Melancholie, Depression und der Jesus am Kreuz

Schon als kleines Mädchen hat mich „Der Gekreuzigte“ magisch angezogen. Im Vorraum unserer Kirche befindet sich ein riesiges Holzkreuz mit einem nahezu nackten Jesus, der für mich das Ideal eines Mannes war (und ist): Schön, tieftraurig, unfähig zu Gewalt, mit seinen weit ausgebreiteten Armen ein Symbol der liebenden Hingabe. Tatsächlich ist nicht der auferstandene Christus – sondern der gekreuzigte Jesus das Wahrzeichen des Christentums – der Totem, Heilsbringer, Schutzzauber… das Feldzeichen im Kampf um Erlösung und Vergebung. Auch wenn die brutale Realität jeder christlichen Herrschaft nicht gerade diese Werte widerspiegelt, bin ich froh, dass es so ist: Jesus als Ideal der Melancholie wertet die menschliche Fähigkeit zu Schwermut und Weltschmerz auf. Aus einer verachteten Schwäche wird die größte Stärke, zu der wir Menschen fähig sind: Mitgefühl gegenüber unseren Mitmenschen.

Wie kann sich Bitterkeit in Vergebung verwandeln?

Auch ich kenne Menschen, die verbittert sind, die unsere Welt als ungerecht empfinden und die tief wütend sind auf all das, was Schuld ist an ihrem Schicksal. Es ist unglaublich schwer, aus diesem Grundgefühl herauszukommen, und meiner Meinung nach hilft nur die Kraft der Melancholie, selbstzerstörerische Wut in Erlösung zu verwandeln.

Ich kann es gut verstehen, wenn Menschen ihre Eltern hassen, Politiker oder ihre Arbeitgeber. Wir alle wünschen uns Obrigkeiten, die uns beschützen, wertschätzen und fördern. Wir alle sehnen uns danach, geliebt zu werden von unseren Eltern – und von all Denen, denen wir uns vertrauensvoll ausliefern. Im Laufe des Lebens machen wir unzählige Erfahrungen von Gewalt, Verrat und Betrug – und aus dem kindlichen Ideal der reinen Freundschaft wird bei vielen die selbstzerstörerische Losung: „Freunde in der Not, gehen tausend auf ein Lot“.

Schuld und Sühne

Ja es stimmt. Wir sind alle kleine Sünderlein, und selbst der alttestamentarische Gott musste irgendwann einsehen, dass er den schuldigen Anteil des Menschen nicht auslöschen kann. Rotte ihn komplett aus oder nimm ihn, wie er ist. Dass Gott sich der Legende nach entschloss, lieber mit den Menschen zu leben anstatt sie bis auf das letzte Exemplar zu vernichten, verdankt er meiner Einschätzung nach der Kraft zur Melancholie. Dass Gott der Legende nach seinen eigenen Sohn opferte, zeigt seine Sehnsucht nach hingebungsvoller Liebesfähigkeit. Für mich liegt der Zauber von Karfreitag (mein Lieblingsfeiertag) in den Worten des gekreuzigten Jesus: „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“. Welches Wunder lässt so etwas erkennen? Na die Kraft der Melancholie! Weltschmerz, Schwermut, anlassunabhängige Traurigkeit – Mitleid und Mitgefühl.

Melancholie und Depression

Depressionen sind zu einer weit verbreiteten Volkskrankheit geworden. So viele Menschen in Deutschland leiden an dem Gefühl, keine Selbstwirksamkeit zu besitzen. Sie fühlen sich gelähmt, ausgeliefert, fremdbestimmt – das Leben hat seinen Sinn verloren.

Depressionen können wir alle bekommen. Egal, welcher Persönlichkeitstyp bei uns die Oberhand hat:

  • Der Sanguiniker (der Fröhliche, Lebhafte, Optimistische)
  • Der Choleriker (der Entschlossene, Leidenschaftliche, Kämpfende)
  • Der Phlegmatische (der Ausgleichende, Genügsame, Ruhende)
  • Der Melancholische (der Nachdenkliche, in sich Gekehrte, Traurige)

für jedes Temperament gibt es passgenaue Formen des depressiven Siechtums . Angststörungen, Persönlichkeitsveränderungen, Todessehnsüchte, Lähmungen, physische Krankheitsbilder… Leider bewahrt uns nichts vor der Gefahr einer depressiven Erkrankung, wenn das Schicksal zuschlägt. Weder eine perfekte Kindheit noch eine Religionszugehörigkeit oder ein fröhliches Grundtemperament.

Melancholie als Kraftquelle für Vergebung

Vergebung und Versöhnung sind die beiden Schlüssel, um inneren Frieden zu finden. Ich weiß, das sagt sich so leicht, wenn sich im Laufe des Lebens eine miese Erfahrung an die andere reiht, wenn Armut, Schmerz und Verlust die kostbare Selbstwirksamkeit als Hohn erscheinen lassen, wenn man einsam ist und niemand da ist, der einen mag und beschützt.

Melancholie ist eine unglaubliche Kraftquelle. Darum mag ich Karfreitag so. Dann schaue ich gern Filme, die mich in die Schwermut bringen, dann suche ich nach Inspirationen, die mich traurig machen und meine erlangte Selbstzufriedenheit und Gefühlskälte aufbrechen. Melancholie ist das, was Hochsensible zu Künstlern werden lässt. Ob Geschichtenerzähler, Musiker, Tänzer oder Maler – ohne die Kraftquelle der Melancholie fehlt die Kraft, Seelen zu berühren.

Melancholie als Heilquelle

Und so wünsche ich uns allen, dass wir Melancholie als Heilquelle entdecken, als das, was Jesus als „Wasser des Lebens“ bezeichnete. Das Geschenk, unseren Nächsten lieben zu können wie uns selbst. Kreativität ist aus Schwermut und Mitgefühl gemacht – und auch wenn sich diese Kreativität sehr dezent ausdrückt bei Jemandem der am Liebsten chillt und schläft – sie ist ein Wunder der Transformation, sie verwandelt Bitterkeit in Liebe.

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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