Das Jahr 2019 hat eine tiefgreifende Änderung in mein Leben gebracht. Nach mehr als zehn Jahren habe ich mich pünktlich zu Silvester blitzschlagmäßig verliebt und lebe seit dem 5. Januar mit Uli zusammen. Auch er ist ein ewiger Einzelgänger gewesen und wir staunen Beide immer wieder darüber, dass wir mit so einer Leichtigkeit und Sicherheit dieses neue Leben meistern. Direkt unheimlich, wie gut es funktioniert: Bis auf einige Wochen Trennungspausen (wenn diese Intensität ihm oder mir über den Kopf gewachsen war) sind wir einfach grundglücklich und zufrieden.
Kein Wunder dass Studien sagen, die glücklichsten Menschen seien Verwitwete oder Geschiedene, die sich erneut gebunden haben. Man hat gelernt aus den ersten Beziehungen – und auch ich weiß dankbar zu schätzen, wie schön es ist, nicht alle Verantwortung für alle Entscheidungen allein tragen zu müssen. Und ich staune darüber, wie schön es ist, sich körperliche Nähe zu geben und tiefe Liebe zu empfinden. Erfüllte Sehnsucht ist der Hammer – was für ein unverdientes Geschenk!
Wer Gutes erfährt, muss Gutes geben
Als „alte Katholikin“ weiß ich auch, dass ich sehr leicht all dieses Glück verlieren kann, wenn ich nicht zurückgebe, was mir zuteil geworden ist. Jeder der mich kennt weiß, dass ich zutiefst egoistisch bin. Ich mag mich nicht verstellen, mag nicht lügen und nicht „gute Miene zu bösem Spiel“ machen. Ich habe im Laufe meines Lebens gelernt, „nein“ zu sagen, wenn ich etwas nicht will – und für Dinge zu kämpfen, die ich unbedingt will.
Heute bin ich 60 Jahre alt und weiß, mir bleibt nicht mehr lange. Ich will keine Minute meines Lebens verschwenden an Dinge, hinter denen ich nicht stehe. Das geht wohl vielen älteren Menschen so: Man hat seine Ängste minimiert, sein Selbstvertrauen gefestigt und seine Ansprüche auf das Wesentliche fokussiert: Selbstbestimmt nach den eigenen Werten und Bedürfnissen leben von Moment zu Moment.
Viele Ältere bevorzugen in ihrem selbstbestimmten Leben Reisen, Sport, Erlebnisse, Familie, intensive Freundschaftsbeziehungen – ich hingegen liebe meinen Beruf über alles und mag es, nach einem langen Arbeitstag zu chillen. Urlaube sind mir oft zu verwirrend anders als mein vertrautes Alltagsleben, zu anstrengend und zu nutzlos. Ich liebe es, etwas zu verändern. Als Tourist bin ich eine absolute Niete, die immer nach Hause will. (Gut, dass Uli das so mitträgt! Er war im vergangenen Jahr allein in Chile und ich war unglaublich dankbar, dass ich nicht mitmusste).
Geben und Nehmen – was will ich geben?
Nachdem ich also in eine Art „Glückstopf“ gefallen bin ohne eigenen Verdienst, will ich unbedingt viel von diesem Segen weitergeben. Doch auch das muss ich auf Eva-Art tun, da ich wie gesagt sehr egoistisch bin und mich nicht verstellen kann. Die Begeisterung, die man mir nachsagt rührt genau daher, dass ich so unverschämt anspruchsvoll bin. Wie Oscar Wilde es treffend formulierte: „Ich habe einen ganz einfachen Geschmack: Ich bin stets mit dem Besten zufrieden.“
Was ich gern gebe
Was ich sehr gern gebe ist, anderen Menschen weiterzuhelfen, die etwas wollen. Darin bin ich auch richtig gut, habe ich gemerkt. Jemand will eine neue Stelle, eine neue Aufgabe, will sich selbstständig machen, will seine Lebenssituation verändern, will sich aus psychischem Kummer befreien. Ich bin so dankbar, dass genau diese Menschen mein Klientel sind Tag für Tag – und das nicht zu wenige!
Manchmal habe ich an einem einzigen Tag drei bis vier Gespräche mit Menschen, die ihre Probleme angehen und sich von mir Tipps und Inspiration abholen. Ich liebe es, dafür benutzt zu werden, und bin sehr froh, dass ich dafür kein Honorar nehmen muss. Wichtig ist bei diesen Gesprächen (oft nur halbstündige Blitzdates), dass ich frei bin von monetärem Profit. Das würde den Austausch auf Augenhöhe stören.
