Wenn es nur eine Sache gäbe, die wie durch Zauberhand über Nacht verschwinden würde im Menschheitsgeschlecht, würde unser Planet vielleicht gesund: Wenn wir Menschen aufhören würden, unsere Mitmenschen abzuurteilen. In der letzten Zeit habe ich besonders viel darüber nachdenken müssen. Gerade für Kinder und Jugendliche ist es schwer und unverständlich, wenn sie missachtet und abgeurteilt werden. Kinder sind sehr sensibel dafür und verfügen nicht über die Schutzmechanismen, die sich Erwachsene im Laufe ihres Lebens aufbauen (und die ganz schrecklich sind und zu viel Leid und Ungerechtigkeit führen).
Erinnern möchte ich an ein sechsminütiges Video über ein Musikprojekt mit traurigen, wütenden und genervten Kindern erzählt (unten im Beitrag eingebettet). Singen, Geige spielen, in der Gemeinschaft frei aufgenommen werden – Kinder lernen, an sich zu glauben und kraftvolle Wege zu beschreiten, wenn sie verstehen, wie wertvoll sie sind.
Erwachsene sind doch auch nur groß gezogene Kinder. Alle haben ihre Geschichte. Es ist so unsäglich dumm, den Stab zu brechen über seinen Nächsten. Jedes Mädchen und jeder Junge hat Gründe so zu sein, wie sie und er ist. Jede Frau und jeder Mann strebt danach, stolz auf sich zu sein. Jeder Mensch strebt danach, glücklich zu werden.
Die Kinder im Film können das sehr deutlich ausdrücken, obwohl sie meist aus sozial schwierigen Familien stammen. „Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder…“sagte schon Jesus. Das Video zeigt wunderbar, wie überlegen uns Kinder häufig in ihrer Herzensbildung sind.
Doch was können wir tun, wenn wir verstehen, dass kein Mensch mehr wert ist als der Andere? Was folgt daraus, wenn wir akzeptieren, dass es keine Wertunterschiede gibt? Müssen wir uns dann alles gefallen lassen? Nein, gerade dieses Musikprojekt zeigt, woraus es ankommt, damit wir frei und geborgen unser Leben bewältigen – und unsere Potentiale leben können:
- „You Get What You Give“: Ohne Anstrengung lässt sich nichts gestalten. Wir müssen aus uns selbst heraus die Kraft finden, für unsere Anliegen zu lernen und zu leisten. Das kann uns niemand abnehmen, das ist unser großes Werk auf Erden: Freiwillig und stolz unsere Aufgaben bewältigen. Immer wieder haben wir mit Mutlosigkeit und Bequemlichkeit zu kämpfen. In der Gemeinschaft lässt sich dieser „innere Schweinehund“ besiegen.
- Niemand wird ausgefiltert – alle sind dabei: In diesem Musikprojekt gibt es kein Casting. Nur der innere Antrieb und das gemeinsame Anliegen zählt. Es gibt keinen äußeren Druck und keine konditionierte Verhaltens-Bestrafung oder -Belohnung. Die Freiheit, mit seiner ganzen Persönlichkeit angenommen zu werden, gibt die Kraft, über sich hinauszuwachsen
- Musik ist mit keiner anderen Intelligenz vergleichbar: Unsere musikalische Intelligenz ist wohl die früheste aller Intelligenzen. Schon im Mutterleib erleben wir Melodien und harmonische Klänge. Musik erreicht das Herz und weicht auf, was verhärtet war. Die Fähigkeit, seine Stimme zu gebrauchen oder ein Instrument zu spielen, stärkt die eigene Gestaltungsfähigkeit. Musik in der Gemeinschaft zeigt, was Liebe zum Nächsten bedeutet und wie sich Glück anfühlt.
Mich hat dieses Video sehr berührt. Ich wünsche mir von Herzen, diese Erkenntnis mit in meinen Beruf zu nehmen: Ich möchte meine Students dabei begleiten, dass sie ihr inneres „Ja, ICH will“ ergreifen und nicht, dass sie tun, was von ihnen erwartet wird.
Fremdbestimmung und operante Konditionierungen sind gerade für bildungsnahe Kinder und Erwachsene häufig eine große Last. Schon oft habe ich erlebt, wie Akademiker, die stets versucht haben, alle Erwartungen an sie zu erfüllen, irgendwann zusammenbrechen, da sie sich selbst fremd geworden sind. Burnout kann die Folge sein – ebenso alle möglichen Süchte.
Disziplinlosigkeit und Willensschwäche kenne ich hingegen gut von Menschen, die nie gelernt haben, ihren Leistungswillen zu trainieren und auszuleben. Das, was kleine Kinder so bewundernswert an den Tag legen an probieren, scheitern und üben, kann verloren gehen, wenn sich keine Autorität darum mit einer gewissen Strenge kümmert. Verwahrlosung des Willens macht genau so krank wie fremdbestimmter Ehrgeiz.
Und so gibt es unzählige Erwachsene, die frustriert, enttäuscht und verbittert ihr Streben nach Glück verlernen. Und es gibt unzählige Erwachsene, die sich zu den „Guten“ zählen und ihre Nächsten verdammen. So viele Erwachsene können nicht einmal mehr aussprechen, was sie wirklich bekümmert! Sie kompensieren ihr eigenes Unglück damit, auf andere Autofahrer zu schimpfen oder auf Politiker, oder auf alles Fremde.
Lernt von den Kindern, die schon mit neun, zehn Jahren so viele Gemeinheiten erfahren haben, dass es einem das Herz zersprengen will. Lernt von denen, sie sich durch Anstrengung und Ehrlichkeit aus ihrem Dilemma befreien mit der Kraft der Musik in der Gemeinschaft. Niemand ist besser, niemand ist schlechter. Wir alle wollen dasselbe: Stolz auf uns sein und glücklich leben.