Dass der Journalismus in einer Krise steckt, das ist wohl unbestritten. Seit Jahren sinken die Leserzahlen – selbst die Boulevard-Blätter sind davon betroffen. Da die meisten Deutschen aber online sind und online ihre Nachrichtenquellen goutieren, müsste es doch dann positive Zahlen für diesen Bereich geben – oder?
Na ja – richtig. Laut Statista stiegen die Verkaufszahlen der ePaper-Varianten auch. Aber knapp 600.000 verkaufte ePaper-Ausgaben insgesamt fangen die Verluste der Print-Tageszeitungen nun nicht gerade auf. Und was ist mit denen, die ein Online-Abo abgeschlossen haben? Stichwort Paywall oder Bezahlschranke? Na ja, meint die Rheinzeitung gedruckst, für sie geht das wohl irgendwie – den großen Leserzuwachs hat es nicht gegeben. Generelle konkrete Zahlen zu finden ist übrigens gar nicht so einfach – zwar geht der BZDV aus, dass Paywalls sich für die Zeitungen sehr wohl lohnen und lobt die Bereitschaft der Leser für Inhalte zu bezahlen. Aber die Zahlen, die der BZDV liefert sind nicht gerade aufschlussreich: 52 Millionen Menschen würden mit Print und Digital von den Zeitungen erreicht. Wieviele davon dann ein digitales Abo abgeschlossen haben, wieviele sich per App ab und an mal ein Exemplar herunterladen – da halten sich die Verlage relativ geschlossen.
Hört, hört: Das Digitale hat und ist die Zukunft!
Jedenfalls haben wir das Jahr 2015 und ganz unbestritten stellt man bei den Verlagen fest: Die Zukunft liegt im Digitalen! Reichlich späte Erkenntnis, da lag die Zukunft des Journalismus ja schon immer – mindestens seit der Erfindung der Weblogs eigentlich. Aber seitdem Portale wie Bento, Ze.tt – das heißt wirklich so – oder gestern das neue Handelsblatt-Äquivalent für junge Leser im Internet gestartet ist – irgendwas mit Orange – schnuppert die gute alte Tante Zeitung wieder Morgenluft. Während die Mutterschiffe wie Handelsblatt und Co. für die anderen Leser eine Paywall errichten versorgen die Verlage die jüngeren Zielgruppen kostenlos mit Inhalten, die jung und hipp sind. Oder sein wollen. Was im Endeffekt natürlich dem bekannten Slogan „Krieg sie, wenn sie jung sind!“ entspricht. Wer sich jung an das Handelsblatt bindet, wird es natürlich auch als Erwachsener lesen wollen. So jedenfalls die Kalkulation. Ob diese aufgeht wird sich zeigen.
Jedenfalls: Die Zukunft liegt im Digitalen! Und natürlich in den neuen Diensten wie etwa Snapchat – wobei das hierzulande noch keine große Rolle spielt für die Verbreitung von Nachrichten, es mag sein, dass der Dienst noch für Deutschland zu neu und ungewohnt ist. Natürlich spielt auch WhatsApp eine Rolle – Nachrichten zielgerecht an die Nutzer liefern, wie wunderbar ist das denn! Vermutlich hat man damals, als die Telegraphie aufkam das auch gedacht. Oder als das Telefon noch ein Unterhaltungsmedium war und zum Übertragen von Opernaufführungen diente. (Letzteres änderte sich dann als die Hardware allgemeiner zugänglich wurde und man auch wirklich andere Leute anrufen konnte.) Damit und natürlich mit Facebook Instant Articles und dem Äquivalent von Google, mit den hippen neuen Jugend-Portalen – damit müsste man doch den Journalismus retten können!
Der Journalismus wird mal wieder gerettet! Bestimmt!
Also mal wieder. Es ist ja nicht so, dass man diese Phrase in Deutschland nicht schon desöfteren erlebt hätte: Da kommt eine neue Technologie auf – nennen wir sie mal Blogs – die am Anfang von Amateuren beherrscht wird, die darin anders als früher die Gatekeeper der Zeitungen umgehen können. Gerade so wie das auch für Podcasts galt. Und für jede andere neue Technologie. Was haben sich die Journalisten und Blogger um das Jahr 2000 noch gefetzt: Blogger sind keine Journalisten! Journalisten sind keine Blogger! Und heute? Gehören Blogs zum Angebot einer Zeitung dazu wie die Kommentarsektion. Eigentlich jede neue – und für den Journalismus nützliche – Technologie wurde von den Verlagen integriert. Manchmal hat man sie aus verlegen wieder abgestoßen: Hat jemand noch einen Kachingle-Account übrigens? Nehmen Zeitungen eigentlich auch Bitcoins an?
