#rp17 am Montag: Debattieren oder nicht debattieren, das ist hier die Frage

Wie sollten wir reagieren, wenn sich bei Twitter oder Facebook ein politisches Streitgespräch ergibt? Wenn Rassisten mit Gutmenschen über die Aufgaben von Menschlichkeit streiten wollen – oder Anhänger autoritärer Führer mit Anhängern von Demokratie? Zwei Vorträge auf der größten Bühne drehten sich am 1. Tag um dieses Thema: Die Linguistin Elisabeth Wehling berichtete von ihren langjährigen Forschungen zum Thema „Neurokognitive Kampagnenführung“ in Kalifornien – und Sascha Lobo erläuterte, wie er sich heute in politischen Social Media Debatten verhält – und was er den Besuchern der re:publica empfiehlt.

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Der Vortrag von Elisabeth Wehling hat mich sehr nachdenklich gemacht. Zum Einen, weil er mir Informationen gab zu meiner Grundfrage, wie politisch manipulierbar wir sind durch Algorithmen, Kampagnen, Filterblasen. Zum Anderen, weil sie noch einmal deutlich belegte, dass es im Grunde genommen egal ist, ob wir einen Begriff negieren oder positiv bestärken – sobald wir ihn benutzen, hinterlässt er seine Wirkung. „Stelle Dir keine Hüpfburg vor“ kann sogar das Gehirn mehr beschäftigen als „Stelle Dir eine Hüpfburg vor“ – irgendwie logisch, denn mit dem Verbot an das Gehirn steigt die emotionale Intensität, weil man sich ja doch eine Hüpfburg vorstellt – ob man will oder nicht.

Was ist Framing – und warum das so entscheidend ist

Elisabeth Wehling empfahl uns, bei Google Bildern einmal nach „Flüchtlingswelle“ zu suchen. Wir werden anhand der Bilder und zugehörigen Berichterstattungen begreifen, wie uns die Leitmedien und alternativen Medien beeinflussen. Wir sehen Menschen plötzlich als Überschwemmung, Naturgewalt, Sintflut – wir verstehen, wie wichtig es ist, „Dämme zu bauen“ und uns abzuschotten. Genau das ist Framing: Worte mit Bildern verknüpfen, die in unseren Gehirnen Emotionen und Geschichten bilden. Je primärer und konkreter so ein Framing eingesetzt wird, desto wirksamer ist es.

Letztendlich landen wir bei unserer politischen Beeinflussbarkeit immer im primären Framing, das bereits vor der Sprachbildung geprägt wurde – in der Zeit direkt nach der Geburt. Niemals mehr wird Framing so überlebenswichtig sein wie in der Zeit, in der wir als Baby der Umwelt völlig schutzlos ausgeliefert sind. Elisabeth Wehling fragt, wer uns in dieser Zeit am Übermächtigsten mit Framing prägt? Ganz klar – die Familie.

Die Familie als Primär-Metapher

Politik und Regierungsformen sind sozusagen das gesellschaftliche Abbild der Kernfamilie. Autoritär erzogene Menschen streben nach autoritären Führern, fürsorglich erzogene Menschen nach einer fürsorglichen Regierung. Belohnung und Strafe stehen dem einfühlenden Verständnis gegenüber – je nachdem, wie man geprägt wurde. Wir müssen Abschied nehmen von der Vorstellung, dass wir unabhängig von unseren Framings in Fakten diskutieren können. Wir denken in Bildern, wir denken in unseren Framings.

Je konkreter eine Metapher, desto programmierter unser Gehirn

Autoritär erzogene Menschen haben ein starkes Reinlichkeitsbedürfnis. Begriffe wie „abstoßend“, „widerwärtig“, „Ekel“, „mir wird schlecht“ üben auf ihr Gehirn einen starken Reiz aus. Trump hat von Anfang an sehr viel mit diesen Metaphern gearbeitet, um politische Gegner zu bekämpfen. Seine Anhänger nehmen diese Metaphern direkt körperlich war.

Bei der Gesundheitsreform hat Obama – der als Präsidentschaftskandidat und Präsident sehr erfolgreich mit Metaphern für die „Fürsorglichkeit“ gearbeitet hat, auf Fakten gesetzt und kein Framing betrieben, sagt Elisabeth Wehling. Das machte es den Republikanern leicht, diese Verbindungen zu besetzen. In den USA ist die Ideologie von „Leistung und Freiheit“ sehr stark – so konnte „Gesundheit“ wie ein Produkt sprachlich verbreitet werden, das man sich leisten können muss: „Alles was man den Menschen umsonst gibt, verweichlicht sie. Man muss sich Gesundheit leisten können. Gesundheit ist eine Freiheitssache.“. Dieses einseitige Framing schwächte nach und nach die Gesundheitsreform. Fakten reichten nicht aus, um die Vorteile von Gesundheitsschutz dauerhaft zu implementieren.

Welche Bedeutung hat die politische Mitte?

Während rund 70 Prozent der Menschen klar einem der beiden Familien- und Erziehungsideale zugeordnet werden können, bleiben etwa 30 Prozent unentschlossen. Sie können sich anhand ihrer primären Prägung keiner Seite komplett anschließen. Gerade diese Unentschlossenen reagieren stark auf Framings, um eine Entscheidung treffen zu können. Je nach Intensität und konkreter Handlungsaufforderung durch das Gehirn (wenn wir hören „John beißt in ein Wurtsbrot“ aktiviert unser Gehirn automatisch unsere Beißwerkzeuge) tendieren die Unentschlossenen hin und her – bis am Wahltag bzw. in der Wahlminute eine Seite „gewinnt“: Fürsorglichkeit oder autoritäre Führung.

