Kann man sich mit Twitter eine „zweite Persönlichkeit“ gönnen?

Im Gegensatz zu Facebook kann man bei Twitter so viele Accounts haben, wie man möchte. Einzige Bedingung: Jeder Account hat eine eigene E-Mail-Adresse. Außerdem ermöglicht es Twitter, anonym zu bleiben. Es ist also theoretisch fast jedem Menschen auf der Welt möglich, mehrere Seiten der eigenen Persönlichkeit bei Twitter zu zeigen, sich dort mit Gleichgesinnten zu vernetzen und berufliches und privates Engagement strikt zu trennen. Doch ist das wirklich praktikabel? Das beruflich/ geschäftliche Profil neben dem „Ich muss aufpassen, dass niemand mich erkennt“ Profil zu leben? Kommt man da nicht ganz durcheinander?

Lars Hahn stellt beim Tweetcamp seine Session zu Storify vor

Lars Hahn stellt beim Tweetcamp seine Session zu Storify vor

Heute war ich beim Tweetcamp in Dortmund (vielen Dank an die Organisatoren – war super!), und in einer Session war genau das Thema: Kann man mehrere Persönlichkeiten bei Twitter ausleben? Oder sollte man das sogar tun, weil sonst die Follower zu häufig genervt werden von Posts, mit denen sie nichts anfangen können?
Die Tweets zum Tweetcamp 2016 in Dortmund hier bei Twitter

Tatsächlich war eine Teilnehmerin dabei, die genau erläuterte, wie sie Twitter mit mehreren Facetten ihres Lebens und unterschiedlichen Accounts bedient. Als beruflich Engagierte ist sie mit Echtnamen bei Twitter. Als unerkannte Privatperson twittert sie politisch und bezieht zu heiklen Themen Stellung. Als Community-Mitglied ist sie mit einem dritten „geheimen“ Account aktiv – vorwiegend über bestimmte Hashtags, die sie mit Gleichgesinnten verbindet – und deren Sinn Externe auch kaum verstehen können. Ist ja oft so in Gruppen, dass die Kommunikation für Außenstehende unverständlich bleibt (und bleiben soll).

Des weiteren wurde in der Session diskutiert, inwieweit wir Medienkompetenz als Schulfach brauchen, damit Kinder schon früh an die „zweite Persönlichkeit“ und die Kunst der Eigenmarke herangeführt werden. Denn tatsächlich wird es für die Karriere immer wichtiger, dass man über Social Media die eigenen Kompetenzen und Softskills zeigt – wenn da ein Spaßprojekt zwischenhängt, kann das schon Probleme geben.

Das Besondere an Twitter ist die Wahl der „Zweiten Persönlichkeit“

Tatsächlich ist das Besondere an Twitter, dass es keine Klarnamenpflicht gibt und dass man sich dort im öffentlichen Raum bewegen kann wie in einem klassischen Forum: Anonymität ist selbstverständlich. Einige der Session-Teilnehmer nutzen auch die Twitter-Option, den privaten Account zu schützen – so dass sie sich dort mit ihren Freunden ungestört austauschen können. Alles was von außen sichtbar ist, ist das Profil mit der Kurzbeschreibung – sämtliche Tweets und Kontakte sind geschützt vor fremden Blicken.

Doch selbst wenn man mehrere Accounts öffentlich sichtbar lässt, kann man die berufliche und private Identität wunderbar trennen: Beruflich verfolge ich Ziele und bin meinem Arbeitgeber gegenüber loyal – privat lass ich die Seele baumeln und bin ganz so, wie ich bin. Der Eine ist Serienjunkie und twittert über Serien, der Andere ist sportbegeistert und twittert über die Bundesliga, und noch jemand anderes hat ein außergewöhnliches Hobby, gibt und nimmt Tipps, – und verabredet sich bei Twitter zu Events, bei denen sich die Twitter-Freunde treffen und fachsimpeln (wie auch bei Tweetcamps!).

