Social Media: Fluch oder Segen?

Eva Ihnenfeldt: Gestern war ich mal wieder als Marketing-Dozent eingesetzt – bei zukünftigen Wirtschaftsfachwirten. Unser Thema was Social Media Marketing. Die Teilnehmer sind zwischen Mitte Zwanzig und Mitte Vierzig. Ich war überrascht über die ablehnende Emotionalität, die von dem meisten Kursteilnehmern kam. „Im sozialen Web sind vor allem Hirnis, die zu jedem Mist ihre unreflektierte Meinung abgeben und alles liken, was ihnen unter die Finger kommt.“ Die Sorge der Teilnehmer (Angestellte in Betrieben und Organisationen) konzentrierte sich darauf, dass durch die geringen Einstiegsbarrieren unsere Demokratie in Gefahr kommt, da jeder User völlig unkontrolliert mitbestimmen kann.

Ja, auch ich bin häufig entsetzt über Kommentare im Social Web, vor allem von anonymen Nutzern. Es ist wirklich erschreckend zu lesen, wie viele Leute leichtfertig beleidigen, verunglimpfen, voller Frustration, Wut und Rachegelüste zu sein scheinen. Wahrscheinlich sind es prozentual viel weniger als man meint, aber die Wucht ihrer Worte bleibt hängen und hinterlässt auch bei mir schmerzliche Spuren.

Haben meine Teilnehmer recht? Bahnt sich da eine zukünftige Herrschaft der Dummen an, die ohne Hemmungen agieren und dadurch stärker sind als die Nachdenklichen und Vorsichtigen? Und wer verbirgt sich hinter dem Hass und der Niedertracht? Sind es vor allem Hartz IV-Empfänger, die sich ausgeschlossen fühlen von Wohlstand und Würde? Vor allem Jugendliche, die sich langweilen und „Streiche“ verüben? Vor allem ältere Menschen, bei denen sich Bitterkeit angesammelt hat und Misstrauen? Sind es eher „bildungsferne“ Mitbürger oder Angehörige der Mittelschicht, die die Anonymität nutzen, um sich an ihrem fremdbestimmten Leben zu rächen?

Ich weiß es nicht. Falls ich Zeitungsverleger wäre, würde ich anonyme Kommentare nicht zulassen. Falls ich auf unserer Facebook-Fanpage beleidigende Kommentare finden würde, würde ich dem Absender höflich antworten – und ihn aus meinen Beziehungsgeflechten für alle Zeiten streichen. Wir alle brauchen Kritik, doch es ist keine Kunst, Kritik von Beleidigungen zu unterscheiden, das trau ich mir durchaus zu (Ist auch erst einmal vorgekommen in den vielen Jahren!).

Vielleicht haben diese zukünftigen Wirtschaftsfachwirte recht. Vielleicht werden sich die Massen erheben wie damals – der Legende nach – bei Kaiser Nero in Rom, der sich vor nichts so gefürchtet haben soll wie vor dem Mob der Straße. Vielleicht werden unsere Politiker immer primitiver in ihrer Rhetorik, weil das den Neidischen, Sensationslüsternen und Primitiven gut gefällt. Vielleicht kommen wir wieder in eine Zeit, in der Menschen es überwiegend lieben, brutale Bilder zu betrachten und sich am Leid Anderer zu ergötzen.

Aber schon während ich das schreibe muss ich lachen. Tut mir leid, meine lieben tüchtigen Schüler, ich glaube Euch nicht. Ich verstehe Eure Sorgen, doch ich halte sie für unbegründet. Und ich bin sicher, wenn Ihr Euch mal trauen würdet, bei Xing ein Profil anzulegen und bei Facebook einen Account anzulegen und nach Freuden zu suchen, wärt Ihr überrascht, wie wenig Schlimmes Euch begegnen würde. Vielleicht sind die Menschen besser als ihr Ruf? Vielleicht ist das weltumfassende soziale Netz auch gut, um Vertrauen zu fassen zur „Spezi Mensch“?

Jeder Mensch strebt nach Glück. Das heißt, jeder Mensch strebt danach, dass seine Umgebung friedlich, freundlich und wohlgesonnen ist – und ohne liebevolle Menschen kann niemand glücklich sein. Vielleicht lernen wir, da wir so viele Menschen kennen lernen im Netz, uns den „Guten“ zuzuwenden und die Missgünstigen, Hasserfüllten und sadistisch Geprägten zu ignorieren?

In dem Kurs gestern waren von 20 Teilnehmern nur zwei aktiv im Social Web, und diese zwei konnten die Kritik der Mitschüler zwar verstehen – aber nicht teilen. Hier meine Bitte: Bevor Ihr Ausländer hasst, lernt welche kennen – und bevor Ihr das Social Web hasst, lernt es kennen! Ohne Wissen ist nicht gut urteilen, das machen immer nur die „Hirnis“ 😉

 

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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6 thoughts on “Social Media: Fluch oder Segen?

  • Reply Sabine Klaas 28. August 2012 at 21:57

    Ein sehr gelungener Artikel. Auch in bei der Meinung, dass man nichts verurteilen sollte, das man nicht kennt. Dank der Weiterbildung zur SocialMediaManagerin bei der BusinessAcadamy habe ich mich mit dem Thema hinreichend auseinander gesetzt.

    • Reply Eva Ihnenfeldt 29. August 2012 at 11:33

      Hi liebe Sabine, danke! Aber verstehen kann ich die bedenken wirklich – wer schon mal Fußballfans in Aktion erlebt hat, lernt die Macht der Masse fürchten…

  • Reply Barbara Hanning 28. August 2012 at 23:50

    Oh je, was haben wir da angerichtet!
    Da ist wohl noch viel Aufklärungsarbeit notwendig bei den angehenden Wirtschaftsfachwirten. Ich will Sie gerne dabei unterstützen und meine Begeisterung weiter geben. Auf Twitter ist diese schon zu sehen mit Link und Liste 🙂

    • Reply Eva Ihnenfeldt 29. August 2012 at 11:35

      Oh wie lieb – danke schön!! Ja, wir haben noch viel zu tun mit Aufklärungsarbeit – und sollten uns selbst auch immer eine gesunde Distanz bewahren. Denn es stimmt ja: Es kann ein Segen sein und ein Fluch, je nachdem, was wir Menschen verdienen…

  • Reply Cornelia Holzmann 30. August 2012 at 12:02

    Treffender kann man sich dazu nicht ausdrücken, ein schöner Text, danke für den Lesegenuss!

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