Kein Mindestlohn für Selbstständige

Seit dem 1. Oktober 2022 beträgt der Mindestlohn für Erwerbstätige 12 Euro brutto in der Stunde. Diesen Mindestlohn gibt es allerdings nicht für Selbstständige. Zwar hat die EU-Kommission in einer neuen Leitlinie Tarifverhandlungen auch für selbstständig Beschäftigte zugelassen, doch das gilt nur für solche Soloselbstständigen, die arbeitnehmerähnlich für ein Unternehmen arbeiten – und sich dort für Tarifverhandlungen zusammenschließen. Von den 3,2 Millionen Selbstständigen in Deutschland sind mehr als die Hälfte Soloselbstständige. Sollte man diese Selbstständigen eventuell in die Sozialversicherungen eingliedern wie beispielsweise in skandinavischen Ländern? Selbstständige mit Schutz bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter und Erwerbsunfähigkeit? Wäre es langsam an der Zeit, etwas zu verändern?

Warum sich Menschen selbstständig machen

Bild von Bernhard Rauch auf Pixabay 

Es gibt drei Gründe, sich selbstständig zu machen – zum einen, weil man keine andere Chance am Arbeitsmarkt hat und in die Selbstständigkeit gezwungen wird, zum anderen, weil man sein eigener Chef sein will, zum Dritten, weil man reich werden will. Die Sehnsucht, unabhängig in die eigene Tasche zu arbeiten und zu leben, ist bei vielen Angestellten vorhanden – doch die Risiken, die damit verbunden sind, schrecken ab.

Risiken der Selbstständigkeit

Nur wenige Selbstständige gründen ein Unternehmen und beschäftigen mehr als zehn Mitarbeiter. 54,4 Prozent arbeiten als Soloselbstständige, weitere 33,6 Prozent sind Kleinstunternehmer mit 2 bis maximal 10 Mitarbeitern. Reich wird man also selten, und viele Selbstständige leben prekär. Vor 2009 und der Einführung der Pflichtversicherung in einer Krankenkasse gab es sogar erschreckend viele „selbstständige Tagelöhner“, die nicht einmal diesen Schutz für sich hatten. Geschweige denn Urlaubsanspruch oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
ifm Bonn: Selbstständige/ Freie Berufe

Warum dann selbstständig?

In den letzten Jahren stieg die Zahl der digitalen Nomaden. Digitale Nomaden sind meist jungen Menschen, die sich nicht binden wollen an einen Ort und eine Lebensform. Es zieht sie in die Ferne, wo sie in erster Linie räumlich vom Laptop aus ihr Geld verdienen, meistens mit selbstständigen Tätigkeiten. Nicht nur die Sehnsucht nach schönem Wetter hat sie dazu gebracht, sich ohne Risikoabsicherung zu diesem Lebensstil zu entscheiden. Auch die Angst davor, sich einbinden zu lassen in Systemen, die sie krank machen, hat dazu geführt, selbstständig zu werden.

Selbstständigkeit ist eigentlich verrückt, wenn man es mit Vernunft betrachtet. Viele Soloselbstständige arbeiten im Bildungsbereich als freiberufliche Lehrer, sie erbringen Dienstleistungen im sozialen Sektor, im Handwerk, im Handel und in der IT. Hinzu kommen viele Künstler und Kreative. Ich bezeichne uns gern als „fahrendes Volk“, als Nomaden mit mehr oder weniger festem Wohnsitz.

Glücklich sein trotz alledem?

Ich bin seit 2004 selbstständig, und ja, ich bin glücklich damit und könnte mir trotz der Risiken nicht anderes vorstellen. Ich verdiene gut, aber krank werden darf ich nicht. Ich darf mich ständig neu erfinden, aber ich muss es auch. Chancen kommen, Chancen gehen. Einige Male habe ich Unternehmen gegründet, seit 2016 bin ich nur noch Freelancer und übernehme Aufträge für Auftraggeber.

Zurzeit würde ich niemandem raten, sich selbstständig zu machen. Zurzeit würde ich eher sagen „Rette sich, wer kann, in etwas Sicheres wie den Öffentlichen Dienst“. Die Zeiten sind unruhig und die Hoffnung auf wirtschaftlichen Gewinn durch Selbstständigkeit und StartUp-Gründung schwindet. Ja, ich wünsche mir sozialversicherungspflichtige Absicherung für Selbstständige, doch es wird schwierig, das in Deutschland durchzusetzen.

Kein Mindestlohn für Selbstständige

Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Wir Selbstständigen haben aus irgendeinem Grund das Talent, immer einen Ausweg zu finden und Geld zu verdienen, doch wir zahlen auch unseren Preis dafür. Keine Sicherheit, keinen Arbeitsschutz, der dumme Spruch von „Selbst und ständig“ stimmt. Aber auch dieses ebenso dumme „Kein Chef, kein Knecht“ stimmt. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, alle Sicherheiten fahren zu lassen, werden sich weiterhin Glücksritter selbstständig machen. Sie werden sich weiterhin vernetzen und sich gegenseitig helfen mit Tipps und Kontakten. Ist vielleicht ein bisschen wie diese USA-Ideologie vom Recht auf Streben nach Glück. Ich mag es so, und so lange meine Kraft mich nicht verlässt, werde ich es weiter tun.

gruender.de: 10 Gründe für den Start in die Selbstständigkeit

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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