Disziplin üben als Erwachsener

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ – stimmt das? Viele Kinder werden von Kleinauf zur Disziplin erzogen. Kontrollierte Schulleistung, Sportverein, Instrumentenunterricht, Ordnung und Tagesstruktur. Die meisten dieser Kinder werden auch als Erwachsene ihre gelernte Disziplin beibehalten. Manche werden an ihrer anerzogenen Disziplin krank oder sie rebellieren dagegen. Und da gibt es noch die vielen vielen, deren Eltern die Kinder nicht herangeführt haben an die Kunst des Durchhaltens, des Pflichtbewusstseins, des „Zähne Zusammenbeißens“ und dieses ewigen Kampfs um Einfluss, Status, Gewinnens und der Selbstoptimierung. Also: Kann aus einem unerzogenen oder übererzogenen Kind ein erwachsener Leistungssportler werden? Ich sage „Ja“.

Ich selbst bin so ein Fall. Vom Saulus zum Paulus bin ich mutiert. Ich liebe meine Fähigkeit zur Disziplin über Alles, da sie mir die Freiheit gibt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. So wie auch ein hartes Training in Selbstverteidigung dazu führt, dass man die Angst verliert vor Stärkeren, so führen Fleiß und Disziplin dazu, dass man die Angst davor verliert, fertig gemacht zu werden „von oben“.

Es ist verrückt, aber es stimmt. Egal ob im Gangstermilieu, als Bankangestellter, als Genie, Handwerker, Sozialarbeiter oder  kreativ Verrückter, bist Du fleißig und diszipliniert, erarbeitet Du Dir Respekt. Brauchst nicht einmal darüber zu sprechen. Funktioniert einfach so.

Du bist einfach nur zu faul

Als Kind und Jugendlicher gehörte ich zu denen, über die Eltern und Lehrer urteilten, ich wäre wohl zu faul für gute Leistungen. Und ja, in gewisser Weise stimmte das. Ich war extrem schüchtern und ich habe die Schule gefürchtet, die mir ständig etwas aufgezwungen hat, was ich nicht wollte und nicht konnte. Latein, Mathe, Englisch, Erdkunde… Ich empfand es regelrecht als Gewalt, diesen Druck und diese Langeweile ertragen zu müssen. Hausaufgaben und Prüfungspauken verschob ich, so gut es ging. Ein Wunder, dass ich trotzdem irgendwie durchs Abi gerutscht bin.

War ich faul in meiner Kindheit? Nun, ich habe leidenschaftliche viel gelesen, gebastelt, geschrieben, gemalt… Das kann man vielleicht als „faul“ ansehen. Doch ich habe mich auch leidenschaftlich viel bewegt, geturnt, gesprungen und habe wild mit meinen Freunden gespielt. Aber Sportvereine und Musikschule waren ähnlich wie Schule für mich: Eine Verletzung meiner Selbstbestimmung. Ich habe es gehasst. Und in Sport in der Schule hatte ich (obwohl dünn und tänzerisch begabt) häufiger eine 5.

Putzen war nie so mein Ding

Noch lange lange habe ich versucht, mich vor einem disziplinierten Leben zu drücken. Habe zwar immer viel arbeiten müssen, da ich schon sehr früh begonnen habe, Kinder zu bekommen (insgesamt sind es vier) doch Putzen war nicht so mein Ding.

Wann nun ist dieser Wandel passiert, dass aus der sich den Pflichten verwehrenden Eva ein Disziplinbolzen wurde? Es war, als mein Stolz erwachte, mein „Jetzt reicht’s“.
Bei mir persönlich war es vor mehr als fünfzehn Jahren der Schritt in die Selbstständigkeit, der meinen Leistungsehrgeiz befreite wie einen Dschinn aus der Flasche. Schon als Kind war ich immer dann ehrgeizig, wenn es darum ging, für Schwächere einzutreten – und diese Freude am Kampf konnte nun täglich toben. Es war (und ist) herrlich. Kampf macht mich glücklich, und Glück treibt mich zur freudvollen Disziplin an.

Pauken will gelernt sein

Bild von Ana Krach auf Pixabay

Egal, ob Du für eine Prüfung lernst oder ein Musikinstrument beherrschen willst – zur Meisterschaft bringst Du es nur durch „Pauken“. Und tatsächlich: Pauken hatte ich schon während meiner Ausbildung zur Heilpraktikerin gelernt, als mein viertes Kind noch ein Baby war. Zwei Jahre lang habe ich jeden Abend zwei Stunden lang Anatomie, Physiologie, Diagnostik, Pathologie, Gesetzeskunde und mehr gelernt, und glaubt mir, nichts davon fiel mir in dem Schoß. Bei Sachen, die sich nach Vokabeln anhören, verweigert mir mein Gehirn seinen Dienst. Hier rein, da raus. Es war pure Schinderei. Aber ich habe es geschafft. Seitdem kann ich pauken, bis der Arzt kommt 😉

