Laut Wirtschaftswoche ist die 996-Wochenarbeitszeit – 6 Tage in der Woche von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends – in der KI-Techbranche Kaliforniens bereits üblich. Grund ist die rasante Entwicklung der Technologie, die Start-ups dazu zwingt, im Wettbewerb mit der Konkurrenz stets der Erste und Schnellste sein zu müssen. Das Arbeitszeitmodell stammt aus der chinesischen Techindustrie, wo es eben so illegal ist wie in den Vereinigten Staaten. Sind wir in Deutschland geschützt vor solchen Arbeitsbedingungen? Wirtschaftswoche vom 03.10.25: Ist die 996-Woche ein Modell für Deutschland?

Bei Twitter/ X und LinkedIn häufen sich die Kommentare zum 996-Modell. Es wird schon von Kapitalgebern davor gewarnt, dass europäische Firmen keine Chance im Wettstreit um KI-Dominanz haben, wenn sie viel kürzer arbeiten als KI-Experten und KI-Fachkräfte in anderen Ländern und Kontinenten.
Bundeskanzler Friedrich Merz forderte am 29. September 2025 bei seiner Rede vor der „Mittelstands- und Wirtschaftsunion“ die Deutschen auf, nicht länger so larmoyant und wehleidig zu sein und „etwas mehr Amerika zu wagen.“ Könnte es sein, dass er darauf anspielte, dass wir keine andere Chance haben, als uns der multipolaren Welt anzupassen, die in einen immer rasanten Strudel aufgrund der technologischen Entwicklung gerät? Was passiert, wenn wir zu wenig eigene KI-Technologien entwickeln und abhängig vom Ausland werden wie in vielen anderen Bereichen?
Bis zum Ende der Legislaturperiode sind zwei Millionen Menschen mehr verrentet worden, als junge Menschen in den Arbeitsmarkt nachrücken. Hinzu kommt die ständige Lernbereitschaft in fast allen Berufen aufgrund der technologischen Entwicklung. Dabei werden schon heute viele Überstunden geleistet. Für 44 Prozent der Arbeitnehmer gehören laut einer DGB-Studie Überstunden zur Tagesordnung.
Das 996-Modell erleben in Deutschland wohl nur Selbstständige und Unternehmer. Welcher Angestellte will sich darauf einlassen, nicht einmal einkaufen gehen zu können, weil er sogar samstags von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends im Unternehmen arbeitet? Dort frühstückt, dort zu Mittag isst, dort abends den letzten Kaffee trinkt, bevor er nach Hause fährt…
Familie ist unter solchen Umständen nur vorstellbar, wenn einer der Partner vollständig für die Familie zu Hause bleibt – oder die Kinder ganztags in öffentlichen Einrichtungen oder durch die Großeltern betreut werden. Verrückt!
996 klingt wie die düstere Vision aus einem Science-Fiction-Roman. Das Modell steht außerdem im krassen Gegensatz zum bestehenden Arbeitsplatzabbau. In den meisten Branchen fürchten wir eher eine drohende Massenarbeitslosigkeit als das Elend angeketteter Sklaven.
Die KI-Branche fällt tatsächlich aus dem Rahmen. Während gesellschaftliche Systeme sich zunehmend spalten und der gesicherte Wohlstand der breiten Bevölkerung sinkt, arbeiten Angestellte in KI-Start-Ups eher wie Leistungssportler oder Soldaten, als wie Angestellte.
Tatsächlich entscheidet sich in diesen Schmieden der Künstlichen Intelligenz, welches Finanz-Netzwerk und welche Nation mit ihren Rahmenbedingungen die Nase vorn hat. OK, es ist, wie es ist – aber Bereitschaft zu noch mehr Mehrarbeit wird in Deutschland nur wenig Anhänger finden – da kann Friedrich Merz schimpfen, so viel er will…
Wirtschaftswoche vom 3. Oktober 2025 – Ist die 996-Woche ein Modell für Deutschland?