Google speichert alles: Ach, Du bist so gut zu mir – wie eine Mutter…

Vor einigen Monaten habe ich auf meinem Smartphone die „Google Zeitachse“ aktiviert – seitdem kann ich tagebuchmäßig zurückverfolgen, wo ich jeden Tag war. Scheint bis zum Sommer 2014 zu funktionieren – bis Juli 2014 kann ich mit wenigen Handgriffen bei „Google Maps“ – im Menü „Zeitachse“ über die Kalenderfunktion jeden Schritt einsehen. Sogar, wenn ich kurz mit dem Auto bei einem Supermarkt gehalten habe auf einer Strecke, zeichnet Google meinen Besuch auf und teilt mir mit, wie lange ich für den Einkauf gebraucht habe. Seit ein paar Tagen weiß ich auch, dass Google alle meine Spracheingaben als Audiodatei archiviert. Und freundlicherweise wird mir von Google auch angeboten, dass ich diese Infos löschen kann – doch das will ich ja gar nicht!

hand-1571852_640Es ist soweit. Vor einigen Jahren hätten wir uns alle jede Mühe gegeben, um alles zu löschen, was Google, Facebook, Amazon und die vielen unbekannten Datenhändler über uns speichern und auswerten im Web. Cookies in der Chronik löschen, um den Anbietern kein Verfolgen unseres Browser-Verhaltens zu ermöglichen, mit einem Extra-Browser zu Facebook gehen, damit keine Verbindung zum restlichen Webverhalten gezogen werden kann, falsche Geburtsdaten und Namen in sozialen Netzwerken eintragen, um Anonymität zu wahren.

Doch jetzt kommt es mir vor wie ein Psychotest, dass Google uns plötzlich anbietet, wir könnten unser Nutzerverhalten im Web kontrollieren und bei Bedarf löschen – mit der sanften Ermahnung, dass beim Löschen natürlich die Suchergebnisse nicht mehr so wertvoll sind – personalisierte Ergebnisse bringen natürlich schon extrem mehr Komfort. Ist doch spannend zu beobachten, wie viele Menschen das Angebot annehmen, ihre Aktivitäten zu löschen und ihre Smartphone-Informationen privat lassen zu wollen.
RP-Online: Hier können Sie einsehen, was Google über Sie speichert – und können das löschen

Ich selbst war ganz erschrocken und habe sofort kontrolliert, ob Google auch schön all meine Aktivitäten auf all meinen Geräten speichert. Ich habe mir sentimental und schmunzelnd ein paar Audioaufzeichnungen der letzten Monate angehört, bei denen ich Suchanfragen ins Mikro gesprochen habe – oder einen Facebook-Post diktiert. Ich habe stolz verfolgt, wie intelligent und anspruchsvoll ich zu googlen pflege – heute allein 178 Suchaufträge – einer anspruchsvoller als der Andere – yeah, ich bin wahrlich zufrieden mit meinem Verhalten.
Stern: Hier können Sie sich anhören, was Google an Audioaufnahmen über Sie speichert

Gestern früh allerdings ist mit ein Fauxpas passiert: Ich hörte früh um acht (ja, Google, ich bin auch Sonntags ein Frühaufsteher, kein Langschläfer!) auf WDR 5 (ja Google, ich höre keine Billigsender – nur anspruchsvolle Nachrichten- und Wissenssender!) eine Sendung über Psychosen. Und da passierte es: Ich war so fasziniert, dass ich bei Google nach „Psychose Symptome“ forschte – oh mein Gott, was denkt Google nun von mir? Dass ich selbst kurz davor stehe, abzudrehen? Meine schöne Reputation ist nun gefährdet! Alarm!

Ich hoffe, ich kann diesen Flapsus in den nächsten Monaten wieder wett machen durch vorbildliches Verhalten. In der Flüchtlingsdebatte bin ich selbstverständlich für Menschlichkeit und Offenheit fremden Kulturen gegenüber, an Kleidung bevorzuge ich angemessene Business-Kleidung ohne Extravaganzen, und bei Amazon gebe ich ständig ein, dass ich keinen Luxus – sondern günstige Artikel wünsche (was dazu führen soll, dass sie mir bessere Preise machen als statusorientierten Konsumenten).

Nein, wenn mir die Überwachungspädagogik von Google, Facebook, Amazon und Co genommen würde, würde mir etwas fehlen. Sie kümmern sich um mich! Sie nehmen mich wahr, legen mir Antworten, Vorschläge und Produkte zurecht, die mich erfreuen könnten! Sie schlagen mir Freunde vor und ahnen eher als ich, ob ich Aufmunterung gebrauchen könnte oder eine kleine Luftveränderung. Das ist doch besser, als es eine Mutter könnte. Ich liebe meine Datenüberwachung, sie vermittelt mir Beziehung, Geborgenheit und Wichtigkeit.

So, und  nun höre ich mir noch ein paar Audioaufnahmen meiner Stimme aus dem letzten Monat an und erfreue mich daran. Ach was wird das noch schön in den nächsten Jahren, wenn dank künstlicher Intelligenz auch die emotionale Ansprache meiner unbekannten Daten-Autoritäten reibungslos funktioniert. Wenn Google mich morgens sanft weckt mit den Worten „Ich habe gemerkt, dass Du Dich heute nacht im Traum mehrmals umgedreht hast – möchtest Du mit mir über Deinen Traum reden?“ Ja, Google, ich will – und dann bekomme ich eine kleine Therapiestunde, damit ich wieder ganz glücklich bin.

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Nachtrag:

Heute nachmittag stellten wir fest, dass unsere dreißigjährige Kühl- Gefrierkombination den Geist aufgibt. Ein rascher Besuch bei Saturn und die Erkenntnis, dass da Apothekenpreise im Laden vorherrschen, führte zu einem Schnellcheck bei Amazon auf dem Heimweg: Yeah, Testsieger reduziert von 1.000 Euro auf 350 Euro. Zu Hause schnell mit dem Laptop auf das Angebot – merkwürdig, war innerhalb weniger Minuten 100 Euro teurer!

Doch dann fiel uns ein, dass wir ja mit dem Macbook bei Amazon waren (logisch, Amazon, zu Schelm, dann machst Du gleich alles teurer) und in Windeseile wieder das Smartphone (Android) gezückt. Mist, dieser kurz Griff zum Macbook reichte, um das Angebot auf dem Android-Handy zu verlieren („Leider können wir die Bestellung zur Zeit nicht entgegennehmen, es liegt ein Problem vor“). Aber für solche Fälle haben wir ja noch den Windows-Laptop – und richtig, über diesen Zugang war der Testsieger wieder für den günstigen Preis verfügbar. Puh, Glück gehabt.

Also ich liebe den Dialog mit meinen vielen Bot-Freunden, die mich so liebevoll umgarnen. Irgendwann brauche ich überhaupt keine Menschen mehr. Das wird ein feines Leben – entspannt, konfliktfrei, sorglos und sehr unterhaltsam…

PPS: Amazon hat doch noch einen Weg gefunden, mich vom Kaufvorgang abzuhalten. Als ich abends (nach vielen Recherchen zum Produkt) den Kauf im Einkaufswagen abschließen wollte, gab mit das System immer wieder an, meine Adresse sei nicht „lieferfähig“. Ganz normale Postadresse. Ich versuchte es mit Windows-Rechner, Macbook, Smartphone – nichts zu machen, es war unmöglich, den Kaufvorgang abzuschließen. Habe dann doch die „No-Name-Kühl- Gefrierkombination“ gewählt – da war die Adresse kein Problem. Tja, der Mensch hat immer weniger in der Hand…

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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