Corona-Kater: Wie geht es jetzt weiter?

OK, ich bin ein „Gläubiger“. Zeige in den Himmel und behaupte, dort wäre eine fliegend Kuh – und ich werde Dir glauben und hinsehen. In der Zeit vom 23. März bis 19. April 2020 war ich überwältigt davon, wie diszipliniert wir Bürger in Deutschland den Lockdown befolgt haben. Ich war überzeugt davon, dass nun eine ganz neue Zeit anbricht. Schluss mit dem Casino-Kapitalismus, Schluss mit der unwürdigen Konsumentenidentität; her mit alternativen Wirtschafts-Visionen und mit der Besinnung auf Persönlichkeitsentwicklung und persönlichem Lebenssinn. Doch was ist davon geblieben – nichts als ein Kater?

Ich gebe zu, dass ich die gesundheitliche Gefahr des neuartigen Virus nie wirklich bedrohlich empfand. Im Angesicht dessen, wie viele Menschen auf der Welt an Tuberkulose, Malaria, Hunger und anderen Armutsfolgen sterben, erschien mir von Anfang an diese Pandemie als eine globale Massenhysterie. Immerhin: In den ersten Monaten, in denen in der chinesischen Millionenstadt Wuhan der neuartige Virus tobte, faszinierten mich (unter Schaudern) die Ereignisse. Was kommt da auf uns zu? Stephen King’s „The Stand“ live?

Dann kamen die verschiedenen Phasen meiner psychischen Verfassung. Als „Gläubige“ sah ich von Anfang an einen tiefen Sinn in dem globalen Problem. Schließlich haben wir unseren Planeten ordentlich geplündert und missbraucht in den letzten Jahrzehnten, und die Degradierung des menschlichen Seins zum Konsumenten, dessen Lebenszweck darin besteht, in den Urlaub zu fahren und seinen Lifestyle zu optimieren, gleicht einer Entkernung unseres eigentlichen Strebens nach Liebe, Mitgefühl, Harmonie und Sinn.

Hinzu kommt die unaufhaltsame Zuspitzung dessen, was wir seit der Finanzkrise erleben. Ständig werden Löcher in der Finanzwirtschaft gestopft durch Zinssenkungen und die Erschaffung neuen Geldes. Das Vermögen der Reichsten wächst weiter. Unmoralisches Verhalten von Banken und Investoren wird mit Gewinnen belohnt. Wirtschaft, Börse und Vermögen  driften immer weiter auseinander. Das, was ich an der freien Entfaltung der Märkte liebe, wird pervertiert durch die Macht der Investoren und Digital-Giganten. Könnte der Planet Erde in seiner Verzweiflung nach einer Pandemie „gerufen“ haben, um dieser Zerstörung von Leben und Geist Einhalt zu gebieten?

Der Kater kam gestern, beim Frühstück – verrückt

Und dann plötzlich war es vorbei – puff. Ich saß Samstag, den 23. Mai 2020 beim Frühstück, las wie immer meinen Medien-Spiegel, und plötzlich überwältigte mich die Gewissheit, dass es überhaupt nichts gebracht hat. US-Milliardäre haben ihr Vermögen in der Krise um insgesamt 434 Milliarden US-Dollar vermehrt, die fünf reichsten Menschen der Welt (Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Bill Gates, Warren Buffet und und Oracle-Chef Larry Ellison) allein konnten ihre Vermögenszuwächse um 76 Milliarden Dollar steigern bisher.

War ich noch wenige Tage zuvor der Meinung, dass die Finanzmärkte und auch der Profit der Investoren zusammenbrechen würden unter der Last des künstlich erschaffenen Geldes, war ich plötzlich komplett desillusioniert. Es trifft wie immer nur die Kleinen – die Schere von Macht und Geld geht weiter auseinander. Während weltweit unzählige Tagelöhner und prekär Beschäftigte leiden und sterben an den Konsequenzen der Pandemie, können die Profiteure mit naheliegenden Investitions-Strategien und Übernahmen die Verteilung der Welt weiter vorantreiben. Von den Allmachtsphantasien durch Überwachung ganz zu schweigen…

Niemand wusste anfangs, wie gefährlich das unbekannte Virus ist. Jede einzelne Maßnahme war richtig und verständlich. Doch selbst strenge Lockdowns konnten nicht zum gewünschten Erfolg führen. Länder wie Italien und Spanien haben trotz strengster Einschränkungen entsetzlich unter der Pandemie gelitten – und noch ist das Schlimmste nicht vorbei, wie die USA, Brasilien und Russland zeigen.

Nun so langsam rücken auch die Sekundärschäden der Beschränkungen und Produktionsausfälle ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Nicht nur in Afrika und Asien sind die Leidenswege durch mangelnde Gesundheitsversorgung, Hunger und Verelendung während der Corona-Krise verheerend. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Thüringen beendet morgen, am 25. Mai 2020 seine Beschränkungen. „Von Ver- zu Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbstverantwortetem Maßhalten“ ist das Gebot der Stunde, und ich bin sicher, dass die anderen Bundesländer nach und nach folgen.

