Christian Spließ: Sie sind auf den erste Blick unsexy, unhandlich und kaum einer weiß das Potential zu schätzen. RSS-Feeds haben es nie in den Mainstream geschafft sondern sind immer noch unter dem Radar der meisten Internetsurfer. Dabei sind RSS-Feeds praktisch, wenn man sie einmal benutzt hat möchte man sie nicht mehr missen. Doch jetzt droht mit Facebooks Abonnier-Button für Webseiten und dem offenbar sehr restriktivem Umgang bei Google Currens eine Gefahr am Horizont aufzutauchen – ist der RSS-Feed an sich bald Geschichte und wird er auch von Apps abgelöst?
Diese Frage stellte sich mir schon seit längerem und wenn ich mich beobachte, dann neige ich bei bestimmten Geräten tatsächlich auch eher zum Gebrauch von Applikationen als zum RSS-Feed. So habe ich Thorsten Küwers Applikation für „Indiskretion Ehrensache“ auf meinem iPhone installiert, ebenso wie die Applikation eines Projektes von SF-Fans, die Corona-Magazin-App. Beide Applikationen aber wären ohne den RSS-Feed und dessen Technologie jedoch vollkommen aufgeschmissen – denn diese einfache Art Inhalte darzustellen liest den RSS-Feed der Webseite ein und schmückt ihn sozusagen nur in neue Kleider. Bei der Tagesschau-App oder anderen Angeboten ist das schon etwas komplizierter – denn hier bekommt man ja auch noch zusätzliches Informationsmaterial geliefert, was dann nicht auf der Webseite zu sehen ist. Logisch, für irgendwas hat man die App letzten Endes ja installiert, für den Zusatznutzen.<
Facebook versus RSS – wohin geht die Reise?
Der Abonnier-Button von Facebook dagegen bietet die Möglichkeit, Webseiten zu abonnieren und deren Inhalte in Facebook darzustellen – was also schon für Fanpages möglich ist, erweitert Facebook auf normale Webseiten. Das ist logisch. Schließlich will Facebook ja nach und nach das gesamte Internet durchdringen, so dass man – ähnlich wie Google es wohl plant – eines Tages Facebook als Plattform gar nicht mehr verlassen möchte. Google und Facebook als das Internet 2.0 also, alles was man will bekommt man von den Anbietern und braucht sich nicht mehr auf die Suche nach Inhalten zu begeben, durch die Abonnements bekommt man dann alles vor die Webtür gelegt. Bei Google Curents spielt der RSS-Feed an sich wohl auch kaum noch eine Rolle, wobei Currents sich aber auch aus dem Fundus der bisher gesammelten RSS-Feeds des Google Readers bedient. Neue Abonnements sollen aber aus der App schwer möglich sein.
Ist also das Ende des RSS-Feeds in Sichtweite gerückt? Hat die Technologie sich überlebt? Die Vorstellung eines Tages Google oder Facebook nicht mehr verlassen zu müssen ist in erster Linie eins: Gruselig. Schon jetzt erlebt man es desöfteren, dass der Edgerank von Facebook einem nicht konsequent alles anzeigt, was man eigentlich interessant gefunden hätte – selbst wenn man aktiv mit seinen Freunden in Kontakt ist scheint ab und an etwas verloren zu gehen. Die Filter präsentieren einen nur das, was man gerne sehen würde. Was im Endeffekt beim neuen Twitter nicht anders ist, denn auch dort finden sich ja jetzt Empfehlungen für Themen, die man eventuell gut findet – auf der Basis der eigenen Timeline unter anderem.
