppe direkt gegenüber vom Hauptbahnhof. Von jedem verkauften Monatsmagazin behält er 1 Euro. Das ist nicht viel im Monat – doch der Verkauf verleiht Sinn, Struktur – und man kommt ins Gespräch. Manche Bodo-Kunden werden zu Bekannten.
Natürlich kann man den Bodo-Verkäufern auch eine kleine Spende geben. Doch die ist auf 2 Euro begrenzt, um die Reputation der Straßenverkäufer zu schützen – und um offensive Bettler auszugrenzen. Niemand soll durch Bodo-Verkäufer bedrängt werden. Das geht gegen das Prinzip des unabhängigen Lobby- und Selbsthilfeverein. Das geht gegen die Ehre.
Bodo lebt ausschließlich von Spenden und dem Verkauf von Zeitschriften, Büchern, DVD’s und Schallplatten. Öffentliche Gelder gibt es nicht. Das gibt dem Verein die Möglichkeit, Jedem zu helfen, der es will. Jeder ist herzlich willkommen, niemand muss eine Bescheinigung vorlegen, um Kleidung, Schlafsäcke, Isomatten oder Hygieneartikel zu erhalten. Morgens gibt es kostenloses Frühstück.
KANA – Die Dortmunder Suppenküche
Kurz vor 12 Uhr gelangen wir zur Suppenküche KANA. Carsten (Redakteur bei Bodo) und Dennis drängen sich mit uns Gästen durch die kleine wartende Menge am Eingang. Um 12 Uhr öffnet sich die Tür und die Hungrigen bekommen an diesem Samstag so viel Rindfleischsuppe mit Gemüse, wie sie wollen. Dazu gibt es Brot, Brötchen und sogar Kuchen. Was KANA fehlt sind Ehrenamtliche – Spenden gibt es genug. Kirchengemeinden und Dortmunder Bürger unterstützen den unabhängigen Verein, dessen Motto ebenfalls lautet „Herzlich willkommen! Egal wer Du bist, Du kannst Dich bei uns aufwärmen und essen. – an fünf Tagen in der Woche zwischen 12 und 14 Uhr.“
Gäbe es noch mehr Ehrenamtliche, würde KANA wohl auch Donnerstag und Sonntag geöffnet. Auch bei den Helfern ist jeder willkommen – egal ob man zweimal im Jahr helfen will, etwas häufiger oder sogar täglich. Wie uns Chris, eine der Organisatorinnen, überzeugt versichert: „Es macht einfach Spaß, hier zu helfen! Man lernt tolle Menschen kennen und lernt viel von den Gästen“.
Die Diakonie – eine sooo wichtige Anlaufstelle!
Es gibt einige Orte in Dortmund, wo man als Wohnungsloser/ Obdachloser duschen kann – doch die Diakonie in der Nordstadt ist weit mehr als das. Wichtig ist es für Wohnungslose, eine postalische Adresse zu haben. Ansonsten kann man keine Sozialleistungen beantragen. Die Mitarbeiter der Diakonie helfen auch weiter, damit die Hilfsbedürftigen einen Ersatzausweis erhalten können – und überhaupt, damit sie Leistungen und das Notwendigste erhalten.
Eines der Hauptprobleme der Obdachlosen ist, dass sie ständig bestohlen werden. Schlafsäcke bleiben selten länger als zwei, drei Wochen im
Besitz der Schutzlosen. Auch Handys sind leichte Beute für andere Betroffene, die über Diebstahl, Einschüchterung und Gewalt ihr Überleben absichern. Gerade im Winter trauen sich viele Obdachlose kaum, ihr Hab und Gut aus den Augen zu lassen. Die Suppenküche ist im Winter weniger besucht als im Sommer – genau aus diesem Grund. Man kann seinen Schlafplatz nicht verlassen. Man schleicht Tag und Nacht drum herum und bewacht den Schlafsack und die anderen Habseligkeiten.
Da die meisten Obdachlosen Depressionen haben, ist es manchmal schwer, sie dazu zu bewegen, sich Hilfe beim Jobcenter oder bei der Sozialhilfe zu holen. Viele der psychisch Verstörten sind süchtig. Langjährig Süchtige ohne Depressionen gibt es kaum. Man gibt sich auf, man lebt nur noch von Minute zu Minute. Im Cafe Berta können sich Alkoholabhängige täglich treffen wie in einer Kneipe. Es darf sogar geraucht werden. Das hilft gegen die Einsamkeit und sorgt für die wichtige soziale Vernetzung. Auch im Cafe Berta waren wir bei der Stadtführung. 95 Prozent der Gäste hier sind Männer – alkoholsüchtige Frauen findet man in dem BVB-geschmückten Cafe kaum.
