Armağan Şengül im Experteninterview mit Eva Ihnenfeldt über den Wandel auf dem deutschen Arbeitsmarkt

Armağan Şengül im Experteninterview mit Eva Ihnenfeldt über den Wandel auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Einfluss von Social Media, Generation Y und Co.

Armağan Şengül: Seit Januar 2016 schreibe ich als Student der Kommunikations- und Medienwissenschaften meine Abschlussarbeit mit dem Thema: „Einfluss von Social Media auf die Personalbeschaffung und Arbeitssuche…
…und weitere Einflüsse, die auf den deutschen Arbeitsmarkt einwirken“

A. Şengül Bild für steadynewsDabei ist deutlich geworden, dass das „simple“ Fragebogen ausfüllen lassen von irgendwelchen Studienkollegen oder wem auch immer, nicht zielführend (genug) ist. Das Erkunden des Erfahrungsbereiches eines Experten, der es ja wissen muss, erschien sehr viel besser. Darum, liebe Frau Ihnenfeldt, befinden wir uns heute hier in Ihren Räumlichkeiten am Dortmunder e-port, um zusammen ein Experteninterview über den Wandel auf dem deutschen Arbeitsmarkt mit Blick auf wichtige Einflussfaktoren zu führen.

Vermeintlicher Fachkräftemangel in Deutschland

Ein großes Thema, welches Deutschland sehr zu bewegen scheint ist der (vermeintliche) Fachkräftemangel. Dieser wurde in den letzten Monaten und Jahren rege diskutiert. Viele sind sich einig, dass es diesen gibt. Allerdings wurden in den letzten paar Jahren auch immer wieder Stimmen laut, die behaupteten der Fachkräftemangel würde in dieser Rigorosität nicht bestehen. Vielmehr sei er eine Ausrede der „alten“ Generation um die eigene Unfähigkeit im Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln wie z.B. Social Media, zu vertuschen. Es scheint sich hier also um eine Art „Clash der Generationen“ zu handeln.

Was denken Sie im Allgemeinen über die Diskussion um den Fachkräftemangel in Deutschland?

Eva Ihnenfeldt: Ich denke, dass es da mehrere Perspektiven gibt und wie immer im Leben sich jede Perspektive von der anderen extrem unterscheidet. Auf der einen Seite ist gerade im produzierenden Bereich der Fachkräftemangel absolut bedrohlich. Das weiß ich, da ich auch viel mit Arbeitgebern und produzierenden Unternehmen gerade im Bereich Südwestfalen zu tun habe, die ganz große Probleme mit Nachwuchs und mit Ingenieuren haben. Von daher ist es auf jeden Fall richtig. Aber da Deutschland zu mehr als 70% eine Dienstleistungsmarkt ist und im Dienstleistungsbereich ganz andere Gesetze herrschen, ist in diesem Bereich der Fachkräftemangel ganz sicher auch ein Kommunikationsproblem zwischen Arbeitgebern und potenziellen Arbeitnehmern.

Gab es oder gibt es in Deutschland überhaupt einen Fachkräftemangel in der so oft proklamierten Rigorosität?

Wie gesagt, denke ich: Ja, es gibt auf jeden Fall einen Fachkräftemangel in Deutschland in den Bereichen Technik, in MINT-Fächern und im produzierenden Bereich.

Benutzen deutsche Arbeitgeber den Fachkräftemangel als eine Ausrede, da sie unfähig sind moderne Personalbeschaffungsmethoden wie z.B. Social Media Recruiting anzunehmen und einzusetzen?

Eva Ihnenfeldt: Auch wenn diese Frage manipulativ formuliert und meinungsbildendend ist, möchte ich dennoch darauf antworten. Überall in allen Bereichen des Lebens, gibt es unterschiedliche Menschen, die auch unterschiedliche äußere Einflüsse als selbst geschaffen oder als Schicksalsschlag von außen betrachten. Und so gibt es auch bei Arbeitgebern ganz sicher viele, die die eigene Unfähigkeit, sich zu verändern, damit begründen, dass eben die Außenwelt schuld ist. Ja, definitiv, natürlich gibt es diese Art von Arbeitgebern, aber es gibt auch viele andere, gerade bei jungen Unternehmen. Bei denen, die jetzt auf den Markt strömen, wächst eben auch eine ganz andere Kultur heran, und ich habe auch viele Arbeitgeber kennengelernt, die sich sehr viel Mühe geben mit Mitarbeiteraufbau, Personalpolitik und auch Kultur im Unternehmen.

