Narzissmus: Erfolg durch Unberührbarkeit?

In unserer Gesellschaft wird der Begriff „Narzissmus“ zunehmend als moralisches Urteil verwendet. Vielleicht vergleichbar mit dem Vorwurf „Klassenfeind“ im Kommunismus. Erstaunlich viele Frauen in meiner Umgebung umschreiben ihre Partner aus gescheiterten  Liebesbeziehungen, Chefs/Chefinnen oder auch die eigenen Mütter als Narzisst/in. Verständlicherweise leiden sie darunter, dass Menschen, in deren Abhängigkeit sie sich befinden, unberührbar zu sein scheinen gegen ihr Leid und ihre Hilferufe. Sie geben sich einer Beziehung hin und erhalten im Gegenzug Abweisung, Skrupellosigkeit, Machtmissbrauch. Da ich selbst zu raumgreifender Selbstbezogenheit neige, beschäftigt mich das Thema immer Mal wieder. Und nun hatte ich einen Traum…

Mein Traum in der Nacht auf Muttertag 2021

Bild von loveombra auf Pixabay 

Ich träumte in der Früh zum 9. Mai 2021… Ich war wieder ein junges Mädchen, vielleicht kurz vor dem Abitur. Wir sollten ein Praktikum machen – Ich wählte eine Fabrik. Ich lief eine lange Strecke dorthin, entlang einer Autobahn. Viele Plakate säumten die Straße. War nicht ganz sicher, aber ich selbst war wohl auf diesen Plakaten. Ich schaute kaum hin. Es war mir gleichgültig, ob ich es war und wenn ja, warum an den Seiten und über der Autobahn Plakate mit meinem Gesicht hingen.

Es war mein zweiter Praktikums-Tag in der Fabrik. Ich kam erst nachmittags statt zur Frühschicht. Hatte keine Lust gehabt, so früh aufzustehen. Irgendwas war morgens in der Schule an Veranstaltung – aber da war ich auch nicht hingegangen. Ich fand, die Veranstaltung wäre eine gute Erklärung für mein zu spätes Erscheinen. Ich mochte die Fabrik, die Männer im Blaumann,  die ölige Luft, den Lärm.

Als ich kam, rief mein Schichtführer mich in einen Raum, um mir mit ernster enttäuschter Mine mitzuteilen, dass das Praktikum wegen meiner Unzuverlässigkeit hiermit beendet sei. Ich solle mit sofortiger Wirkung den Arbeitsort verlassen. Ich packte meine Sachen, sah auch alles ein, war auch nicht sauer, wollte aber nicht gehen. Es gefiel mir in dieser Fabrik!

Als ich die Halle verließ, sah ich dass vorn am Empfang jemand etwas zu feiern hatte. Die Arbeiter und der Geschäftsführer luden mich dazu ein und ich durfte mitessen und -trinken. Alle mochten mich und freuten sich, dass ich da war. Der Schichtführer beobachtete resigniert das Geschehen – er tat mir leid, doch ich konnte es akzeptieren.

…und was der Traum in mir auslöste

Bedeutung: Erstaunlich war, dass ich frei von Schuldgefühlen war. Als der Vorgesetzte mich rauswarf, war nichts in mir an Reue oder Selbstzweifel. Kein erhöhter Herzschlag – nichts. Und ich gehorchte ja auch nicht! Ich blieb einfach, und die Arbeiter (und ihr Chef) freuten sich, dass ich da war und mitfeierte.

Möchte ich so sein? So unberührbar, selbstsicher, in mir selbst ruhend? Für mich als Jugendliche finde ich diese Vorstellung gruselig – doch für heute und jetzt ist es ok. Ich nutze es nicht aus, ich übertreibe es nicht, werde nicht hochmütig und setze dadurch nicht meine Nächsten herab.

Es ist wie es ist sagt auch mein Verstand

„Es ist wie es ist“ sagt mein Verstand und akzeptiert. Akzeptiert im Traum den Verweis, die Konsequenzen, meine Unzuverlässigkeit und die Plakate mit meinem Gesicht darauf (falls es sie überhaupt gegeben hat – egal…). Ja, nun bin ich alt genug, um diese innere Ruhe auszustrahlen, ohne mich oder andere dadurch zu gefährden.

Ich habe gelernt, Geschenke, Lob und Zuneigung ohne Widerstand anzunehmen und kann mich einfach darüber freuen. Ich habe gelernt, mich mit all meinen Macken liebevoll zu akzeptieren und mich selbst nicht all zu ernst zu nehmen. Ich gebe stets mein Bestes – doch wenn das nicht reicht, ist es ok. Ich stehe schnell im Mittelpunkt, doch wenn das in einem System störend ist, werde ich die Konsequenzen gern tragen. Dann ist es eben Zeit zu gehen.

Erlöste Narzissten?

Was ist der Unterschied zwischen Narzissmus und dem Gefühl in meinem Traum? Diese Unberührbarkeit in meinem Traum ist eine heikle Geschichte. Ohne Angst, Reue und Schuldgefühle wird man schnell zum skrupellosen Monster. In meinem Traum hatte ich Macht mit meiner Unberührbarkeit. Macht über diese Männer, die mich zu bewundern schienen für diese Freiheit, die ich hatte.

Bei der Feier (an der Fabrik -Rezeption im Stehen zwischen Aktenregalen und schmierigen Ersatzteilen) strahlten sie mich regelrecht an, als wollten sie von mir diese Selbstsicherheit lernen. Und ich spürte, dass sie von meiner jugendlichen Attraktivität angezogen wurden. Und auch das war mir egal. Ich konnte es ihnen gönnen, aber ich hatte keinen Antrieb, davon zu profitieren. Da war nur diese „Es ist wie es ist“ Lockerheit.

Erlöster Narzissmus ist die Fähigkeit des „Es ist wie es ist“. Gepaart mit Profitstreben und Größenwahn ist ein unberührbar narzisstischer Mensch ein gefährlicher Anführer. Doch wie kann man unerlöste Narzissten heilen? Dieses Rätsel interessiert mich. Ich werde weiter darüber nachdenken…

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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