Hans Leyendecker (geb. 1949) gilt als einer der besten investigativen Journalisten Deutschlands. Am 28. November 2014 hielt der Ressortchef Investigativer Journalismus der Süddeutschen Zeitung einen Vortrag im Amtsgericht Essen. Die Juristische Gesellschaft Ruhr hatte eingeladen – und mehrere hundert Juristen, Medienvertreter und interessierte Bürger waren gekommen, um mehr über das Thema zu erfahren. Im Anschluss an seinen Vortrag machte der Vorsitzende Richter Wolfgang Schmidt auf die vielen möglichen Rechtsverletzungen aufmerksam, die drohen wenn Journalisten aufdecken und Aufgedecktes über die Medien verbreiten.
Hans Leyendecker kam zunächst auf den Fall Wulff zu sprechen der ja seit Langem die Schlagzeilen füllt, obwohl letztendlich von den vielen Vorwürfen und Verdächtigungen kaum etwas übrig geblieben ist. 20.000 Prozessaktenseiten, 45 Zeugen – und von 34 Anklagepunkten ist nur ein einziger geblieben. Kann es sein dass die Presse sich leichtfertig auf ein Opfer stürzt ohne Sorgfalt zu wahren? Leyendecker meint, dass sich durch den Einfluss des Internets Gerüchte immer schneller verbreiten und die Jagd nach Sensationen im Minutentakt dazu führt, dass Journalisten weniger sorgfältig recherchieren als früher.
Leser haben den Drang sich durch das was sie lesen in ihrer Meinung bestätigt zu sehen zu wollen – Neues und Überraschendes lassen die wenigsten zu. Journalisten sollten jedoch ergebnisoffen recherchieren und nicht nach dem Grundsatz verfahren „Was nicht passt wird passend gemacht“. Im Gegensatz zu früher werden dabei leider nicht mehr nur Menschen mit einer gewissen „gesellschaftlichen Fallhöhe“ von den Medien gehetzt, sondern ganz normale Menschen – was früher der BILD Zeitung vorbehalten war übernehmen heute auch seriöse Zeitungen auf der Jagd nach Aufmerksamkeit.
Quote, Klicks und Auflage bestimmen den Journalismus von heute. Aussagen ohne Nachrichtenwert werden zur Meldung. Larifari ersetzt Haltung. Medienhäuser leisten sich immer weniger Rechercheure – echte Recherche ist in Deutschland tatsächlich sogar die Ausnahme. Und Reporter in Krisengebieten haben nicht mehr mehrere Tage Zeit um sich vor Ort zu informieren – sondern müssen schon wenige Stunden nach der Ankunft „abliefern“. Da kann es schon mal passieren dass sich der Reporter fragt „In welchem Land bin ich gerade?“.
Leyendecker bezeichnet sich selbst nicht als investigativen Journalisten sondern als Rechercheur. Bei der Frage aus dem Publikum zum Guardian, der ja besonders aus investigative Recherche setzt meint der 59 jährige Journalist er wäre vielleicht schon zu alt, um so klar „Böse“ von den „Guten“ zu trennen. Für ihn bestehe die Welt mehr aus Grautönen als aus Schwarz und Weiß. Bei der investigativen Recherche ist eine gewisse Härte unabdingbar. Man will Schurken entlarven.
Nachdem der Vorsitzende Richter Wolfgang Schmidt die vielen Paragrafen aufgezählt hatte die im Strafrecht verletzt werden können, wenn man als Journallist Verdecktes ans Licht bringen will gibt Hans Leyendecker zu, dass recherchierende Journalisten meistens schmutzige Hände haben: „Du hast es bei Deinen Informanten selten mit Altruisten und Helden wie Edward Snowden zu tun – in den meisten Fällen sind Deine Informanten Schurken“. Und ohne verdeckte Kamera, zwielichtig erworbene Dokumente und verdeckte Tondokumentationen ist investigativer Journalismus kaum denkbar.
Am Schluss empfahl er uns allen noch, unbedingt die Goethe Biografie von Rüdiger Safranski zu lesen. Besonders beeindruckt hat ihn die Definition von Sünde, wie Goethe sie wohl verstand: „Sünde ist das Sinken Lassen der Hände“. Das gefiel mir als Zuhörerin natürlich ausgesprochen gut da ich auch daran glaube dass dem Menschen wenig Schlimmes widerfahren kann wenn er nur fleißig ist.
Was mir allerdings auch an diesem Abend klar wurde ist warum Journalisten häufig so unbeliebt sind. Die Jagd nach der „heißen Story“ ist ein Antrieb der wohl tatsächlich dazu führen kann dass Menschlichkeit, Selbstreflektion und Mitgefühl auf der Strecke bleiben. Aber wer weiß, auch wenn Leyendecker wenig vom Internet hält – ich kann mir vorstellen dass es eine neue Generation von Bloggern und Journalisten hervorbringt, die mit gesellschaftlicher Verantwortung und Respekt Transparenz und konstruktives Miteinander vertreten – aber vielleicht bin ich ja unverbesserlicher Optimist…
Eva Ihnenfeldt