Der Verlust der Serendipity
Mehr und mehr geht uns im Internet das verloren, was man als Serendipidität auf Deutsch bezeichnet: Der Umstand, dass ich nach etwas suche und dann etwas finde, was ich gar nicht gesucht habe, was aber mich doch interessiert. Früher kam das meistens dadurch zustande, dass man entweder der Blogroll des Lieblingsblogs gefolgt ist, den Hyperlinks auf einer Webseite, dass man nicht nach der ersten Google-Suchseite aufgehört hat zu stöbern. Diese Neugier am Suchen und Finden geht mehr und mehr verloren. Stattdessen bekommt man Inhalte vorgesetzt von denen Algorithmen glauben, dass sie einem schon schmecken werden – leider reichen die dann einem nicht das Salz und den Pfeffer zum Selberwürzen hinterher.
RSS-Feeds haben diesen Trend schon etwas verstärkt, weil man – wenn man sich einmal seine Lieblinge eingerichtet hat – auch selten die RSS-Komfortzone verlässt. Doch RSS-Feeds ermöglichen die Serendipidität noch eher als andere Arten. Denn schließlich kann im Beitrag des Blogs, der mir da angezeigt wird durchaus ein Link sein, der mich auf etwas bringt von dem ich vorher nicht wußte, dass es mich interessiert. Und RSS-Feeds haben einen Vorteil gegenüber anderen Filtern: Hier habe ich mir meine eigene Zeitung selbst zusammengestellt und vorher aktiv ausgewählt, was ich lesen möchte – das trifft bei Facebook auch zu – aber ich sehe tatsächlich immer alle Informationen in der Reihenfolge, in der sie veröffentlicht wurden. RSS-Reader bieten zudem auch die Möglichkeit, im Archiv zu stöbern, sie bewahren die Inhalte länger auf. Wer mal versucht hat einen älteren Facebook-Beitrag in einer Gruppe zu finden wird den Vorteil von einem guten RSS-Reader zu schätzen wissen.
Silos gegen Sprungbretter
Dave Winer, der Vater des RSS2.0-Formats, vergleicht in seinem Blog Applikationen mit Silos: „Es mag sich innen sehr groß anfühlen, aber nichts verlässt und betritt es, was die Macher der Applikation nicht erlaubt hätten“. Er kritisiert, dass Leute, die von Applikationen reden Leute mit Geld sind, die das freie und wilde Internet fürchten und daher eine Disneyland-Variante haben möchten. So drastisch möchte ich es nicht ausdrücken, aber der Silo-Vergleich ist passend: So schön und schick diese kleinen Programm auch sein mögen und so praktisch sie für gewisse Geräte sind – und ich bestreite nicht, dass sie tatsächlich bei iPhones oder dem iPad vielleicht angebrachter sind – letzten Endes werden sie von ihren Machern kontrolliert. Apple selbst entscheidet überhaupt, welche Applikation in den Store kommt und alles Mißbeliebige kann von vornherein ausgeschlossen werden. Wer sagt, dass das mit dem Facebook-Abonnier-Button nicht eines Tages genau so sein wird? Dass dann nur derjenige, der zahlt an seine Informationen kommt?
Wenn Applikationen Silos sind, sind RSS-Feeds Sprungbretter – Sprungbretter ins Netz. Von hier aus kann man das Internet erforschen, den Beitrag finden von dem man nicht mal wußte dass es ihn gibt. Man selbst entscheidet, welche Inhalte hier zu einem kommen, man selbst hat die Kontrolle. Und gerade das ist die Garantie, dass es RSS-Feed weiterhin geben wird. Es mag sein, dass Applikationen die Geräte besetzen bei denen die Tastatur eventuell nicht ganz so gut zu bedienen ist – es mag sein, dass Facebooks-Abonnier-Button für mehr Traffic auf den eigenen Seiten sorgt – letzten Endes aber überwiegen die Vorteile es RSS-Feeds. Ich wüßte nicht, dass man eine Applikation in ein Blog einbetten kann, mit dem Facebook-Abonnier-Button Dienste wie If This, Than That füttern kann. Die unzähligen Möglichkeiten werden RSS-Feeds überleben lassen. Man muss RSS halt nur für sich entdecken, dieses unsexy, unschicke Format.