Sind Menschen, die sich für Politik interessieren, nervige Partykiller?

Ja, ich habe es vor fünfzehn Jahren sogar geschafft, meine Familie auseinanderzutreiben mit meiner Politiksucht. Damals, im Jahr 2010, hatte es auf Haiti ein schweres Erdbeben gegeben, und ich war emotional aufgewühlt aufgrund der vielen Toten (mindestens 200.000) und der schrecklichen Not, die bestand. Als ich auf einer familiären Geburtstagsfeier hörte, wie die ältere Generation den Betroffenen die Schuld gab an den Folgen der Katastrophe, weil die Haitianer faul und selbstsüchtig wären, eskalierte die Party dermaßen, dass die Familie sich nie wieder davon erholte. Das war mein persönlicher Moment der Spaltungserfahrung. Viele Familien rissen sich später in der Corona-Pandemie entzwei, heute bei der Spaltung „rechts gegen links“ und „Woke gegen traditionelle Werte“ wird es langsam ruhiger. Man redet einfach nicht mehr über Politik.

Politik ist tabu

Bild von 愚木混株 Cdd20 auf Pixabay

Viele Menschen schauen nicht einmal mehr Nachrichten. Politik ist zum Tabu geworden. Für mich kommt eine solche Konsequenz nicht infrage. Ich habe darüber nachgedacht, da ich nicht erneut erleben will, wie ich mich familiär ausstoße, doch alles, was ich anbieten kann, ist, dass man mir mit einem vereinbarten Code-Wort ein Gesprächsthema verbietet. Ich will ja keinem auf den Wecker gehen! Ich will nicht nerven, nicht missionieren, nicht recht behalten. Es macht mir nichts aus, Gespräche über Politik, Geld und Machtstrukturen zu meiden – doch beschäftigen werde ich mich weiter damit. Und zwar wie schon als Jugendliche unter dem Motto:

Misstraue jeder Obrigkeit, die Gewalt über die Menschen hat

Gerade habe ich bei Ipsos, einem weltweit agierenden Marktforschungsunternehmen, eine Umfrage gefunden, die sich im Jahr 2018 mit der Frage beschäftigt hat, wie sehr Angehörige verschiedener Nationen ihren Herrschaftssystemen vertrauen – also Politik, Finanzsystemen, privaten Unternehmen. Es war für mich erstaunlich zu sehen, wie extrem das Misstrauen in die Politik vor allem in Spanien und Ungarn (90%) war. Erschreckt hat mich, dass man sich in Russland und der Türkei mit 65 Prozent einen „starken Führer“ wünscht – in Frankreich immerhin mit 61 Prozent. Nur 17 Prozent der Deutschen bevorzugten ein solches Führer-System. Gottseidank…
ipsos 2028: Das Misstrauen ist groß: Populismus und Politikverdrossenheit in Deutschland und der Welt

Man kann ja sowieso nichts ändern…

Ist es also am besten, sich nicht um Politik zu kümmern? Weil es sowieso nichts bringt? Es sei denn, man hat keine andere Wahl, wie zum Beispiel in Südamerika, wo es der Bevölkerung dermaßen schlecht geht, dass sie sich auflehnen muss, um nicht hilflos in bitterer Armut, Ausbeutung und Verelendung zu krepieren…

Für die Masse der Menschen gilt diese Einstellung zur Politik abseits einer persönlichen Betroffenheit auf jeden Fall. Solange man ein Dach über dem Kopf hat, Heizung, Essen, Trinken, Kleidung, Hilfe im Krankheitsfall und soziale Unterstützung bei Arbeitslosigkeit, kann man auch damit leben, dass das System der Profiteure besser sein könnte – gerechter, barmherziger, zukunftsorientierter, Natur-verantwortlicher und selbstbestimmter. Und bitte bitte: keinen Krieg…

Die Politiksüchtigen…

Aber da gibt es immer einen kleinen Prozentsatz an Einwohnern, die regelrecht „süchtig“ sind danach, politische Prozesse und Machtstrukturen verstehen zu wollen. Selbst unter dem Nazisystem fanden diese Süchtigen noch Mittel und Wege, sich zu vernetzen und flüsternd auszutauschen. Viele von ihnen wurden geschnappt – doch einige auch nicht – immerhin!

Aus meiner eigenen Familie weiß ich, wie wichtig es für das Selbstwertgefühl der Arbeiter im Ruhrgebiet war, sich politisch abseits der offiziellen Medien weiterzubilden, untereinander hart zu debattieren und sich gewerkschaftlich geschlossen und kampfbereit zu engagieren.

Das ist der mütterliche Ahnenstrang, aus dem ich komme, und diesem bin ich treu geblieben. 1981 war ich bei den Grünen, merkte jedoch rasch, wie sich die Zusammensetzung der Gruppe änderte, nachdem die Grünen den Einzug in die Parlamente beschlossen hatten. Darum trat ich dann aus. Später war ich mit einer Selbsthilfegruppe in der kommunalen Sozialpolitik tätig. Das war großartig – wir konnten finanziell so einiges für die Sozialhilfeempfänger erkämpfen.

Politik und berufliche Selbstständigkeit

Nach meiner Ausbildung verlagerte sich mein politisches Engagement auf meine berufliche Selbstständigkeit: Gründung einer eingetragenen Genossenschaft für arbeitslose Existenzgründer; Gründung einer Bildungsakademie für Selbstständige, die ihren unternehmerischen Erfolg ohne Werbebudgets gestalten mussten; Dozentin, Beraterin und Sozialcoach für Menschen, deren berufliche und finanzielle Unabhängigkeit zerstört war. Das mache ich bis heute.

Ja, ich bin nervig mit meinem Hang zum politischen Tatendrang. Wie oft schon habe ich mein abgesichertes Leben hingeworfen, um meiner Leidenschaft nachzugehen. Zunächst – seit frühester Jugend – als Mitglied von Gruppen – seit rund fünfzehn Jahren allein. Ich mag Gruppen nicht mehr, da ich mich nicht unterordnen kann. Im Alter werde ich immer unregierbarer.

Keine Ahnung, was mein nächster Schritt sein wird. Je nachdem, wie sich die politische Situation entwickelt, wird das Schicksal mir zeigen, wohin die Reise geht. Meine tapferen Arbeiter-Ahnen werden schon etwas finden für mich und meine politische Einstellung „Trau keinem, der Teil des politischen Systems der Profiteure ist“.

Ich informiere mich weiter und vertraue darauf, dass etwas Neues auf mich wartet. Hauptsache, es geht um die Würde der Schwachen, Alten, Machtlosen – oder auch einfach um den Erhalt des Lebensnotwendigsten für die Armen…

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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