Außer Spesen nichts gewesen?

Nun sitze ich da und fühle mich beschämt. Plötzlich erkenne ich, wie ich selbst zum Profiteur mutierte in meinem Gläubigen-Wahn, das alles hätte einen tiefen Sinn und würde die Welt zum Guten verändern. Das passte ganz einfach hervorragend in meine Persönlichkeitsstruktur, und ich habe mir wahrlich eine gemütliche Zeit gemacht während des Lockdowns: Alles so herrlich ruhig um mich herum – so herrlich viel Freizeit und so herrlich viel Entertainment. Wie schön kann Social Distancing sein, wenn man es sich leisten kann und wenn man sowieso Anhänger von Kontemplation (innere Sammlung und geistiges Versenken) ist. Was für eine Arroganz! Ich bin tief beschämt und fühle mich wie jemand, der fröhlich auf Gräbern tanzte.

Was nun?

Heute früh fand ich im Focus das Video eines Oberarztes aus Zürich, der vor einer Woche in seiner Verzweiflung ein elfminütiges Video auf YouTube veröffentlicht hat und innerhalb einer einzigen Woche 500.000 Aufrufe erhielt. Dieser Intensivmediziner und Anästhesist kann schwerlich als Verschwörungstheoretiker und Rechtsradikaler eingestuft werden – man sieht genau, wie schwer es dem medial unerfahrenen Arzt fällt, in Worte zu fassen, was er beruflich und menschlich erlebt.

Mut, Tatkraft, Kommunikation und Disziplin sind nun gefragt, um die Trümmer der Corona-Katastrophe wegzuräumen und etwas Neues zu erschaffen. Dank der hervorragenden Sozialsysteme in Deutschland hoffe ich, dass wir keine schwerwiegende Arbeitslosigkeit und nicht zu viele Mittelstands-Insolvenzen und Übernahmen erleben werden. Natürlich zeigen sich schon jetzt viele Insolvenzen in Gastronomie, Einzelhandel und Tourismus – doch ich weiß auch, dass gerade die kleinen Unternehmer erstaunliche Kräfte haben, wenn es darum geht, sich aus dem Scheitern erneut aufzuschwingen.

Ich wünsche mir, dass wir Bürger, die während des Lockdowns weltweit gelobt wurden für ihre Disziplin, nun Verantwortung übernehmen für den Wiederaufbau. Verantwortung übernehmen in unserer Gemeinde, unserer Nachbarschaft, in der Politik. Ich wünsche mir Politiker in den Kommunen und Kreisen, die den Dialog suchen mit den Bürgern. Ich wünsche mir viele Initiativen und Arbeitskreise, die weiterhin daran arbeiten, dass sich etwas verändert zum Wohle der Menschen und aller fühlenden Lebewesen.

Ich weiß, der Mensch vergisst schnell. Auch ich kann mich womöglich schon in vier Wochen kaum noch erinnern an meinen Glauben an einen Change. Schon nächsten Donnerstag bin ich mit meiner Freundin zum Shoppen verabredet – und ich freu mich darauf. Vielleicht wird mein Interesse an Politik schon in wenigen Tagen nachlassen, da ich mich ja nun wieder konzentrieren kann auf mein Business. „Von nichts kommt nichts“ wissen nicht nur die US-Milliardäre – das weiß ich auch. Und glaubt mir, ich bin moralisch keinen Deut besser als die „großen Fünf“ – ich bin nur nicht so erfolgreich. 😉

Danke fürs Zuhören. Hat gut getan, das alles aufzuschreiben. Nun heißt es: Ärmel aufkrempeln und arbeiten. Die Zeit des gemütlichen Laissez-faire sind vorüber. Auch gut. Wer weiß, vielleicht habe ich doch etwas gelernt. Die „Gläubige“ gibt ja doch niemals auf.

Und nun folgt noch das Video des Züricher Arztes, der mir Laien so sehr aus dem Herzen spricht. Sein eigenes Video hat der Arzt aus verständlichen Gründen (ich hoffe, der Familienvater bekommt kein Kündigung!) zwischenzeitlich zwar auf privat gestellt, doch neben einigen Medien (Focus, Blick aus der Schweiz…) wurde es immer wieder bei YouTube hochgeladen. Schätze es wird bald gesperrt, doch bis dahin lohnt es sich, die 11 Minuten aufzunehmen. Ist es weg, lohnt es sich, in den Medien darüber zu lesen.

Focus.de: Mediziner mit Video-Appell: „Wir alle haben jetzt diese einmalige Chance“

Blick.ch: Züricher Oberarzt verharmlost Corona-Epidemie 

Baselonline: Oberarzt postet Corona-Video – Zürcher Unispital distanziert sich

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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