Ich fand bei YouTube die herrliche Antwort eines Atheisten auf die Frage, ob er Gott glaube. Die zwei Minuten würde ich etwa so zusammenfassen „Gäbe es diesen Gott, der all das Leid auf der Erde verhindern könnte – und es nicht tut – können er und sein Himmel mit gestohlen bleiben. Dann ist dieser allmächtige Gott nicht gut, sondern ein Monster“. (Der britische Künstler Stephen Fry im Interview. Video unten eingebettet.) Doch auch, wenn wir mehr und mehr zu der Überzeugung kommen, dass Religion eher „Opium fürs Volk“ ist als Wahrheit – können wir Menschen ohne Glauben leben, ohne in Verzweiflung abzustürzen?
Kann Glauben retten?
Ich habe dank meines Berufs mit vielen Menschen zu tun, die unter mangelnder Selbstbestimmung leiden. Sie sind existenziell abhängig von staatlicher Alimentierung, wünschen sich ein Leben, in dem sie stolz auf sich sein können und gesellschaftliche Anerkennung erfahren. Doch sind tatsächlich Geld und Status der einzige Schlüssel zu einem erfüllten Leben?
Ich hörte in dem Podcast „Lanz und Precht“, wie die Beiden sich darüber austauschten, zu genießen, Millionäre zu sein. Ihre Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und finanzielle Freiheit machen sie glücklich. Auch für mich ist Geld mein „Benzin für Selbstbestimmung“, nur dass ich ein anderes Maß habe. Millionär zu sein, würde mich in vielerlei Hinsicht belasten. Ich habe am liebsten nicht zu viel und nicht zu wenig. Meine Beziehung zu Geld ist wie meine Beziehung zum Essen.
Geld oder Gott?
Jesus sagte ja mehrmals unangenehm streng, der Mensch müsse sich zwischen Gott und dem Mammon entscheiden. Einem Reichen, der ihm supergern nachgefolgt wäre, erklärte er, dass dies nur möglich sei, wenn der Reiche alles verkaufe und an die Armen verschenke.
Auch ich bin so ein Fall. Ich lebe nach dem Motto „Selber essen macht fett“. Lange habe ich damit gehadert, so zu sein. Heute habe ich auch diese Eigenschaft von mir liebgewonnen. Ich bin kein guter Mensch – doch ich glaube an Gott.
Ist Gott ein Narzisst?
Das Problem ist, dass wir kapitalistisch Geprägten Gott als so etwas ansehen wie einen Wunscherfüller. „Wenn ich nur mit dem richtigen Mindset daran glaube, wird/ muss mir Gott/ das Universum meine Wünsche erfüllen/ mich vor ungerechtem Leid bewahren.“ So wie Stephen Fry es herrlich formuliert im Video. Wir sprechen von selbstsüchtigen, toxischen Eltern, narzisstischen Liebespartnern oder Chefs – da ist doch Gott der Obernarzisst!
…oder ein moralischer Gesetzgeber?
Die gläubigen Menschen, die ich kenne (Christen und Moslems) haben eine andere Art von Gottesglauben. Für sie ist ihr Glaube eine moralische Instanz, keine Versicherung gegen Schmerz und Leid. Moslems fürchten Gott, Christen glauben, dass sie durch den brutalen Kreuzestod von Gottes eigenem Sohn von ihren Sünden erlöst wurden.
Ich selbst glaube an den alttestamentarischen Gott. Für mich ist mein Gott einfach so gigantisch wie das Universum selbst. Moralische Bewertungen sind so lächerlich wie der Versuch, das Universum mit Zeit und Raum zu messen. Und doch rettet mich mein Glauben.
Ein sinnloses Leben
Wäre ich nichts weiter als ein Gemisch aus Erbmaterial und Umwelteinflüssen, wäre mein Leben ohne Sinn. Ich wäre ein taugliches oder untaugliches, ein gewinnbringendes oder ressourcenschmarotzendes Stück Biologie. Ich wäre eine Eintagsfliege. Alles, was ich erstreben kann, sind der Aufbau einer Familie, Besitz, Anerkennung und Vermögen.
Ich brauche keinen belohnenden Gott, um zu glauben! Ich brauche nur meine Gewissheit, dass es für uns Menschen mehr gibt als das Leben einer Eintagsfliege. Ich sehe in jedem Menschen das, was über seine Lebensspanne auf der Erde hinausgeht! Ich sehe das, was uns alle verbindet, über Geburt und Tod hinaus. Das reicht mir, darum geht es in meinem Glauben – um unsere Seelen.
Keine Eintagsfliege
Ja, Glauben rettet. Die Gewissheit, dass es ein Davor und ein Danach gibt, macht glücklich, tröstet, gibt Mut und Kraft. Ich darf sein, ganz so, wie ich bin. Meine Seele macht gerade eine Kreuzfahrt auf dem Planeten Erde, und jede Seele gestaltet das anders. In der Regel findet diese Kreuzfahrt im Unterdeck statt, mit Mangel, Gewalt, Krankheit, Fronarbeit. Auf dem Oberdeck isst man Kuchen, kann sich an frühere Leben gottseidank nicht erinnern und versucht ebenso wie „die da unten“, das Beste daraus zu machen.
Ich persönlich lebe diesmal auf dem Oberdeck, sehne mich aber immer nach „denen da unten“ und bin dankbar, dass ich so viel bei ihnen sitzen darf und sie mich nicht verjagen. Und bei allen, die ich anschaue, sehe ich die Seele hinter der Erscheinung. Stelle mir dieses übermütige, erlebnishungrige Ding vor, das keine Skrupel dabei hat, wenn irdischer Körper und Psyche leiden.
Darüber das Unbegreifliche
Aber Gott ist noch unendlich viel riesiger und unfassbarer als das. Ich habe keine Ahnung von Gott. Ich kann mich nur in Dankbarkeit und Demut vor dem Unbegreiflichen verneigen, so wie Astronomen sich vor dem Kosmos verneigen. Aber ja, Glauben rettet noch besser als Geld, auch wenn Precht und Lanz ihre Millionen so genießen (was ich ihnen neidlos gönne). Glauben gibt Geborgenheit und Freiheit, auch den Ausgestoßenen und den Leidgeplagten. Dafür lohnt es sich, zu glauben.
Fazit heute von Bertolt Brecht, aufgeschrieben in den „Geschichten vom Herrn Keuner“
Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe.
Herr K. sagte: „Ich rate dir, nachzudenken...