60 Prozent der vier Millionen Selbstständigen und Kleinstunternehmen in Deutschland verzeichnen seit der Corona-Krise heftige Einkommenseinbußen, wie das Handelsblatt berichtet. Im Schnitt sind es mehr als 1.200 Euro monatlich, die fehlen. Wie das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsförderung) ermittelt hat, können knapp die Hälfte der Selbstständigen diese Einkommensverluste noch etwa drei Monate lang durchhalten – 20 Prozent haben Liquiditätsreserven für sechs bis zwölf Monate. Blutet die Schicht der Selbstständigen aus?
Warum gibt es vier Millionen Selbstständige in Deutschland?
Selbstständige und Freiberufler sind unverzichtbar in einer Wirtschaftswelt, die sich ständig rasend schnell verändert. Für viele kleine und mittlere Unternehmen ist es gar nicht möglich, allein auf ihr Stammpersonal zu setzen. Ob in der IT, im Kreativbereich, in der Lehre oder in anderen Dienstleistungsbereichen: Schwankungen in der Auftragslage und ständige Anpassung an Innovationen und Kundenerwartungen gehen Hand in Hand mit der Beauftragung von Soloselbstständigen (auch Freiberufler ohne Mitarbeiter sind Soloselbstständige), die je nach Auftragslage eingesetzt werden können, ohne dass sich dadurch weitere Verpflichtungen für den Auftraggeber ergeben.
Das Selbstständigen-Prekariat
Der Gesetzgeber sieht diese Entwicklung mit Misstrauen und hat wenig Interesse daran, diesen Trend (in den USA wird schon jeder dritte Job von „Freien“ ausgeführt) zu unterstützen. Das ist verständlich, da ja auch so etwas wie Mindestlohn nicht für Selbstständige existiert. Man spricht auch gern vom Selbstständigen-Prekariat. Die Uber-Fahrer etwa agieren bekannterweise ohne jegliche Absicherung – oder auch selbstständige Paketboten kennen wir, die manchmal als Subsub-„Unternehmer“ in ihren Autos schlafen, da sie sich keine Wohnung leisten können.
Gibt es einen dritten Weg?
Meiner Meinung nach ist der Weg Deutschlands, den Trend zu mehr Selbstständigkeit zu boykottieren, indem diese sich ausbreitende Kaste „ausgeblutet“ und versorgungstechnisch im Stich gelassen wird, falsch. Warum kann man nicht alle Erwerbstätigen (auch Beamte und Selbstständige) in unsere Sozialversicherungssysteme integrieren? In Dänemark etwa ist die „Volksrente“ für alle Bürger da, die ein bestimmtes Alter erreicht haben. Das wäre doch schon mal ein Schritt zu mehr Freiheit!
Focus: Das Rentensystem in Dänemark
Gütiger Herr und gehorsamer Knecht?
Ich bin der Überzeugung, dass das alte System von Unternehmen und abhängig Beschäftigten nicht mehr bedingungslos in unsere Zeit passt. Nicht nur, dass die globalisierte Wirtschaftsentwicklung Veränderungen erfordert – auch unsere Persönlichkeitsentwicklung passt bei vielen Menschen nicht mehr zum Prinzip „Gütiger Chef – gehorsamer Knecht“. Bei steigender Individualität und steigendem Selbstwertgefühl erwarten wir ganz andere Herausforderungen. Wir wollen uns selbstbestimmt weiterentwickeln.
In Deutschland sind Arbeitnehmervertretungen eine wichtige Säule der Gesellschaft. Und das ist gut so. Doch bei vier Millionen Selbstständigen (ja, auch Freiberufler sind Selbstständige) wird es Zeit, dass sich eine politisch relevante Vertretung für Selbstständige etabliert. Ich persönlich wünsche mir eine vollkommene Integration aller Erwerbstätigen zu gleichen Konditionen in unsere Sozialversicherungssysteme – und eine lebenswerte Rente für alle Bürger, so wie in Dänemark, Österreich, den Niederlanden.
Bundestagspetition des VGSD und BAGSF für Selbstständige in der Corona-Krise – hier unterzeichnen
Quelle: Handelsblatt – So schlecht geht es Selbstständigen und Kleinunternehmen in der Corona-Krise