Heute kam meine 23-jährige Tochter sehr aufgebracht zum Mittagessen: „Ich kann es nicht mehr hören! Diese ganze Ursachenforschung überall in den Medien! Außenseiter, Counterstrike, Zugang zu Waffen… jeder gibt noch eins drauf bei dem Kluggeschwätze – doch niemand spricht sein eigentliches Motiv an!“ Ich schaue sie fragend an. Ehrlich gesagt hätte ich jetzt auch diese drei Dinge aufgezählt und wäre fertig gewesen mit meiner Interpretation… „Ja, verstehst Du denn nicht- der Junge wollte sterben! DAS war sein eigentliches Motiv! Er wollte sterben und so viele Menschen wie möglich dabei mitnehmen.“
Ich denke an die vielen „Trittbrettfahrer“, die gerade in Schulen in Handschellen abgeführt werden. An die Kondolenzkommentare, die der Amokläufer von Emsdetten bei Youtube erhält. Himmel, was sind wir doch vernagelt. Meine Tochter hat natürlich recht! Und diese ganzen lebensmüden Jugendlichen, die das wirkliche Motiv instinktiv -oder auch bewusst – erspüren, werden nun von einer Gesellschaft, die jung, leistungsfähig, schön und beliebt ist, zu Monstern angestempelt. Sie schreien um Hilfe, um Liebe und Anerkennung -und werden verhaftet, verhört, als psychisch krank abgestempelt.
Ich habe mal einen Tag in einem Kinderheim hospitiert, als mein jüngster Sohn noch sehr klein war. Er fragte mich damals, ob ein Kinderheim ein Gefängnis für Kinder wäre. Ich widersprach natürlich energisch. -Doch als ich dann die Kinderheim-Realität sah, musste ich begreifen, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Kinder, die aus ihren Familien genommen wurde, weil sie die Hölle durchlebt hatten, sexuell missbraucht wurden, geschlagen, vernachlässigt, jeden Tag einem unerträglichen Terror ausgesetzt waren, wurden nicht verwöhnt und mit Liebe überschüttet -nein, sie wurden behandelt wie Straffällige – wie kleine Verbrecher.
Ich wünsche, wünsche, wünsche mir, dass es einen Ort gibt, wo junge unglückliche Menschen sich zusammenschließen können. Wo man sie akzeptiert, wie sie sind. Wo man sie mag, ganz so, wie sie sind. Wo sie das bekommen können, wonach sie sich sehnen: Aufmerksamkeit, Liebe und Respekt. Wo es keine Supernanni gibt, die vor allem feste Regeln fordert, Disziplin und Konsequenz – sondern wo Love-and-Peace-Hippies die Looser ohne Vorurteile aufnehmen, einfach so, mit Ballerspielen und Gewaltphantasien. Denn eins habe ich im Leben gelernt: Du kannst einen Menschen immer erst dann „erziehen“ (sprich auftauen), wenn Du sein Herz erreichst. Handschellen statt Verständnis sind unglaublich – einfach unmenschlich grausam gemein.
Sehr schön und treffend geschrieben. Danke dafür