Fake-News und die Debatte darüber

Elisabeth Wehling sagt, den Begriff „Fake-News“ hat tatsächlich Donald Trump auf der legendären ersten Pressekonferenz nach dem Wahlsieg erfunden. Und ist es nicht erstaunlich, wie er sich bis heute weltweit verbreitet hat?! Alle diskutieren über Fake-News, so wie Eltern und Kinder in ständiger Auseinandersetzung zum Thema „Lügen“ stehen können. In vielen Erziehungskonzepten ist die „Lüge“ das schlimmste Verbrechen eines Kindes und wird von den Eltern als Verrat bestraft.

Die eine Seite wirft „Fake-News“ vor – die andere Seite bestreitet, „Fake-News“ zu verbreiten. In jedem Fall ist es wie mit der Hüpfburg – gerade die Negierung verstärkt noch die Wirkung des Framings: „Glaubt nicht, dass wir Fake-News verbreiten“ ist für unser Gehirn ein intensiverer Befehl als „Das sind Fake-News“.

Sascha Lobo empfiehlt, mit den Rechten menschlich zu debattieren

Abends zum Abschluss des ersten Tages hielt Sascha Lobo seinen traditionellen Vortrag zur „Lage der Nation“ und empfahl den Besuchern, mit „Rechten (was auch immer sich dahinter verbirgt) auf Social Media Kanälen menschlich und wertschätzend zu debattieren, um sie auf die Seite der „Fürsorglichen“ zu ziehen. Er erzählte von einem Fall, wo ein Social-Media-Aktiver ihm persönlich dankte, dass Sascha Lobo ihn mit der Debatte davor bewahrt hatte, komplett ins rechte Lager abzudriften.

Das mag sicher sein, und ich finde es wirklich bewundernswert, wie geduldig und empathisch einige meiner Facebook-Freunde auf rassistische und zerstörungswünschende Kommentare und Posts eingehen. Doch ich selbst habe mich – gerade nach diesen beiden Vorträgen – noch mehr dazu entschlossen, mich aus dem Framing der „Gegenseite“ frühzeitig und eindeutig auszublenden. Zur Erklärung: Ich selbst stehe eindeutig auf der Seite der empathisch Fürsorglichen, zumindest in meiner politischen Überzeugung. Bei mir vereinigen sich Fürsorglichkeit mit Freiheitsdrang. man nennt es „linksliberal“.

Ich habe mich entschieden, NICHT zu debattieren über Primär-Framings

Würde ich mit den „Rechten“ diskutieren, würde ich immer und immer wieder die Metaphern verwenden müssen. Ich müsste dagegen argumentieren, müsste sie mit Beispielen widerlegen, müsste sie benutzen und würde sie damit verstärken wie einen Gassenhauer, der sich viral verbreitet, alleine, weil man mitsingt.

Lieber verfahre ich nach dem Leitsatz „Das Böse bekämpft man am Besten durch entschlossenes Fortschreiten im Guten“. Ich gebe Sascha Lobo völlig recht mit seinen fünf Empfehlungen, mit allen Menschen respektvoll, zugewandt, wertschätzend und freundlich umzugehen. Doch dafür muss ich nicht debattieren. Das kann ich auf anderen Ebenen tun, und ich kann durch Beiträge (wie diesen hier) Zeichen setzen und hoffen, dass ich Vertrauen gewinne dadurch, dass ich mich um Echtheit und Transparenz meiner Überzeugungen bemühe.

Mir tun die „Autoritären“ immer ein bisschen leid, weil sie in einem Framing aus Belohnung und Strafe, aus Leistungsdruck und Vermischung von Person und Tun aufgewachsen sind. Sie wurden geliebt je nach erwünschtem Verhalten, das ist nicht leicht auszuhalten – vor Allem nicht als Baby und Kleinkind.

Ich hatte das unverschämte Glück, einfach so geliebt worden zu sein, unabhängig von meinem Verhalten. Was für ein Privileg! ich bemühe mich, in meinem Umgang mit Menschen dieses Privileg aus Dankbarkeit weiterzugeben, vor Allem beruflich. Ich wünsche mir von Herzen, dass es mir gelingt, alle Menschen um mich herum gleich zu lieben – unabhängig von ihren primären Framings.

Doch debattieren um „Fake-News“ und „politische Hüpfburgen“ werde ich ab jetzt noch weniger. Ich passe darauf auf, dass in meiner Filterblase, in der ich die „Wirtin“ bin, niemand beleidigt oder verletzt wird. Ich passe darauf auf, dass keine menschenverachtenden und zerstörungswünschenden Aussagen stehen gelassen werden. Je früher ich hasserfüllte Autoritäre vom Platz weise, desto mehr vermeide ich Verletzungen und Angstgefühle.

Doch auch wenn ich entfreunde, lösche, womöglich mal blocke (gottseidank musste ich bisher erst viermal entfreunden in den vielen Jahren – und das bei weit über tausend Kontakten!) tue ich das mit einem wertschätzenden Lächeln und dem echten Wunsch danach, dass es dem Wütenden und Enttäuschten gut gehen möge. Aber debattieren um Primär-Framings werde ich nicht. Nur um die Ebenen oberhalb dieser familiär geprägten Grundwerte. Nur oberhalb von dem gemeinsamen Wunsch, dass es allen fühlenden Wesen gut gehen möge. Punkt.

Elf Stunden Livestream vom ersten Tag der re:publica 2017

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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