Die Erste die kommt – die Letzte die geht

Ich habe dann ja auch Unternehmen gegründet. War die Erste, die kam und die Letzte, die ging. Nahm meine Leidenschaft mit in meine Träume und war bereit, Opfer zu bringen für meine Vision und meine Überzeugungen. Macht mir in meiner Selbstständigkeit etwas keinen Spaß (wie Buchhaltung), finden sich Wege, es auszulagern. Ich entwickle mich täglich weiter durch Lesen und Hören – doch pauken ist mir weiterhin verhasst. Vokabeln und Formeln zu lernen, reduziere ich stets auf das absolute Mindestmaß (ich sage nur „Excel“).

Jedem nach seiner Bestimmung

Natürlich will ich jetzt nicht behaupten, man muss sich selbstständig machen, um zu einem disziplinierten, freudvollen, selbstbestimmten Leben zu kommen. Jeder von uns ist ein eigener Kosmos, und jeder von uns hat seine eigene Bestimmung.

Tipps, wie man zu Disziplin kommen kann

  • Liste auf, was Dich als Kind „fleißig‘ gemacht hat. Was hast Du mit Ausdauer und Begeisterung geübt, obwohl Dich kein Erwachsener dazu gezwungen hat? Ohne dass Du dafür gelobt wurdest? Was macht Dich stark und frei und willensstark? Was hat Deinen natürlichen Leistungswillen angetrieben? Wo war es Dir wichtig, richtig „gut“ in etwas zu sein.
  • Was sind Deine Trigger, die Dich dazu bringen, Dich als Versager und Nichtsnutz zu fühlen? Sind es bestimmte Sätze, bestimmte Menschen, bestimmte Situationen? Wann schämst Du Dich für Deine „Faulheit“ oder Deine „Minderwertigkeit“? Oder für Deine „Verwöhntheit“ oder Deinen „miserablen Charakter“? Mach Dir bewusst, worauf Du reagierst wie ein paralysiertes Kaninchen und nachplapperst „Ja, ich bin nichts, ich kann nichts, ich bin das reinste Loch in der Natur“
  • Mach Dir bewusst, dass Fleiß Respekt bringt, mehr als Intelligenz, Schönheit oder Kraft. Dem aus eigenem Antrieb Fleißigen neigt sich regelrecht die Erde zu in Hochachtung. Ewiges Motiv in Märchen, ist es auch bei uns so. Ein Mensch mit Down-Syndrom, der aus purer Lebensfreude und aus Mitgefühl seinen Tag fleißig und ernsthaft gestaltet, erhält den Respekt seiner Umgebung – und das zu Recht.
  • Geben ist seliger denn nehmen“. Gemeinschaften funktionieren nach diesem Prinzip, wenn sie Richtung Wohlstand, Bildung und Selbstbestimmung streben. Wünscht auch Du Dir eine solche Welt, dann trau Dich, aus all Deiner Fülle heraus zu geben, ohne nach dem Gegenwert zu fragen. Keine Angst davor, ausgenutzt zu werden. Natürlich sind sehr viele Menschen „vom Stamme Nimm“, doch Du als Disziplinbolzen hast kein Problem, lächelnd „Nein“ zu sagen, wenn Dich jemand missbrauchen will.
    Menschen mit selbstbestimmter Disziplin sind keine Sklaven, die man ausbeuten kann. Es funktioniert einfach nicht! Und wenn ein Chef zu viel will oder Kollegen, dann kannst Du als Disziplinbolzen „nein“ sagen in dem Bewusstsein, dass Du auch gehen kannst, wenn Du nicht mehr erwünscht bist. Dem Fleißigen winkt jede Chance, da er in der Lage ist, seine Chancen zu erkennen und in Taten umzuwandeln. Denn: „Es geht immer weiter“.

Disziplin üben

Nun kommen wir zum leichtesten Teil. Disziplin üben ist wie eine Ernährungsumstellung üben oder Muskeltraining üben. Zunächst muss der unbedingte Wille erwachen. Es ist so, wie sich zu verlieben. Disziplin macht glücklich, da die erledigten Aufgaben zu Zufriedenheit, Stolz und Dankbarkeit führen. Ein disziplinierter Mensch geht abends gern ins Bett. Er weiß, wofür der Tag gut war.

