Eva Ihnenfeldt: Wie der Corona-Zwangsurlaub mich ganz persönlich verändert

Seit dem 17. März bin ich dank Corona auftragslos. Ich habe alles heruntergefahren, was ich ansonsten täglich tue, um neue Aufträge zu akquirieren und meine professionellen Netzwerke zu pflegen. Es ist nicht die Zeit für Aktionismus, denn welcher Bildungsanbieter und welche Akademie kann schon gerade überblicken, wie es nach dem Lockdown weitergeht? Nein, ich habe mir zum ersten Mal seit meiner Gründung im Jahr 2004 vier Wochen Nichts-Tun gegönnt. Frei werden von Ehrgeiz, von Ansprüchen an mich selbst, von preußischer Disziplin und von der Ideologie, dass nur Arbeit den Menschen ehrt. Und was soll ich sagen: Es gefällt mir!

An sich empfinde ich meine berufliche Situation gerade jetzt als privilegiert. Ich bin es seit vielen Jahren

Foto: Franz-Josef Baldus

gewohnt, in virtuellen Klassenräumen (also online) Social Media Marketing, PR, Kommunikation und Marketing zu unterrichten – und dank der jetzigen Kontaktsperre verlagern immer mehr Weiterbildungsanbieter ihre Kurse ins Netz. Das freut mich sehr, da ich diese Online-Klassenräume liebe. Man kommt sich sehr nah, wenn man die physische Distanz wahren kann. Außerdem schätze ich es, dass alle Teilnehmer direkt online recherchieren und in Teams arbeiten können. Das spart Zeit und gibt dem Kurs etwas vom Spaß beim Online-Gaming.

Ich liebe meinen Beruf und ich freue mich schon sehr auf den nächsten Vollzeitlehrgang, der Mitte April beginnt. Ich denke, wir werden viel zu tun haben mit Weiterbildungen und Umschulungen, wenn die Unternehmen diese notgeborene digitale Transformation auch in die Zeit nach Corona weiterverwenden. Es wird sehr viele Arbeitslose und viele Unternehmens-Insolvenzen geben – und wie sich die Kaufkraft der Konsumenten entwickelt, steht in den Sternen. Ebenso steht in den Sternen, wo die Behörden die Prioritäten gewichten – ich warte also erst einmal ab und habe Vertrauen.

Eva Ihnenfeldt’s Corona-Zwangsurlaub

Ich gebe ehrlich zu, dass ich sehr schnell regelrecht süchtig wurde nach der vielen Freizeit. Kein Leben nach der Uhr, ausschlafen an jedem Tag der Woche, lange und genüsslich frühstücken, spazieren gehen und jeden Tag richtig gut kochen und essen. Abends dann bei Netflix mit Serien den Tag abschließen und selig einschlafen. Die soziale Distanz führt dazu, dass ich und mein Partner vor Allem uns haben – und ich hätte nie gedacht, wie gut mir so ein gemütliches Leben tut. Ich bin erholt wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Diese erstaunliche Erkenntnis, dass wochenlanges Nichts-Tun Spaß macht, führt dazu, dass ich vieles hinterfrage, was ich nie angezweifelt habe: Muss der Mensch wirklich arbeiten, um seinem Leben einen Sinn zu geben? Ist es für das Selbstwertgefühl und die geliebten Dopamin-Ausschüttungen wirklich erforderlich, durch beeindruckende Leistungen und Herausforderungen zu strahlen? Kann man womöglich auch dauerhaft glücklich sein, indem man sich völlig unbefangen und egoistisch seines Lebens freut wie die Vöglein unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde?

Ich weiß schon jetzt, dass ich wieder ganz anders sein werde, sobald mein Motor wieder anspringt. Unterrichten und coachen tue ich, weil ich süchtig bin nach Menschen und weil ich meine Berufung darin lebe, dass ich Menschen in Change-Situationen Mut und Selbstvertrauen mitgeben kann.

Egal was ich unternehmerisch tue seit 2004 – dieses Kernelement bleibt: In der Gemeinschaft Mut und Selbstvertrauen finden, um sich als Einzelner zu einem selbstbestimmten Leben aufzuschwingen. Das das funktioniert, macht mich glücklich, und unsere digitalen Kommunikationsmöglichkeiten sind ein Riesenschatz, um als Individuum genau das zu tun, was man aus seinem Willen und seinen Visionen heraus tun will.

