Mobbing und jede andere Form von ungesühnter Quälerei Schwächerer und Hilfloser ist schrecklich. Wir leben in einer Zeit, in der diese Form von Gewalt- und Machtausübung sehr eindringlich in den sozialen Netzwerken verfolgt wird. Dabei geraten Äußerungen schnell in den Verdacht, Schwächere zu verhöhnen, zu demütigen, auszustoßen. „Woke“ (Erwachen) bedeutet, achtsam zu sein gegenüber Rassismus, Diskriminierung, Überheblichkeiten und Machtausübungen privilegierter Schichten. Weiß, männlich, wohlhabend, etabliert, heterosexuell, vierzigplus… Die Woke-Bewegung in Deutschland ist ernsthaft, achtsam, streng bei Nachlässigkeiten und Regelverstößen. Deutsche Medien achten bereits sehr darauf, in Sprache und Inhalt nicht die Empörung der Woke-Bewegung auf sich zu ziehen. Was wird das für Konsequenzen haben?
Political Correctness
Political Correctness hat sich von den Werten her immer wieder verändert. Jede Zeit hat ihre Werte. Waren es in Deutschland in den fünfziger Jahren Disziplin, Anpassungsfähigkeit, Autoritätsgläubigkeit, Leistungsbereitschaft und der Glaube an den sozialen Aufstieg, so sind es heute Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Minderheitenschutz, Tier- und Naturschutz, gesunde Lebensführung, Selbstoptimierung.
Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Jeder lichten Überzeugung folgt ein dunkler Schatten. Gibt es Heilige ohne innere „Verbrecher“? Gibt es eine Möglichkeit, das Gesetz der Dualität zu erlösen und eine „neue, paradiesische Erde“ zu formen? Ist es möglich, durch kluge Erziehung und achtsame Selbstoptimierung zu Gerechtigkeit, Frieden, globaler Gesundheit und Leben in harmonischem Fluss alles Lebendigen zu kommen?
Ich fürchte, dieser Planet hätte seine Funktion verloren, wenn sich das durchsetzen ließe. Und ich vertraue darauf, dass Tag und Nacht, Mangel und Überfluss, Entstehen und Vergehen, Freud und Leid bleiben werden. Ich bin sowohl Fan von Dr. Jekyll als auch von Mr. Hyde – aber ich finde es ausgesprochen spannend, liebenswert und herausfordernd, was wir heute mit der Woke-Bewegung erleben! Es imponiert mir, dass Leidenschaft und Idealismus so viel Kraft haben – dass Wenige in der Lage sind, Machtstrukturen zu erschüttern und das Erstarrte ins Wanken bringen. Was wären wir ohne Idealisten und Querdenker? Was wären wir ohne die rebellische Jugend? Was wären wir ohne die wütenden Alten?
Das Pendel schwingt hin und her
Jede Bewegung in die eine Richtung führt zu einer Bewegung in die andere Richtung. Füttere ich meinen Dr. Jekyll und unterdrücke ich meinen Mr. Hyde, weckt das dessen Widerstandsgeist. Und glaubt mir, er ist ausgesprochen kreativ dabei! Egal, ob die helle oder die dunkle Seite unterdrückt wird, in der Dualität des Planeten Erde besteht immer das Streben nach Gegenbewegung. Wie schon der Pudel (Mephistopheles) in Faust so weise spricht „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Hin und her schwingt das Pendel, und was ist schon „gut“? Was ist schon „böse“?
Was tun mit der heutigen Political Correctness?
Ich persönlich habe den Vorteil, eine Frau zu sein und als prekäre Selbstständige zu leben. Das verschafft mir einige Vorteile bei der freien Meinungsäußerung. Obwohl ich viel rede und das ausgesprochen öffentlich, erlebe ich so gut wie nie Anfeindungen. Wer mich schrecklich findet, kann mich auslöschen aus seinem Leben – kein Problem!
Ich weiß, dass es schwer ist, sich zu befreien von der Bewertung der Gesellschaft – doch es ist möglich. Vielleicht ist dies sogar der einzige Weg für psychische Gesundheit und klaren Blick. Ich habe den Eindruck, dass unser Planet tatsächlich auf eine neue Bewusstseinsstufe kommt, und ich bin neugierig darauf, wie sich die Dissidenten der heutigen Zeit entwickeln.
In meinen Coachings bemühe ich mich darum, meine Klienten zu ermutigen, ihre dunkle (egoistische) Seite ebenso selbstbewusst leben zu können wie die gesellschaftlich erwünschte. Ich versuche, sie dabei zu unterstützen, sich zu befreien aus Erziehung und fremdbestimmten Werten. Ich ermutige sie darin, in den Coachings auch ihre Wut freizulassen – sie sollen mich nicht „anbeten“ – sie sollen mich gern auch angreifen!
Sollten wir es schaffen, dass unsere dunkle (egoistische) und unsere helle (achtsame) Seite zu Freunden werden, können wir vielleicht sogar liebevoller und vor allem selbstbestimmter durchs Leben gehen. Darum bin ich dem heutigen Werte-System sehr dankbar. Nichts soll länger diskriminiert werden. Auch nicht unser Hang zu Macht, Gier, Neid, Eifersucht, Ignoranz, Trägheit… Erlösen statt unterdrücken, das wäre mein paradiesischer Traum. Aus der Dualität kommen wir nicht heraus – aber vielleicht aus der Bewertung, dass Dualität etwas Abzulehnendes ist.