Bleibt eigentlich nur die Frage, inwieweit sich die verschiedenen Persönlichkeiten händeln lassen. Ich selbst habe auch zwei Twitter-Accounts, die ich bediene: @steadynews für tägliche News und Informationen zu Social Media und Online-Marketing – und @evai, die schon 2008 das Twitter-Licht der Welt erblickte – und die seitdem so herumdümpelt. In den letzten Wochen hat diese zweite Twitter-Person eine Mission begonnen und einen Blog gestartet. Mal sehen, ob ich dieser Mission gerecht werden kann, und ob ich bei Twitter Gleichgesinnte und Mitstreiter finden kann. Doch das geht natürlich nur, wenn ich täglich die private Eva lebe und pflege bei Twitter – ohne aktives Tun und netzwerken passiert mit Sicherheit gar nichts.

Wer kommuniziert eigentlich bei Twitter?

„Twitter ist doch das, wo alle schreiben und keiner liest“ – habe ich mal auf einem Meeting gehört. Dieser Satz hatte mich ziemlich geschockt. Tatsächlich bin auch ich jemand, der Twitter eher benutzt wie eine öffentliche Lesezeichenliste – ich fungiere als „News-Schleuder“ – lesen tu ich über andere Tools. Das bin ich kein gutes Vorbild. Und das geht allgemein sehr vielen so: Man schreibt und schreibt, man baut eventuell Follower auf über #ff (FollowFriday) und Gruß-Tweets (in die man möglichst viele Accounts reinpackt in der Hoffnung, dass diese dann zurückfolgen) – doch selbst lesen tun nur wenige.

Das ist auch kein Wunder, da viele Twitteraner spannende News mit persönlichen Tweets mischen, die Außenstehende nicht interessieren und die den Newsstream stören. Wenn überhaupt, lese ich nur über meine Twitter-Listen, in den ausschließlich Menschen sind, die das Persönliche rauslassen.

Heute beim Tweetcamp habe ich einige Menschen getroffen, die tatsächlich Beziehungen zu anderen Twitteranern aktiv pflegen. Da werden sich DM’s (Twitter Chat-Nachrichten) geschrieben, da wird sich getroffen, da wird sich gegenseitig unterstützt. Es geht im Grunde genommen ähnlich gut wie bei Facebook oder WhatsApp – man muss es nur tun und die richtigen Leute dafür kennen oder finden.

FAZIT: Eine „zweite Persönlichkeit“ bei Twitter?

Ich denke, es lohnt sich durchaus, eine zweite Persönlichkeit bei Twitter zu leben. Ist es nicht wunderbar, wenn man unerkannt und anonym Dinge ausspricht, die man sonst nie zu sagen wagen würde? Ist es nicht schön, wenn sich der CEO über seinen hochprivaten Twitter-Account mit anderen Twitteranern verbindet, die vielleicht das gleiche Motorrad fahren – oder die sich Sonntags im ZDF immer den #fernsehgarten anschauen, um anonym bei Twitter darüber abzulästern? Oder die bei #tatort den Mörder suchen?

Twitter ist auch deshalb ein Supereinstieg für Social Media, weil man sich ungeniert ausleben kann (so lange man nicht Ungesetzliches tut). Man kann lernen, bei Twitter mit Fremden zu streiten, man kann die seltensten Hobbys exzessiv teilen, man kann Leidenschaften für Schlagermusik oder Dokusoaps mit Anderen genießen – und niemand bekommt es da draußen mit. Also warum nicht! Wenn es wichtig genug ist und Spaß genug macht, wird man das mit der zweiten Persönlichkeit schon hinbekommen.

Twitter kann natürlich auch ein extrem wichtiges Werkzeug sein, wenn es um Journalismus und Expertenwissen geht – keine Frage. Ansonsten gehört man eben zur Marketing-Masse „Alle schreiben, keiner liest“ oder man bleibt passiver Twitter-User und abonniert dort einfach eine Liste mit News. Jeder wie er mag – das Schöne an Twitter ist die Ungezwungenheit, solange man es nicht übertreibt…

 

 

 

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

4 thoughts on “Kann man sich mit Twitter eine „zweite Persönlichkeit“ gönnen?