  • Mache Dir für jeden Tag einen Plan. Stoppe mit der Uhr ab, wie lange einzelne Tätigkeiten dauern, um sie nicht zu unterschätzen oder zu überschätzen (bei mir immer noch mein Problem z.B. beim Fenster putzen oder Kühlschrank gründlich reinigen – ich bilde mir immer ein, das würde ewig dauern…)
  • Struktur ist wie ein gut ausgebautes Straßennetz, in dem man sein Ziel erreicht mit minimal üblen Überraschungen. Häufig mache ich mir abends eine Notiz mit allen ToDo’s für morgen. Früher per Stift und Papier, heute im Google Kalender. Ist es sehr viel, schreibe ich noch dazu, wie lange ich wohl für die einzelnen Tätigkeiten brauche (zum Beispiel, wenn ich viele Gäste habe und ein Menü vorbereiten will) das beruhigt mich ungemein. Zur Not stehe ich eben schon um halb sechs auf, um alles zu schaffen. Mit meiner ToDo-Liste bin ich seelisch-geistig auch auf Marathon-Läufe vorbereitet.
  • Lernen üben: Das größte Problem ist für mich, für Prüfungen zu lernen über lange Zeit. Da hilft nur ein strikter Zeitplan, der zum Rest des Lebens passt. Hat man Kinder, kann das meistens nur abends sein. Das Problem ist, sich diszipliniert an dieses Plan zu halten. Da gibt es keine Tricks. Das muss man einfach tun.
  • Wie ich Aufschieberitis verhindere? Nun, zunächst ist da dieser unbedingte Wille, mein Ziel zu erreichen. Ich will nicht nur irgendwie die Prüfung bestehen – ich will zu den Besten gehören. Ehrgeiz tut mir gut. Denn ich weiß, wenn ich zu den Besten gehören, stärkt das mein Selbstbewusstsein und meine Wirkungskraft. Da macht Ehrgeiz mich zum Streber so wie Spinat Popeye zum Kraftprotz macht.

Nimm das Leben wie das Wetter

Vergiss Gedanken wie „Das ist ungerecht, gemein, was soll das denn…“. Ich nehme das Leben stets wie das Wetter. Schließlich kann ich immer gehen, wenn es nicht mehr stimmt. Ich frage nicht nach dem Sinn bestimmter Lerninhalte oder Lehrmethoden, so lange ich an das Ziel des Ganzen glaube. Ich denke mir was aus, um Langeweile und Zeitverschwendung zu entgehen. Misstraue ich allerdings grundsätzlich der Sinnhaftigkeit des Lernziels, entwickle ich Strategien, wie ich möglichst schadensfrei aus der Nummer wieder heraus komme. Ich nehme das Leben wie das Wetter und zieh mich bestmöglich an.

Aber putzen ist immer noch nicht mein Ding. OK, ich habe es ganz gut im Griff, seit ich mich vor 25 Jahren selbst als Putzfrau angestellt habe. Samstags schlüpfe ich in die Rolle meiner Putzfrau, wirble ca drei Stunden herum mit Putzutensilien, Kopfhörern und Podcasts oder Musik, kassiere meinen Lohn von meiner Herrin (mir selbst) und kauf mir was Schönes oder spare den „Lohn“. Ja, das ist albern, aber es funktioniert. Bin immer noch keine „schwäbische Hausfrau“, aber es ist OK. Nur in versteckten Winkeln und hinter den Schränken ist es weiterhin ein Jammer – da muss ich wohl noch eine weitere Rolle einstudieren – den „Tatortreiniger“…

Bild von Andrés Carlo auf Pixabay

Such Dir irgendein Belohnungssystem, das für Dich funktioniert. Etwas dass Dich anspornt wie einen Hund im Hundetraining. Oder dass Dich unerwünschtes Tun vermeiden lässt wie in der Hundeerziehung. Da ich sehr geizig bin, funktionieren bei mir Geldstrafen super: wenn ich nicht zweimal in der Woche ins Fitnessstudio gehe, muss ich an Jemanden, mit dem ich den Deal gemacht habe, 10 Euro zahlen – klappte bei mir immer gut, wenn der Andere auch für irgendein „Schwänzen“ Strafgeld zu zahlen bereit war. So habe ich mir 2004 das Rauchen abgewöhnt. Da hätte ich 100 Euro zahlen müssen beim ersten Zug. Das hat Wunder gewirkt…

Konditioniere Dich wie ein geliebtes Haustier: liebevoll, bestimmt, verlässlich

Tja, das war’s schon! Wille, Struktur, innere Einstellung und ein paar Methoden und Tricks. Bei YouTube gibt es unzählige Videos zu Lernstrategien, Prüfungsvorbereitungen, Putztipps und Strukturhilfen. Such Dir heraus, was zu Dir passt. Jeder Mensch ist ein Kosmos, jeder ist anders. Was dem Einen sein Print ist, ist dem Anderen sein Google Kalender. Was für den Einen lächerlich klingt, ist für den Anderen der perfekte Ausweg aus Aufschieberitis und Versager-Phlegma. Es ist wirklich wie im Märchen: Der Tüchtige überwindet, der Faule hat das Nachsehen.

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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