Also ist es eher eine „Mal so Mal so Sache“, gar nicht so sehr eine allgemeine und pauschale Angelegenheit?

Es ist wie überall, es gibt immer solche und solche.

Kommen wir zum „Clash“ der Generationen. Kann man den Fachkräftemangel als das Ergebnis aus diesem „Zusammenstoß“ zwischen der „alten“ und der „neuen“ Generation ansehen, da es zwischen diesen beiden Generationen erhebliche Unterschiede in ihrem Verhalten gibt?

Eva Ihnenfeldt: In unserem Unternehmernetzwerk KMU digital ist gerade diese Frage zurzeit sehr aktuell, wir werden auch Mitte Februar speziell eine Veranstaltung genau zu diesem Thema haben, wo es darum geht, wie sich die „Generation Y“ von der „Generation Golf“ und den „Baby Boomern“ unterscheidet. Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede zwischen diesen drei Generationen. Und natürlich ist gerade in dieser digitalen Revolution das Verhalten extrem geprägt durch Technik, durch verändertes Kommunikationsverhalten und somit auch trennend zwischen „alt“ und „jung“.

Einflussgröße „Generation Y“ und Social Media

In der jüngeren Vergangenheit hörte man immer öfter den Begriff „Generation Y“ im Zusammenhang mit der Arbeitswelt. Diese Generation soll durch ihre technologischen Möglichkeiten gänzlich anders sein als alle davor. Dadurch soll sie in ihrem Verhalten in Bezug auf viele Belange des Lebens ganz anders auftreten. So auch in Sachen Arbeit.

Was denken Sie im Allgemeinen über die Generation Y?

Eva Ihnenfeldt:  Es fällt mir schwer hierauf eine passende Antwort zu geben, da ich es schwierig finde eine allgemeingültige Aussage über eine ganze Personengruppe zu machen. Aber ich will dennoch eine Antwort auf Ihre Frage geben: Als Lehrende und Referentin unterrichte ich häufig auch Studentinnen und Studenten. Habe also einen direkten Bezug zur Generation Y. Ich denke, dass das soziale Engagement und der Wunsch, die Welt ein bisschen besser zu machen, in dieser Generation sehr stark ausgeprägt ist, was mir sehr gut gefällt.

Ich sehe, dass sich in den letzten fünf Jahren der selbstverständliche, unbelastete Umgang mit Social Media und sozialen Netzwerken sehr positiv entwickelt hat. Vor fünf Jahren war es noch so, dass in meinen Marketingkursen eine sehr hohe Skepsis bestand, und die jungen Menschen eigentlich nur „studiVZ“ akzeptierten. Aber heute guckt jeder wo er sich wohlfühlt, wo er mit seinen Hobbys, seinen Interessen, seinen Freunden am besten aufgehoben ist, einige nutzen Nischennetzwerke, andere nutzen wiederum aktiv Facebook, auch die gibt es immer noch, und man spürt diese Souveränität mit den digitalen Instrumenten.

Welche sind Ihrer Meinung nach die krassesten Auswirkungen bzw. Einflüsse von Social Media auf den deutschen Arbeitsmarkt?

Eva_Ihnenfeldt_TischAn aller erster Stelle steht, dass Print mittlerweile völlig uneffektiv ist. Ich kann vielleicht noch über Anzeigenblätter einen Lagerarbeiter finden, oder eine Kellnerin, aber Fach- und Führungskräfte erreiche ich definitiv nur noch übers Internet. Und hier ist das Verhalten zwischen Arbeitssuchenden und Karrieresuchenden völlig unterschiedlich von dem der kleinen und mittleren Unternehmen und Arbeitgeber. Arbeitgeber haben nicht immer das Budget um StepStone, Monster, Xing etc. kommerziell zu nutzen. Sie wenden sich im Normalfall an die Agentur für Arbeit.