Heroin und Kokain
Die schwer Drogenabhängigen brauchen oft täglich mehrere hundert Euro, um ihren Konsum zu finanzieren – in Dortmund wird die Zahl der Heroinabhängigen aktuell auf 5.000 geschätzt. Obdachlose Heroin- und Kokainsüchtige gehen meist nicht zum Amt, da sie die Zeit brauchen, um durch irgendetwas ihren Konsum zu finanzieren – stundenlanges tägliches Warten im Amt für ein paar Euro können sie sich nicht leisten.
Ein toller Verdienst der Stadt ist es, dass die jährlichen Todesopfer der Heroinabhängigen von 900 auf etwa 9 (!) gesenkt werden konnte. Es gibt ein Gravitationszentrum in der City, in der die Süchtigen saubere Spritzen bekommen und im Schutz der Einrichtung konsumieren können. Das Angebot wird so gut angenommen, dass Todesfälle selten geworden sind. Methadon und Polamidon sind übrigens auch nicht die ideale Lösung. Es ist sehr viel schwerer, bei diesen Ersatzstoffen einen Entzug zu schaffen als bei Heroin oder Kokain.
Wie kann man helfen?
Natürlich fragte ich Dennis, ob er Bettlern Geld gibt. Und ich will wissen, wie es mit den „Bettlerbanden“ aussieht – und was die gestrandeten Flüchtlinge machen. Er erklärt mir, dass er schon unterscheidet bei den Bettelnden, ob jemand Geld für Drogen braucht oder für andere Dinge. Da er selbst früher schwer drogenabhängig war, kann und will er keine Drogen mitfinanzieren. Lieber geht er zur Bäckerei und holt etwas zu essen. Auch erklärt er mir, dass weit mehr als die Hälfte der rund 2.000 Wohnungslosen in Dortmund Flüchtlinge sind, die keine Wohnung finden. Es gibt einfach keinen ausreichenden preiswerten Wohnraum! Viele Familien und Kinder sind betroffen. Es ist schlimm.
Sind auch Straßenbanden unter den Bettlern?
Bettlerbanden gibt es so nicht, wie wir uns das vorstellen. Dafür sind die Bettel-Erträge auf der Straße viel zu gering. Aber was stimmt ist, dass gerade in Bulgarien und Rumänien Sinti und Roma (ursprünglich aus Indien – werden überall verfolgt und verstoßen) von Firmen und Vermietern nach Deutschland gelockt werden. Angeblich würde es hier möglich sein, Arbeit zu finden und die Familie zu ernähren. Man kann viel Geld mit diesen Gebeutelten verdienen, die zu spät merken, dass sie leeren Versprechungen aufgesessen sind. Sechs Monate muss man Arbeit nachweisen, bevor man Sozialleistungen beantragen kann.
Da die Not so groß ist, gehen die arbeitsunfähigen alten Leute und Frauen auf die Straße und betteln. Die Arbeitsfähigen müssen sich für wenig Geld verdingen und gigantische Mieten zahlen für wenige Quadratmeter. Besonders schlimm ist, wenn Kinder gezwungen werden, Taschendiebe zu werden. Mit erzwungenen Bettlern verdient man kaum etwas, das ist sinnlos – mit versklavten Kindern unter 14, die stehlen und einbrechen, schon…
Ich kann es nur empfehlen, mal eine der monatlichen Führungen des Straßenmagazins Bodo wahrzunehmen. Alles was man geben muss ist am Ende der zweieinhalbstündigen spannenden Führung der Erwerb eines Magazins für 2,50 Euro. Das ist dann das Entgelt für den Stadtrundgang-Führer, der die Hälfte des VK-Preises erhält. In Dortmund sind die Stadtführungen an jedem zweiten Samstag im Monat um 11.00 Uhr. In Bochum finden die Führungen am 3. Samstag um 11.00 Uhr statt. Garantiert ein Freizeiterlebnis der besonderen Art, das die Augen öffnet und bereichert. Danke dafür!
Das Bodo-Straßenmagazin und die Termine der Führungen
Und hier geht es zu KANA, der Dortmunder Suppenküche
Übrigens: Was überall händeringend gebraucht wird, sind winterfeste Schlafsäcke! Hierfür sind Spenden richtig richtig wichtig. So kann man Überleben sichern.
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