  • Reply Tobias Claren 29. Juli 2020 at 21:25

    Wie soll denn „Medienkompetenz“ als Unterrichtsfach funktionieren?
    Ich habe bei solchen Fächern inkl. „Ethik“ ja immer den Verdacht dass eine „korrekte“ Antwort existiert, und es nicht akzeptiert wird, wenn jemand abweicht.
    Unter Klarname mit Klarfoto politische Ansichten etc. zu verbreiten.
    Oder wie Ich Werbung für IQ-Eugenik, oder zig Tweets an einem Tag mit einem Zitat von Dr. Brosa („Die Polizei ist ein Sammelbecken für Asoziale und Kriminelle“ zusammen mit Link zur AI-Seite AmnestyPolizei.de) als ausdruckbare Schilder als Antwort auf Tweets im Bere8ich „#Polizeiproblem verbreiten.
    Ich habe den Eindruck das Ziel ist, dass die Schüler kein Bild von sich in der Öffentlichkeit zeigen dass ihnen bei potentiellen Arbeitgebern die Anstellung versaut.
    Jetzt denken viele „das ist doch gut!“, ist es aber nicht. Denn der Gedanke der dahinter steckt ist menschenverachtend. Ein Arbeitsplatz ist das Wichtigste, und für Diesen hat man sich auch zu verstellen bzw. einzuschränken. Also auch keinen YouTube-Kanal wo man das Zeug verbreitet (Liste folgt)?!?
    Der Arbeitgeber entscheidet wer angestellt wird, nicht der Bewerber…
    Das ist so selbstverständlich, dass es keiner hinterfragt. Wer einen Arbeitsplatz sucht, dem ist egal wie der Chef tickt, hauptsache Arbeit.

    Oder „Ethik“. Darf man die Ansicht vertreten dass
    * Hirndoping gut ist…
    * IQ-Eugenik gefördert werden sollte: Eltern mit IQ 190 und 180 haben ein Kind mit IQ um 142,5 herum (Schnitt der Eltern plus 100 geteilt durch 2 gleich Scheitelpunkt der Gaußschen Verteilung des IQ der Kinder)
    * man es gut findet dass an einer künstlichen Gebärmutter gearbeitet wird, die Frauen beim Kinder kriegen verzichtbar macht.
    Nein, man braucht auch keine Eizelle einer Frau, die kann man heute schon aus einer Hautzelle machen. Auch vom Mann.
    * Man will dass Nazi-Idioten auch in Naziuniform die Hakenkreuzflagge schwenkend, den Arm hebend „SH“ und „HH“ rufend vor dem Reichstag demonstrieren dürfen.
    Obwohl bzw. GERADE weil man links ist.
    * Man gute Worte für die nicht mehr existierende Webseite „Rottenneighbor“ findet, und sagt dass es eine Webseite geben sollte, wo Bürger Polizisten, Richter und Staatsanwälte mit Klarname etc. nennen, und bewerten können.
    * Jeder Mensch, auch völlig gesund, die Möglichkeit haben sollte Suizid zu begehen, das auch ankündigen können sollte, ohne zur Verhinderung eingesperrt zu werden.
    Ich es richtig finde auch zum Protest Methoden wie den Charcoal-Burning-Suicide auch vor Seniorenheimen, Polizeidienststellen, Schulen, Psychiatrien, Gefängnissen mit großen Schildern zu verbreiten.
    * Etc.