Aber kaum ein Hochschulabsolvent oder eine „junge“ Führungskraft würde die Plattform der Agentur für Arbeit freiwillig nutzen, weil sie sehr „verspamt“ ist und sich dort auch viele schwarze Schafe tummeln und die Usability unerträglich ist. Social Media ist da eine wichtige Ergänzung, wo Arbeitgeber sich transparent und emotional präsentieren können, und auch abseits von Monster, Stepstone und Co. mit den Interessenten ins Gespräch kommen können. An aller erster Stelle stehen im DACH-Raum die Business Plattform Xing, im internationalen Bereich LinkedIn. Aber auch Facebook und Karriereblogs sind sehr wichtige Instrumente, um Arbeitskräfte zu gewinnen und zu binden.

Nun heißt es im Zusammenhang mit der aufkommenden Generation immer öfter, dass diese, bestehende Machverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verändert bzw. verschoben hat. Hat die Generation Y also tatsächlich bestehende Machtverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hier in Deutschland auflösen können?

Eva Ihnenfeldt:  Machtverhältnisse auflösen ist ein sehr großes Wort. Natürlich ist durch Social Media und die weltweite Vernetzung in Echtzeit, viel passiert, was die Machtverhältnisse vom Anbieter hin zum Empfänger verschoben hat. Sowohl im Kundenverhalten, als auch im Unternehmen mit den Mitarbeitern, als auch hin zu den Bürgern im Verhältnis zum Staat. Aber, dass die Machtverhältnisse sich aufgelöst hätten, halte ich für sehr groß gesprochen und übertrieben.

Die nächste Frage baut mehr oder weniger auf der vorangegangenen auf. Sie sagten bereits, dass die Machtverschiebung ein „großes“ Wort ist. Sie haben Ihre Meinung dazu bereits deutlich gemacht. Dennoch möchte ich die nächste Frage stellen. Ist der deutsche Arbeitgeber bedingt durch die Generation Y und Social Media nun viel „schwächer“ und gleichzeitig der neue deutsche Arbeitnehmer viel „stärker“ geworden?

Wie gesagt verschieben sich die Machtverhältnisse definitiv in Richtung Arbeitnehmer, zum Beispiel über Bewertungsplattformen, über interne Kommunikationsgruppen wie bei Facebook, über die Möglichkeit, sich weltweit im Netz über Arbeitgeber zu äußern und auch zu diskutieren. Ja, das bedrückt auch viele Arbeitgeber, und sie haben oft noch keine Möglichkeit gefunden, damit angemessen umzugehen und darauf zu reagieren.

Wandel auf dem deutschen Arbeitsmarkt

Aktuelle Literatur zeigt auf, dass der moderne deutsche Arbeitnehmer viel direkter und persönlicher angesprochen werden will als früher. Ein Social Media Auftritt ist für viele deutsche Arbeitgeber somit unabdingbar. Weiterhin zeigen aktuelle Studien auf, dass es vielen deutschen Arbeitgebern mehr um den Aufbau einer starken Arbeitgebermarke geht, als um die tatsächliche Besetzung von offenen Stellen. Ein „Missbrauch“ von Social Media ist, wenn man denn so will, gegeben.

Was denken Sie im Allgemeinen über den modernen deutschen Arbeitnehmer?

Eva Ihnenfeldt:  Auch hier fällt es mir schwer, eine komplette Bevölkerungsgruppe mit einem einzigen Urteil über einen Kamm zu scheren. Ich kann weder die moderne deutsche Frau, noch den modernen deutschen Arbeitgeber, noch den modernen deutschen Arbeitnehmer skizzieren. Unsere Welt ist bunt, und das ist auch gut so.

Danke sehr. Aber es heißt immer öfter, wie zuvor erwähnt, dass der aktuelle moderne Arbeitnehmer „anders“ ist. Wie sollte dieser moderne deutsche Arbeitnehmer Ihrer Meinung nach angesprochen werden, damit man ihn erfolgreich rekrutieren kann?

Was sehr wichtig ist bei der Rekrutierung in der heutigen Zeit, egal ob von Kunden, Mitarbeitern, Gesprächs- und Geschäftspartnern, ist, dass man dialogorientiert ist. Man kann nur dann Menschen für sich gewinnen, gleichgültig ob man sie für das eigene Unternehmen gewinnen will, für die eigenen Produkte oder für die Ziele, die man verfolgt, kann dies nur geschehen, wenn man in der Lage ist mit ihnen im Dialog zu stehen, sie emotional zu begeistern, und mit ihnen in eine Richtung zu gucken um gemeinsam zu arbeiten. Das ist beim Rekrutieren genauso wichtig wie bei den besagten anderen Zielen, die man im Leben verfolgt.