Nur eines hat die Technologie an sich, haben die schönen neuen glänzenden Spielzeuge dem Journalismus nicht gebracht: Die Rettung. Die Vermehrung von Auflagenzahlen. Es liegt mit Sicherheit daran, dass diese neuen großartigen Spielzeuge – Snapchat, WhatsApp – nur als Verlängerung für die Verbreitung der eigenen Inhalte angesehen werden. Es ist natürlich ein Service für den Leser, wenn man man Tag fünf Artikel der Tageszeitung per WhatsApp bekommt – noch schöner wäre es natürlich, wenn die dank einer guten Big-Data-Analyse so passend sind, dass die auch für mich relevant sind. (Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie wunderbar Dienste wie Flipboard funktionieren.) Ebenso wie es ein Service für Leser ist, wenn Artikel ihren Weg zu Facebook finden. Ob dann jetzt mit oder ohne Rücklink auf die Quelle sei dahingestellt. Doch wie jemand schon vor Zeiten sagte: „Junger Wein in alten Schläuchen geht auf Dauer nicht gut.“
Wo steckt die Vision der Verlage?
Technologie ohne Strategie und ohne Vision ist nichts weiter als eine Ansammlung von Programm-Zeilen. Das zu verstehen fällt aber Verlagen in Deutschland schwer: Visionen zu entwicklen. Deutschland kann Technik. Keine Frage. Es fehlt aber an Ideen und Visionen. Und wenn diese in den USA aufkommen – darf ich mal wieder die Huffingtonpost erwähnen? – dann setzt man zwar die Technik um und kopiert die Art, wie Artikel geschrieben werden. (Und ja, man kann über Heftig.co denken was man möchte, immerhin haben die aber genau diese Vorgänger exakt kopiert und nochmal verbessert, da ziehe ich wirklich meinen Hut vor.) Was aber nicht passiert. Stattdessen erfinden wir Deutschen so etwas wie das Leistungsschutzgesetz. Wird getönt, man müsse doch bitte die selben Chancen wie Google bekommen. Was einigermaßen absurd ist: Als wäre erstens der Erfolg von Google Ende der 90er wirklich absehbar gewesen als alle Welt noch mit Altavista und Yahoo-Katalogen surfte – es hätte auch anders kommen können. Zweitens, welche Chancen hat Google denn in Deutschland erhalten? Haben wir hier neuerdings ein „Gesetz für die Bevorzugung von Google als Suchmaschine“ und keiner hat mir Bescheid gesagt?
Nein – der Erfolg von Google, die auch nicht immer aufs richtige Pferd gesetzt haben wohlgemerkt, hat mit Innovation, Visionen und Ideen zu tun. Irgendwann haben Menschen dann auch gemerkt: Die Lokalzeitungen bilden nicht das ab, was mich interessiert – also gründen wir doch ein eigenes Portal. Auch diese Angebote haben sich nicht alle durchgesetzt. Immerhin aber sind diese heute eine Ergänzung zu dem, was Zeitungen sonst zu berichten haben. Davon angestachelt haben Lokalzeitungen dann ja doch noch mal versucht lokaler und besser zu werden. Hielt aber nicht lange vor. Mittlerweile tauschen in NRW die Westdeutsche Allgemeine Zeitung und die Rheinische Post untereinander ihre Lokalartikel aus. Nein, kein Witz: Der selbe Lokalartikel taucht auf beiden Webseiten auf und wird auch in beiden Printaugaben gedruckt. Innovation sieht anders aus.
Nein, Snapchat und WhatsApp werden den Journalismus nicht retten. (Ob WhatsApp oder Facebook Instant Article ist eh egal, schließlich gehört Facebook WhatsApp…) Was den Journalismus retten könnte wären Ideen. Neue Geschäftsmodelle. Unkonventionelle Herangehensweisen. Spannende und gut recherchierte Artikel, die von gut bezahlten Journalisten geschrieben werden und die den Leser weiterbringen – eventuell auch.
Photonachweis: William Caxton zeigt die verblüffende Erfindung des Buchdrucks König Edward IV und der Königin. – Quelle: Wikipedia Commons