Design-Ethiker Tristan Harris arbeitet jahrelang für Google. Er beschäftigt sich beruflich also damit, was hinter Website-Architektur, „Customer Journeys“, Gamification, personalisierten Web-Ergebnissen und natürlich hinter den ganzen Apps und Mobile-Angeboten steckt, die uns Konsumenten zur Verfügung stehen. Dabei geht es nicht nur um psychologische Aspekte, sondern eben auch um Gesellschaftliche. Harris ist durch seinen Beruf deutlich bewusst, wie entscheidend Design die Gesellschaft beeinflusst: „Ob sie wollen oder nicht, diese Designer lenken damit Gedanken, Verhalten, Gefühle und Entscheidungen von Milliarden Menschen. Jeden einzelnen Tag. Das ist irrsinnig viel Einfluss“.
Was sind die Ziele der Design-Ethiker?
Bei den vielen Millionen Webseiten, Apps und Social Media Portalen geht es immer um das Selbe: Nutzer sollen so lange wie möglich auf dem eigenen Territorium bleiben, sollen möglichst oft wiederkommen und sollen sich so verhalten, wie die Anbieter es sich wünschen. Verhaltensänderungen sind der Schlüssel im Marketing: „Nimm Kontakt auf, hinterlasse Deine Adresse, Kauf unser Produkt, installiere unsere App, gib und Deine Daten, schau Dir unsere Werbung an, spiel unser Spiel, empfehle uns weiter…“ Designer arbeiten an dem Rahmen dafür, dass diese Verhaltensänderungen so oft wie möglich stattfinden. Quantität geht vor Qualität, da Unternehmen vor Allem Reichweite, Leads und Nutzungsdauer als Erfolgsquote ansehen (vielleicht ändert sich das ja mal).
Selbstverständlich ist es für die Handvoll junger Männer, die die Szene der Silicon Valley von San Francisco aus als Design-Ethiker beherrschen, aufregend und faszinierend, immer neue Techniken und Tricks auszuprobieren, um die Milliarden Nutzer zu beeinflussen. In Gedanken, Gefühle, Verhaltensabläufe eindringen und daran zu schrauben wie an Versuchskaninchen aus dem Labor, muss tatsächlich ein enormes Machtgefühl auslösen. Doch ist das ethisch vertretbar? Ist der Gesetzgeber nicht gefordert, dieser Faszination etwas entgegenzusetzen, um uns ahnungslose Verbraucher vor den Massentests und Verhaltensbeeinflussungen zu schützen?
Wir leben im Jahrzehnt der Personalisierung von Marketing. Noch nie hat es der Mensch auch nur gewagt davon zu träumen, dass er jeden einzelnen Nutzer und potentiellen Kunden höchstpersönlich herausfiltern und durchleuchten kann. Ein kleines Beispiel: Weit über 70 Prozent der jungen Männer gucken im Web regelmäßig Pornos – kein Problem, sie zu identifizieren – macht das verwundbar?
Fokus: Experte warnt – Deshalb könnten Ihre Porno-Vorlieben bald an die Öffentlichkeit gelangen
Harris fordert, dass eine neue Ethik-Design-Kultur entsteht, die nicht auf Masse und Quanität beruht, sondern auf Effizienz. Er beschreibt das heutige Design-Verfahren mit einem Glücksspielautomaten, der ebenfalls versucht, die Süchtigen so lange wie möglich an den Apparat zu binden. So arbeiten Design-Ethiker daran, dass Belohnungssysteme bei Facebook und Co nach ähnlichen Prinzipien optimiert werden wie bei den Pawlowschen Hunden: Immer wieder baut man unerwartete Enttäuschungen mit ein, um den Impuls, den Vorgang zu wiederholen, zu stärken. Gerade durch ausbleibende erwartete Belohnungen intensiviert sich die Beziehung zwischen Nutzer und Angebot – die Suchtgefahr steigt wie beim Automatenspieler.
Tristan Harris auf Medium: How Technology Hijacks People’s Minds — from a Magician and Google’s Design Ethicist
Quelle: SZ – Facebook: Ein Netzwerk wie ein Glücksspielautomat
Bildquelle pixabay: Ben_Kerckx
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