Sie sprechen von einem Dialog. Wie muss dieser aussehen? Oder anders formuliert: Muss der moderne deutsche Arbeitnehmer unbedingt persönlich und v.a. auf Social Media Plattformen angesprochen werden?

Es gibt immer noch sehr viele Deutsche, die Social Media ablehnen, von daher kann ich da keine einheitliche Linie feststellen. Aber auch wenn man selbst nicht über Social Media kommuniziert, kann man ja passiv lesen, das heißt auch die Skeptiker kann ich über Social Media durchaus erreichen, auch wenn sie passiv bleiben und einfach nur lesen und sich einen Einblick verschaffen. Wichtig ist, dass ich bereit bin, mein Unternehmen transparent und dialogbereit in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Menschen wollen emotional abgeholt werden, Geld verdienen ist nicht mehr das Hauptmotiv, wir sind auf der Maslowschen Bedürfnispyramide langsam soweit, dass persönliches Glück und Selbstverwirklichung größere Motive sind als Geld und Sicherheit.

Das sog. Employer Branding wird immer öfter im Zusammenhang mit moderner Rekrutierung genannt. Ist bei der Ansprache des modernen deutschen Arbeitnehmers auf Social Media Plattformen besagtes Employer Branding vonnöten?

Employer Branding bedeutet, dass ich meine Unternehmenskultur präsentiere. Jedes Unternehmen hat eine eigene spezielle Persönlichkeit und eine eigene Unternehmenskultur. Von daher ist meiner Meinung nach die Ansprache von Arbeitnehmern nicht möglich, wenn ich nicht auch in der Lage bin, diese Persönlichkeit, und diese entsprechende Unternehmenskultur zu transportieren. Ja, Social Media und Employer Branding hängen ganz direkt zusammen.

Nun kommen viele Studien zum Ergebnis, dass Employer Branding zu sehr mit Personalmarketing vermischt wird. Kann man also sagen, dass deutsche Arbeitgeber Social Media und damit verbundenes Recruiting zu sehr für Employer Branding Zwecke „missbrauchen“?

Warum ist das Missbrauch, wenn ich Employer Branding betreibe? Das ist doch in dem Zusammenhang ein übergeordnetes Thema.

Das stimmt absolut. Das spielt da sicher irgendwo mit hinein. Das Problem ist, dass die aktuelle Literatur und verschiedenste Studien zu diesem Thema schreiben, dass auf Social Media Plattformen v.a. in Deutschland gar nicht das Recruiting, welches eigentlich angepriesen wird, auf die Art und Weise stattfindet, stattdessen geht es meist nur um das Employer Branding an sich. Es geht deutschen Arbeitgebern meist nur um eine gute Darstellung. Tatsächliche Rekrutierung findet wiederum wo anders statt.

Eva Ihnenfeldt:  Employer Branding hat grundsätzlich sehr viel mit Authentizität zu tun, damit sie gelingen kann. Von daher ist ein Missbrauch von Employer Branding meiner Auffassung nach nicht möglich. Es sei denn, man entscheidet sich für oberflächliche Werbung, die mit der eigentlichen Unternehmenskultur und den unternehmerischen Zielen nichts zu tun hat, was mir aber bisher ehrlich gesagt noch nicht bewusst begegnet ist. Recruiting ist das Operative, was dem Strategischen untergeordnet ist. Im Recruiting muss ich operativ im täglichen Personalpolitikgeschäft da sein, ansprechbar sein, Suchen, Finden und meine Kontakte professionell auswerten. Da ist mit Sicherheit noch sehr viel von Nöten und die Arbeitgeber müssen noch sehr viel lernen. Aber ein Missbrauch von Employer Branding…da sehe ich keinen Zusammenhang.

Aktuelle und zukünftige „große“ Trends auf dem deutschen Arbeitsmarkt

Viele Experten sind der Meinung, dass der „Boom“ um Social Media vor wenigen Jahren zu einem übertriebenen Hype geführt hat, der in der Form gänzlich unbegründet war. Die gleichen Experten erklärten den Hype um Social Media und dem damit verbundenen Recruiting für „tot“ und somit für beendet. Der deutsche Arbeitgeber ist also wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Eine weitere wichtige Erkenntnis der letzten Zeit ist, dass das sog. „Mobile Recruiting“ als der nächste „große“ Trend angepriesen wird.