Ich könnte mir nicht vorstellen, meinen Lebensunterhalt als Coach zu verdienen, indem ich ausschließlich Menschen helfe, die mich bezahlen können. Das fände ich total schräg und fast pervers. Die mit Geld haben Auswahl unter unzähligen Coaches – die brauchen mich nicht. Nein, ich erhalte mein Honorar in der Regel von Institutionen aus dem Bildungsbereich.
Oder es engagieren mich Unternehmen, mit denen ich verbunden bin. Auch da arbeite ich dann nicht für Geld, sondern für ein gemeinsames Ziel. Die Höhe des Honorars belegt den fairen Handel. Ich bin kein Bettler – ich bin in der Lage, einen Auftrag anzunehmen oder abzulehnen. Was für ein (fragiles) Privileg! Das ist wunderwunderschön. Möge es so bleiben…
Beruflich alles ok – doch was ist privat?
Privat ist es für mich schwieriger mit dem „Nehmen und Geben“ als beruflich. Beruflich weiß ich, dass meine Leute kommen und gehen und dass ich keine langfristigen Verpflichtungen eingehe. Ich gebe freiwillig und ich kann auch nicht ausgenutzt werden. Vor der Möglichkeit, ausgenutzt zu werden, habe ich durchaus auch heute noch Angst. Liebe ist womöglich verbunden mit emotionalen Ansprüchen. Viele Frauen in meinem Alter sehnen sich nach Enkeln oder kümmern sich inniglich um ihre Nachkommen – ich stehe wie ein dummer Tropf vor kleinen Kindern und weiß nichts mit ihnen anzufangen (obwohl ich immerhin vier Kinder geboren habe, auf die ich total stolz bin).
Meine armen, geplagten Kinder wissen das und versuchen, mich so zu nehmen wie ich bin. Ich bin richtig gerührt darüber, wie sie mich schonen und mich Workaholic machen lassen. Ich liebe es, wenn sie Sonntags kommen und ein bisschen aus ihrem Leben erzählen und ich weiß, es geht ihnen gut. Ich liebe es, sie anzuschauen, ihnen zuzuhören und sie in den Arm zu nehmen bei der Begrüßung und beim Abschied.
Wenn es ihnen nicht gut geht, bin ich ebenfalls schlecht drauf und fühle (wie ja auch beruflich) diesen Drang, etwas verändern zu wollen und aktiv dazu beizutragen, dass so schnell wie möglich alles wieder gut wird. Manchmal denke ich, es geht ihnen auch deshalb (zumindest für mich erkennbar) so gut, weil sie keine Lust auf meine manischen Veränderungsaktivitäten haben. Diese Aktivitäten sind ja auch nicht nachhaltig und beziehungsintensivierend – sie sind eher wie ein hysterischer Einsatz, der schnell wieder abflacht, wenn die Versuche nicht die gewünschten Ergebnisse zeigen.
Ich bin nicht nur egoistisch – ich bin auch ein Kurzstreckenläufer. Werde ich müde, drehe ich ab. Ehrlich, meine Kinder haben es nicht leicht mit dieser ungeeigneten Mutter… Ich habe auch hier einfach nur Glück gehabt, dass sie so lebenstüchtig geworden sind. Meine Enkel können sehr gern kommen, wenn wir Familienzusammenkünfte haben – doch zum Babysitter fehlen mir sämtliche Qualifikationen. Ich habe andere Interessen als Kinder, und ich habe einfach kein Talent zur „Oma“.
Doch auch die Enkel (zwei Mädels, die so rücksichtsvoll mit mir umgehen, dass ich schon wieder voll das schlechte Gewissen bekomme) nehmen mich so wie ich bin – und ihre Eltern machen mir keine Vorwürfe deswegen. Danke Ihr Wunderwerke, dass Ihr so seid wie Ihr seid. Das macht mich frei und (mal wieder unverdient) glücklich. Bin eben das schwarze Schaf – aber auch ein schwarzes Schaf kann ja positiv wirken auf das System Familie nicht wahr?
Was will ich ändern – was soll so bleiben?