    Warum sollte Ich diese Dinge nicht unter meinem Klarnamen verbreiten?
    Oder bewusst z.B. Bilder mit Dt. Flagge im Klo, oder mit Kackhaufen davor verbreiten?
    Weil es illegal ist? Ein Grund mehr es zu machen, aus Protest gegen StGB 90a!
    Weil es potentielle Arbeitgeber abschrecken könnte? Für solche Leute würde Ich auch gar nicht arbeiten wollen.
    Man sollte in einem Bewerbungsgespräch auch dem Arbeitgeber bzw. Personaler die Fragen stellen, die dieser üblicherweise dem Bewerber stellt, und dann wenn einem was nicht passt auch „nein Danke“ sagen. Es gibt wohl Suizide von Menschen die kein solches Leben führen wollen. Z.B. diese junge gesunde Dt. Mann, der in der Schweiz Sterbehilfe bekam.
    Gut möglich dass der keine Lust auf ein Leben in einem Ausbildungs/Lehr-Beruf hatte. Nicht 50 Jahre von 7 bis 17 Uhr nur fürs Geld unterwegs sein wollte.
    Eben weil es leider immer noch Eltern gibt die so unsozial sind ihrem Kind nicht alle Möglichkeiten zu bieten. IQ-Eugenik ist eine Möglichkeit, aber Tiger-Parents wie Amy Chua beweisen dass jedes normal intelligente Kind auf Eilte-Uni-Niveau gebracht werden kann. Sie Prof. für Jura in Yale, ihre Schwester Prof. für Medizin in Stanford, deren Vater Prof. für IT/Elektronik in Berkeley.
    Keine Hochbegabten, sondern Hochleister. Da wird ab der Geburt täglich x Stunden gelernt. Mit 4 hat man das Grundschulwissen drin, und laut Experten kann jedes Kind bis zu 6 Muttersprachen lernen. Chuas Tochter las mit 3 Jahren Sartre. Und um 13 Spielte sie in der Carnegie-Hall Piano. Ohne die „Musik zu lieben“, wie es Leute aus der Szene aufregte. Denn diese Emos sagen man muss die Musik lieben, um gut spielen zu können. Sie bewies das Gegenteil. Nach einer Szene im Restaurant durfte sie zu Tennis wechseln…

    • Reply Eva Ihnenfeldt 3. August 2020 at 09:22

      Vielen tausend Dank für Deinen ausführlichen Kommentar!! Ja, die Prämisse, der Mensch müsse sich für den Markt optimieren (kommen ja noch viele Dinge hinzu wie ein „optimales Gesundheitsverhalten“) ist gruselig. Das verstehe ich nicht unter digitaler Kompetenz. Digitale Kompetenz ist journalistische Kompetenz. Ausgehend von dem Wissen „Verfolge jeden Fluss zurück bis zur Quelle“. Aber niemand kann uns davor bewahren, dass wir mit unserer Intuition emotionale Beurteilungen vornehmen müssen. Der Verstand ist nicht alles. Und er ist nicht einmal besonders zuverlässig bei der Findung von Entscheidungen und Bewertungen. Ja, ich wünsche mir Heranwachsende, die nicht versuchen, sich für ihre Familie, Freunde, Lehrer und den „Markt“ zu optimieren. Ich wünsche mir wütende Jugendliche, die aufbegehren gegen die Welt der Erwachsenen – so wie es schon immer der Job der Jugend war, sich gegen die etablierten Muster zu stemmen. Auch gegen mich!!! Digitale Kompetenz heißt nicht „Digital anerkanntes Verhalten“ – es bedeutet, sich das Werkzeug zu eigen machen und souverän damit jonglieren können. Leider merke ich bei den jungen Menschen, mit denen ich Kontakt habe, dass diese eher Digital-Verweigerer sind. Sie versuchen, sich vor den Blicken von außen zu schützen. Verstehe ich – aber es ist schade. Sehr schade…

  • Reply Twitter Zweitaccount - So können Sie beruflich und privat trennen! 27. Dezember 2021 at 22:58

    […] Beiträgen – der eigenen Firma betreffend und wichtigen allgemeineren Informationen denkbar. Steadynews gibt hierfür noch weitere Beispiele. Dies ermöglicht es gezielter auf Interessen der Nutzer […]

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