Es war in den letzten paar Jahren von einem Hype um Social Media Recruiting die Rede. Was denken Sie im Allgemeinen über den Social Media Hype auf dem deutschen Arbeitsmarkt?

Social Media ist für mich kein Hype, sondern ein „Change“ im Bereich unserer Kommunikationsmöglichkeiten. Standen uns früher nur Telefon und persönliches Gespräch und der postalische Brief zur Verfügung, kam in den neunziger Jahren die E-Mail hinzu, sind wir seit etwa fünf Jahren selbstverständlich in der Lage, in Echtzeit über das Internet weltweit miteinander zu kommunizieren. Das ist ein Entwicklungsschritt, der sich nicht mehr zurückdrehen lässt, von daher würde ich nicht von einem Social Media Hype sprechen, sondern von einer menschlichen Entwicklungsstufe in der Kommunikation, auf die im Arbeitsmarkt reagiert werden muss.

Also ist Social Media für Sie überhaupt kein Hype. Mal angenommen, dass dies ein Hype ist bzw. gewesen ist vor einigen wenigen Jahren, da viele Experten und auch Studien der Meinung sind, dass es maßlos übertrieben worden ist. Immer öfter war in der Vergangenheit vom „Tod“ oder vom Ende von Social Media Recruiting zu lesen. War der Hype um Social Media Recruiting begründet bzw. „echt“ und ist dieser bereits vorbei?

Der Umgang mit Social Media professionalisiert sich immer mehr, je selbstverständlicher und tagtäglicher die Menschen damit umgehen. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf Recruiting und Employer Branding und den deutschen Arbeitsmarkt. Vor ein paar Jahren waren die Illusionen und kindischen Vorstellungen, welche Wunder Social-Media bewirken könnte, ebenso groß wie die Ängste, die damit zusammenhingen – wie bei allem Fremden mit dem man zu tun hat. Sobald das Fremde zum Normalen wird, weicht sowohl die Angst als auch die kindliche Erwartungshaltung. Ich denke wir sind jetzt an einem Punkt, wo man fachlich, sachlich, zukunftsorientiert und mit effizientem Blick über Social Media Recruiting und Employer Branding sprechen und planen kann.

Schauen wir nun in die Zukunft. Was wird auf dem deutschen Arbeitsmarkt in Zukunft im Hinblick auf Social Media und Social Media Recruiting passieren?

Eva Ihnenfeldt:  Meiner Erfahrung und meiner Auffassung nach wird Social Media im Bereich Recruiting das wichtigste Instrument überhaupt werden, weil der Zusammenschluss von Anbieter und Suchendem über Kommunikation und sich Kennenlernen passiert. In einem Bewerbungsgespräch habe ich nur wenige Minuten Zeit, mich darzustellen, und auch das Unternehmen zu prüfen, ob es zu mir passt.

Durch Social Media können beide Seiten sich langsam einander annähern und feststellen, ob sie zusammenpassen oder nicht. Genauso wie sich der Partnersuchmarkt in der Zwischenzeit sehr viel auf professionelle Plattformen konzentriert hat, und man nicht mehr darauf angewiesen ist, zufällige Bekanntschaften in der Umgebung zum Liebes- und Ehepartner zu machen, gibt Social Media auch im Bereich Beruf die Möglichkeit, wirklich passgenau und individuell die richtigen Menschen zusammenzuführen. Je anspruchsvoller ein Beruf, je anspruchsvoller ein Stellenprofil ist, desto wichtiger ist diese passgenaue Verbindung, und man kann es sehr gut mit einer Partnerbörse im Internet vergleichen. Ich bin sicher, Social Media wird das Haupt-Recruiting-Instrument für Fach- und Führungskräfte, abgesehen von Netzwerken im Offline Leben, die natürlich weiterhin das wichtigste Instrument darstellen, um die passenden Mitarbeiter zu finden.

Das sog. Mobile Recruiting ist momentan in aller Munde. Ist es Ihrer Meinung nach der neue „große“ Trend auf dem deutschen Arbeitsmarkt?