Ein schlechtes Gewissen zu haben ist bei mir der ungeeignetste Antrieb. Ich kenne das Gefühl von Reue sehr gut und weiß wie es ist, wenn man Zeit nicht zurückdrehen kann. Ich bin eher der Tätertyp als der Opfertyp. Wenn etwas Schlimmes passiert sehe ich mich oft genug in der Verantwortung – selbst wenn diese Bewertung zweifelhaft ist. Fühle ich Schuld bzw. ein schlechtes Gewissen, reagiere ich mit Flucht und Abwehr. Zu tief sitzt die Angst davor, später etwas bereuen zu müssen, weil andere Menschen wegen mir Leid erfahren. Ist so ein Kindheitstrauma, das sicher viele kennen: Man wollte den leidenden Eltern helfen und konnte es nicht.
Was will ich 2020 ändern?
Ich will 2020 noch weiter in spontanen Situationen alles geben, was ich nur vermag. Ich will wie die Goldmarie in Frau Holle das Brot aus dem Ofen ziehen, wenn es darum bittet und die Kissen ausschütteln, wenn mir der Auftrag erteilt wird. Ich will fleißig und engagiert tun, was ich vermag. Ohne Ansehen der Person will ich meine Begabungen und Fähigkeiten einsetzen in all den Situationen, in denen mir Brote, Äpfel und Kissen begegnen. Ich will keine Unterschiede machen zwischen den einzelnen Personen. Ich will handeln nach der Maxime „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein“. Ich habe so viel Schuld an so vielen Dingen – zum Steine werfen fehlt mir jegliche Berechtigung. Und das finde ich gut so.
Ich will auf meine Kinder und ihre Liebsten achten, ganz so wie ich in meiner Persönlichkeit bin. Der Sonntag gehört ihnen, und ich werde in aller Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit ganz so bleiben, wie ich bin. Eine durchschnittliche Köchin, eine manchmal anstrengende Gesprächspartnerin, eine unbegabte Oma, die nicht gern Geld ausgibt und sich auch sonst reichlich ungeschickt anstellt.
Alles ist freiwillig
Ich will meinen Kindern die Gewissheit geben, dass sie mir gegenüber keine Verpflichtungen haben. Alles ist freiwillig und losgelöst von Konventionen. Mein späteres Siechtum ist MEINE Verantwortung – sie werden niemals von mir die Verpflichtung auferlegt bekommen, sich um mich kümmern zu müssen. Meine Tochter und ich haben das sogar per WhatsApp schriftlich ausgemacht: Ich übernehme keine Verpflichtungen, wenn sie Kinder bekommt mit ihrem Partner – sie übernimmt keine Verpflichtungen, wenn ich pflegebedürftig werde. Ach ich liebe das Mädel: Sie ist ähnlich pragmatisch wie ich.
Tja, mehr kann ich nicht bieten und mehr kann ich nicht erwarten. Ich möchte den folgenden Spruch wahrlich nicht auf andere Menschen und deren Schicksale übertragen – doch für mich gilt „Jeder bekommt das, was er verdient. Alles nur Chemie, alle nur Physik“. Das also sind meine Vorsätze für 2020. Habe versucht, so ehrlich und schonungslos wie möglich darüber zu schreiben.
Was geht die Leser das an?
Warum ich das so öffentlich tue? Sehr viele Menschen vertrauen mir. Meine ganzen Students und Schüler, die mit mir verbunden geblieben sind und auch gern mal die SteadyNews lesen, sollen wissen können, wie es mir geht und was ich so mache. Ich weiß sogar von Einigen, dass ihnen das viel bedeutet und vielleicht auch Impulse für ihr eigenes Leben gibt.
Ich bin kein Mensch für Freundschaften – ich bin ein Mensch für Begegnungen und gemeinsame Projekte. Freundschaften sind mit Verpflichtungen verbunden. Private Gespräche langweilen mich schnell und geben mir das Gefühl von Stillstand und Zeitverschwendung. Parties sind für mich ein Grauen. Small Talk macht mich regelrecht krank.
Nun habe ich also hier meinen Lagebericht mit Zukunftsaussichten aufgeschrieben. So wie im letzten Jahr. Und nein, ich habe keinen einzigen meiner guten Vorsätze für 2019 erfüllt. Hier sind sie. Kaum veröffentlicht, kam Silvester und warf alles um, was bis dahin galt. Tja, so ist das Leben. Und erstens kommt es anders – und zweitens als man denkt. Schönes Leben Ihr Lieben! Seid ehrlich und fröhlich. Und traut Euch was.
Eure Eva
Alle Bilder sind übrigens von der Android-App Bitmoji, mit der man sich kostenlos einen eigenen Avatar erstellen kann.