Ich könnte es aber ausgesprochen gut aushalten, bei diesen entscheidenden Transformationen keine Rolle zu spielen – und mir das Treiben gelassen aus der Ferne anzuschauen. Ich weiß nicht, ob irgendwann der Moment kommt, an dem mir langweilig wird und ich wieder neue Ideen entwickle, doch im Moment fände ich es auch attraktiv, wenn die Menschen aus sich heraus die Faszination „Leben unabhängig gestalten“ und „Digital die Welt ergreifen“ erkennen. Ist ok, wenn ich keine erste Geige spiele! Himmel, ich bin Einzelkind! Ich liebe es doch, allein zu sein und mich unsichtbar zu machen!

Für mich bedeutet der Corona-Zwangsurlaub die Erkenntnis einer ganz neuen Freiheit. Unwichtig sein, ein Nichtsnutz sein, den „lieben Gott einen guten Mann“ sein lassen – und einfach nur nach dem Vergnügen des Moments leben – das ist ja richtig schön! Hört sich vielleicht blöd an, aber es ist tatsächlich so, dass ich seit frühester Jugend immer nur nach Aufgaben suchte, die mich arbeitstechnisch komplett ausfüllten.

Ist kein Zufall, dass ich mit 21 Jahren das erste Kind hatte – und es insgesamt auf ganze vier Kinder brachte. Ich wollte immer Action, Stress, Abenteuer, coole Herausforderungen. Mich gegen den Strom stemmen, anders sein als der Mainstream, mich prüfen, verändern – die Welt verändern…

Nun denke ich, die Welt ist ok so wie sie ist. Die Menschen können sehr gut ohne mich klarkommen – ich bin gar nicht so wichtig! Jeder gestaltet sein Leben so, wie es zu ihm passt. Optimist, Pessimist, Zweifler, Abenteurer, Künstler, Denker, Handwerker oder Kümmerer. Jeder findet seinen Platz auf diesem Globus, auch ohne Eva Ihnenfeldt.

Bin gespannt, ob sich diese Erkenntnis dauerhaft einbrennt in meine Zellen. Ich habe das schon einmal erlebt, als meine Eltern im Abstand von anderthalb Jahren gestorben sind. Zunächst war da ein großes Nichts. Meine töchterlichen Marionettenfäden waren plötzlich durchschnitten und es gab keine Verantwortung mehr, mich um ihr körperliches und seelisches Wohl zu kümmern. Nach einigen Monaten erkannte ich, wie schön es ist, frei zu sein – ich konnte plötzlich einfach frei leben! Ich bin sehr stolz auf meine Eltern – und ich danke es ihnen, dass sie mich so früh loslassen konnten.

Nun sind wieder Marionettenfäden von Corona zerschnitten worden. Ich muss mich nicht mehr durch meine Aufgaben definieren. Ich darf einfach so sein, ohne irgendeinen nützlichen Zweck als Rechenschaft anzugeben. Ich bin einfach da – so wie eine Feldblume, die sprießt, blüht, verwelkt, sich im Boden auflöst. Na und? Warum nicht!

Ich denke, dass ich in rund einem Jahr, wenn ich dann vielleicht erneut diesen Beitrag lese, schmunzeln muss, weil mich die Maloche wieder voll im Griff hat. Unterrichten, coachen, telefonieren, Mails schreiben, SteadyNews schreiben, Veranstaltungen und Meetings, neue Pläne schmieden und neue Geschäftsideen umsetzen… Auch das klingt alles immer noch verführerisch und aufregend.

Aber eines habe ich gelernt: Faul sein ist ok, zu leben wie die Lilien auf dem Felde ist ok, sich nicht durch Leistung definieren ist ok, allein sein ist ok. Einfach ok. Möge sich diese Erkenntnis nie wieder von mir entfernen. Denn sie schenkt mir eine neue Verbindung zu all meinen Mitmenschen: Die Akzeptanz, dass jeder Mensch leben darf ganz wie er will, befördert die Nächstenliebe. Ihr müsst nichts leisten! Es ist einfach schön, dass es Euch gibt. Danke für jeden Einzelnen.

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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