Es stimmt, dass wir zunehmend über mobile Geräte auf das Internet zugreifen, und der Desktop und der Laptop immer weiter zurücktreten. Doch für mich ist dieser Zugriff, ob über Desktop, Tablet oder Smartphone nebensächlich. Für mich ist interessant, was inhaltlich passiert, und ob Mobile einen Mehrwert bietet, den eine Desktop-Kommunikation nicht bieten könnte. Apps können sehr hilfreich sein, wenn Sie einen effizienten Mehrwert für beide Seiten bilden. Und natürlich ist es auch möglich, über Local Based Services und andere geobasierte Instrumente anders in Kontakt zu treten als über den Desktop und den Laptop zu Hause und am Arbeitsplatz. Aber als den großen Trend sehe ich das Inhaltliche an und die immer weiter verbesserte Technik im Allgemeinen.

Kann es also sein, dass das Mobile Recruiting sich wie Social Media Recruiting zu einem übertriebenen Hype entwickelt um dann eventuell zu „verpuffen“?

Das ist ebenfalls recht manipulativ und meinungsbildend. Wenn Mobile Recruiting verpuffen würde, würde das bedeuten, dass wir wieder auf das normale Handy zurückfallen, und auch Tablets nicht mehr zu unserem Alltag gehören. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich, beziehungsweise sogar für undenkbar. Das Smartphone und das mobile Endgerät sind zu einem verlängerten Teil unseres Körpers geworden und von daher sehr wichtig, um in der heutigen Zeit das zu nutzen, was die Zeit uns an Möglichkeiten bietet. Auch hier handelt es sich nicht um einen Hype, sondern um eine menschliche Entwicklungsstufe, die sowohl Chancen als auch Risiken bietet, aber nicht wieder weggeht, genau wie das Auto nicht wieder weggegangen ist.

Die „beste“ Social Media Recruiting Plattform für Deutschland

Einige Social Media Plattformen sind eher für die Rekrutierung geeignet als andere. Wiederum andere sind eher für das Employer Branding geeignet.

Ganz allgemein gefragt: Welches soziale Netzwerk ist Ihrer Meinung nach eher für die Rekrutierung geeignet?

Auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist unbestritten das Business-Netzwerk Xing mit großem Vorsprung, dass Rekrutierungsportal Nummer 1. Doch sobald ein Unternehmen international aufgestellt ist, was in der heutigen Zeit für immer mehr Unternehmen zutrifft, sollte man überlegen, ob man den professionellen Einsatz von LinkedIn nicht bevorzugt. LinkedIn bietet in den Funktionalitäten sehr viele Möglichkeiten, gerade was das virale Marketing angeht, die XING so nicht bietet. Aber ganz klar, für den deutschen Arbeitsmarkt ist Xing das wichtigste Rekrutierungsinstrument. Facebook ist auch wichtig, aber eher um Einblicke zu bieten in den Alltag des Unternehmens, in den Umgang miteinander, in den Umgang mit Kunden und Kooperationspartnern und für die Tonalität.

Kommen wir nun zum Verhalten auf Social Media Plattformen. Was sollten deutsche Arbeitgeber auf klassischen sozialen Netzwerken (hiermit sind soziale Netzwerke gemeint, die ihren Fokus auf die private Kommunikation ausgerichtet haben) wie z.B. Facebook, YouTube, Twitter und Co. eher tun als auf anderen nicht klassischen Netzwerken?

Die privat ausgerichteten sozialen Netzwerke wie Facebook, YouTube, Instagram, Snapchat und Co. eignen sich dafür, private Einblicke zu geben und auf einer persönlichen, privaten Ebene miteinander zu kommunizieren. Twitter bildet einen Sonderfall, weil es weiterhin ein Elitenetzwerk ist von Experten der verschiedensten Bereiche, und darum auch nur spezielle Multiplikatoren, Blogger, Journalisten und Experten anspricht. Ansonsten ist es bei jedem Unternehmen anders, es gibt keine allgemeine Regel, Employer Branding ist im Falle eines „Consumer Unternehmens“ sehr gut bei Instagram und Pinterest möglich, da es hier viele Bilder gibt, ein „B2B-Unternehmen“ wiederum ist vielleicht bei YouTube mit Tutorials und Einblicken in die Maschinen Bedienbarkeit, gut aufgehoben, Facebook könnte bei Dienstleistungsunternehmen, Hotels etc., ein wunderschöner Baustein sein, um den Umgang miteinander und den Spaß an der Arbeit zu transportieren.

Sie sprechen vom Employer Branding. Wie sollten deutsche Arbeitgeber im Hinblick auf Karrierenetzwerke wie Xing und LinkedIn auftreten?

Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig bei XING und LinkedIn, dass die Personalverantwortlichen in die Tiefen der Funktionalitäten einsteigen und diese beherrschen. Immer wenn ich etwas nur oberflächlich kenne und benutze, wirke ich dilettantisch. Das kann gute Bewerber abschrecken, die dann die Arbeitgeber nicht wirklich ernst nehmen. Darum ist es meiner Meinung nach unabdingbar, dass deutsche Arbeitgeber sich intensiv weiterbilden und Xing und LinkedIn souverän benutzen und wissen was sie dort tun können, um Bewerber anzusprechen und um das Unternehmen zu präsentieren. Ganz wichtig ist dabei die Bewertungsplattform kununu.

Sie sprechen von einer guten Präsentation und der Bewertungsplattform kununu. Wie wichtig ist es, dass man als Arbeitgeber das Employer Branding nicht zu sehr übertreibt oder gänzlich darauf verzichtet auf Netzwerken wie Xing und LinkedIn um potentielle Mitarbeiter nicht zu vergraulen?

Eine Gefahr ist es ganz sicherlich wie im Marketing, dass man versucht, die eigene Marke zu präsentieren, ohne dass man wirklich mit Authentizität und Zugewandtheit dahintersteckt. Wenn Employer-Branding so aussieht, dass man nur die Werbung als Arbeitgebermarke in den Vordergrund schiebt, ohne dialogorientiert und zugewandt zu kommunizieren, geht ganz bestimmt der Schuss nach hinten los. Von so einem Unternehmen, das nur protzt und sich übertrieben in den Mittelpunkt stellt, würden sich sicher sehr viele potentielle Bewerber abwenden, und tun gut daran das zu tun. Auch das ist eine Art von Employer Branding, Protzen und übertriebene Selbstdarstellung, Lügen und übertreiben schrecken genauso Arbeitnehmer ab, wie auch in anderen Bereichen des Lebens interessierte Menschen durch so ein Verhalten abgeschreckt würden.

Das Bewertungsportal kununu haben Sie bereits angesprochen. Sollten deutsche Arbeitgeber auf Arbeitgeberbewertungsportalen wie kununu vertreten sein um Ihr Image als attraktiver Arbeitgeber aufzubessern?

Ich finde es sehr wichtig, sich Arbeitgeberbewertungsportalen offen zu stellen, mag es kununu sein, glassdoor, oder andere. Doch der Zusatz in dieser Frage, um sich als attraktiver Arbeitgeber aufzubessern, impliziert wieder, dass dieser Arbeitgeber lügt. Das würde ich absolut ablehnen und denke, dass ein guter Arbeitgeber es nicht nötig hat, hier mit gefälschten Bewertungen, mit künstlichem Druck auf Arbeitnehmer, die positiv bewerten sollen, oder anderen unethischen Maßnahmen, zu arbeiten. Ganz sicher wird es das geben, aber ganz sicher wird das auch sehr schnell entlarvt. I

ch selbst kenne ein Unternehmen aus Dortmund, das versucht hat, ein negatives Image als Arbeitgeber über kununu aufzubessern. Was es erleben musste war, dass ein „Shitstorm“ über dieses Unternehmen hereinbrach. Ich glaube nicht, dass sich über längere Zeit ein gefaktes Arbeitgeberprofil bei kununu und Co. erfolgreich aufrechterhalten lässt. Dafür ist das Internet zu direkt, und es ist möglich, anonym das Ganze eben richtig zu stellen.

Bei der vorletzten Frage geht es ebenfalls um Arbeitgeberbewertungsportale. Sollten deutsche Arbeitgeber auf Arbeitgeberbewertungsplattformen wie das zuvor erwähnte kununu vertreten sein um negative Kritik vermeiden zu können um z.B. somit mit potentiellen Mitarbeitern auf Augenhöhe kommunizieren zu können?

Allgemein ist es auf allen Social-Media-Plattformen wichtig und eine Grundvoraussetzung, dort selbst vertreten zu sein und somit auch aktiv kommunizieren zu können. Wenn auf kununu negative Bewertung eingehen, ohne dass ich es als Arbeitgeber merke, ohne dass ich selbst bei kununu vertreten bin, habe ich nicht die Möglichkeit, mit den unzufriedenen Bewertenden in Kontakt zu treten. Wichtig ist tatsächlich auf Augenhöhe zu kommunizieren, dafür muss ich mich den sozialen Netzwerken und den Arbeitgeberbewertungsportalen bewusst stellen, und auch bewussten authentischen Umgang damit pflegen.

Möchten Sie noch etwas hinzufügen?

Was ich noch hinzufügen möchte, ist, dass ich sehr glücklich darüber bin, dass wir heute, im Jahr 2016, endlich so weit sind, dass sich die Unternehmen bewusst der neuen Kommunikationsform Social Media stellen. Während vor einigen Jahren noch die Hoffnung der Unternehmen da war, Social Media würde wieder weggehen, während vor einigen Jahren noch die Hoffnung da war, die alten Machtstrukturen würden so weitergehen, ist heute das Bewusstsein da, dass es einen „Change“ geben muss. Gerade junge Leute haben hier sehr viel Einfluss, und das macht mich froh.

Ich bedanke mich vielmals für das Gespräch Frau Ihnenfeldt und wünschen Ihnen weiterhin alles Gute.

Weitere zusätzliche Informationen:

Das Interview wurde durchgeführt von Armağan Şengül
Interview geführt am 02.02.2016 ab 16 Uhr.
Dauer: 46 Min. 22 Sek.

armağan-şengül-fotoInformationen zum Autor:
Name: Armağan Şengül (sprich: Armaan Schengül)
Armağan Şengül bei Xing
Hochschule: Business Technology School BiTS Iserlohn
Studiengang: Communication and Media Management
E-Mail: salmansengul@hotmail.com

Interview durchgeführt im Rahmen: einer Abschlussarbeit mit dem Thema:

„Einfluss von Social Media auf die Personalbeschaffung und Arbeitssuche…
…und weitere Einflüsse, die auf den deutschen Arbeitsmarkt einwirken“

Subjektives Fazit des Autors

Das vorliegende Interview zeigt auf wie sehr sich die Paradigmen der deutschen Gesellschaft gewandelt haben und somit auch die deutsche Arbeitswelt. War früher alles analog und langsam, so ist Vieles nunmehr digital und um ein Vielfaches schneller. Der deutsche Arbeitnehmer hat sich aus seiner Rolle als Bittsteller von einst emanzipiert und kann nun in der Moderne durch die technologischen Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen, ganz anders gegenüber Arbeitgebern auftreten.

Somit ist es ihm auch möglich gänzlich andere Forderungen an Arbeitgeber zu stellen als es früher der Fall war. Aktuelle Megatrends wie der demografische Wandel und der damit verbundene Fachkräftemangel bestehen sicherlich. Allerdings wird auch deutlich, dass u.a. die deutsche Medienlandschaft diesen zu etwas stilisiert haben was er nicht ist, nämlich nicht annähernd so dramatisch wie immer angenommen und wie viele Arbeitgebervertreter es uns gerne weismachen würden.

Die Mitglieder der aktuellen Generation (Generation Y) haben durch Social Media definitiv für einen „Change“ in der deutschen Arbeitswelt gesorgt, indem sie bedingt durch die Dynamiken von Social Media ganz anders kommunizieren können v.a. aber in Bezug auf Arbeit. Diese oft diskutierte Generation hat durch ihre Möglichkeiten vielleicht nicht die bestehenden Machtverhältnisse gänzlich neu ordnen können, zumindest aber für einen Ausgleich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sorgen können. Zumindest scheint dies so.

Es wird deutlich, dass Social Media kein Hype war, der mal eben vorbeigeht. Vielmehr schienen die Erwartungen an Social Media Recruiting zu übertrieben. An diesen hohen Erwartungen ist nicht Social Media Recruiting gescheitert. Vielmehr waren es die deutschen Arbeitgeber, die dieses so mächtige Instrument nicht richtig einzusetzen verstanden haben.

Die Rollen von klassischen Karrierenetzwerken wie Xing und LinkedIn sind v.a. für Fach-, Führungskräfte und Akademiker enorm wichtig. Auch klassische soziale Netzwerke wie Facebook und Co. werden mit immer höherer Marktdurchdringung immer wichtiger, wenn auch sie sich für das klassische Rekrutierung, momentan nur bedingt eignen. Viel eher sind sie für eine ausformulierte Employer Branding Strategie unabdingbar.

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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