Wer hätte das gedacht: Seit 2008 unterrichte ich Social Media Marketing, Kommunikation und Marketing-Grundlagen aus Überzeugung und Leidenschaft. War immer sicher, meine Berufung gefunden zu haben und diese Berufung leben zu wollen, bis ich als Greisin „mit dem Kopf tot auf die Tischplatte“ falle. Ich habe meine Studierenden geliebt, da sie sich alle – ob Studenten oder Menschen mit Anspruch auf Bildungsgutschein – in einem Change-Prozess befunden haben. Mütter, die aus der Elternzeit zurückkehren ins Berufsleben, Hochschul-Absolventen im Kampf um ihre erste Anstellung, erfahrene Kommunikationsexperten, die plötzlich erschrocken feststellen, dass sie anscheinend zu alt sind für die Welt der digitalen Prozesse.
Und dann alles hingeschmissen?
Nach so vielen Jahren, in denen ich 2011 ja sogar eine eigene Akademie gegründet hatte, um Social Media Kompetenz zu vermitteln, ist plötzlich etwas passiert, was ich aus meinem Leben nur zu gut kenne. Von einem Moment auf den anderen stand plötzlich die Erkenntnis vor mir „Es ist vorbei!“.
Das war vor genau einer Woche – und seitdem fühle ich mich wie neugeboren. Doch warum will ich nun nicht mehr dieses komfortable Freelancer-Leben führen, das mir so viele Jahre lang Herausforderung, Anerkennung, Begeisterung und Liebe war? Ich versuche es einmal zu erklären.
Wie ein einziges Erlebnis alles umwerfen kann
Auslöser dieser plötzlichen Erkenntnis war ein Social-Media-Vollzeit-Kurs mit Bildungsgutschein-Berechtigten. Ich bin es gewöhnt, dass diese vier Wochen mit meinen Leuten (immer so um die 20) sich wie eine Schatzsuche auf einem Dampfer auf hoher See anfühlen. Wir erkunden gemeinsam, erleben gemeinsam, lernen gemeinsam und entdecken voller Staunen und Begeisterung, was der Planet der digitalen Kommunikation für Möglichkeiten bietet. Ich selbst fühle mich als Gleiche unter Gleichen und erhebe keinen Anspruch auf Autorität oder Bewertungsmacht.
Viele kleine und große Wunder sind passiert in diesen Jahren. Tausende von Menschen durfte ich kennen lernen – und ich habe gelernt, dass jeder Mensch gleich wertvoll ist, egal wo er mit seinem Schicksal und seinen Wertesystem steht. Was für ein Geschenk! Ich durfte verlernen, Menschen in Bewertungschubladen zu stecken. Ich durfte lernen, Menschen so in ihrer Kostbarkeit zu begreifen wie ein Gärtner Pflanzen in ihrer Kostbarkeit begreift.
Und dann war klar: Es ist vorbei!
Nun könnte man meinen, dass dieser letzte verunglückte Kurs, in dem ich als „rassistische alte Schachtel“ (Meine Stellungnahme dazu in den SteadyNews) bezeichnet wurde, nichts weiter ist als ein Unfall, den alle Lehrer mal durchhalten müssen, ohne gleich das Handtuch zu werfen. Doch ich erkannte: Sie haben recht! Je älter ich werde (bin 61) desto angreifbarer werde ich in einem Segment, das mit Jugend, raffinierter Absatzpolitik, IT und KI verbunden wird. Nicht nur, dass ich diese Erwartungshaltung an Social Media und Online-Marketing nicht erfüllen kann, da ich einen ganz anderen Ansatz vertrete – ich will es auch nicht!
Ich habe mich länger als zehn Jahre in den Bereich der Lehre von der neuen Zeit vertieft, weil ich an die revolutionären 95 Thesen des Cluetrain-Manifests glaube. Weil ich glaube, dass Märkte Gespräche sind und dass Transparenz, Vertrauen und Glaubwürdigkeit Voraussetzung dafür sind, dass man nachhaltige faire Handelsbeziehungen eingeht. Ich glaube weiterhin an die Kraft der Graswurzelbewegung – an das Wunder, dass Jeder zum Sender werden kann und dass Menschen auf der ganzen Welt sich über digitale Kommunikationsplattformen vernetzen können, um gemeinsame Ziele zu verfolgen.
Übernehmen nun Maschinen die Gespräche?
Nun sehe ich aber lauter Zeichen dafür, dass durch die rasante Entwicklung der Automatisierung und selbstlernender Software der menschliche Faktor zurückgedrängt wird. Ich erlebe, wie Maschinen den „Kunden-Lebenskreislauf“ immer intelligenter auswerten und immer perfekter darin werden, ihn über Konditionierungen genau da abzurichten, wo er sensibel ist. Sämtliche Berühungspunkte im Web werden genutzt, um ihm mit Botschaften in bestimmte Richtungen zu lenken. Das ist nicht mein Business. Da kann und will ich nicht mitmachen.
Ich habe in den langen Jahren gelernt, wo meine Stärken liegen. Ich bin gut darin, Gruppen zu moderieren und jedem Menschen in diesen Gruppen den Mut zur Ehrlichkeit nahe zu bringen. Ich bin kein Verfechter „achtsamer Kommunikation“ – ich bin ein Verfechter „authentischer Kommunikation“. Ich will keine Duckmäuser erziehen – ich will freie Menschen ermuntern, sich alles zu trauen, was sie sich trauen wollen. Ich weiß, dass ich das kann. Viele Ex-Studierende haben es mir bestätigt. Und darauf bin ich stolz.
Nun stehe ich also mal wieder vor einem Neuanfang und schon in den wenigen Tagen, nachdem ich im Podcast meinen schwerwiegenden Schritt öffentlich bekannt gemacht habe, habe ich viel Zuspruch und Inspiration erfahren. Wichtig ist, dass ich nun diszipliniert auf die Straße gehe, um mich nicht an meine Arbeitslosigkeit zu gewöhnen und nachlässig zu werden.
Intuition, Imagination, Inspiration
Nun ist die heilige Zeit der Kontakte gekommen, der Begegnungen, der intensiven Gespräche und der Intuition, Imagination, Inspiration. Nun ist die Zeit da, mich führen zu lassen wie es ein Hund tut. Da wo es spannend riecht, dem folge ich – und da, wo es schlecht riecht, da gehe ich weg. Fleißig muss man sein, wenn man ein unabhängiges Leben führen will! Fleißig, entschlossen und sensibel für Schwingungen. Zuhören muss man können.
Corona stellt uns alle vor mächtige Herausforderungen. Viele Selbstständige, kleine und mittlere Unternehmen stehen gerade vor dem Nichts. Ich selbst hätte zwar im Moment noch weitermachen können, doch wie lange noch? Ich muss mich retten, bevor die Kassen der Agentur für Arbeit leer sind und es darum geht, ob die Steuerzahler einspringen für Kurzarbeitergeld, Bildungsgutscheine und andere Förderprogramme. Ich bin da skeptisch.
Also heißt es, sich nicht auf dem Bisherigen auszuruhen sondern neue Ideen und latente Bedürfnisse aufzuspüren. Viele Menschen sind verunsichert, finanziell gefährdet, überdenken ihre bisherigen Rollenmuster und müssen sich grundlegend verändern. Da will ich ansetzen – wie auch immer. Ich bin gespannt! Und freu mich auf alles, was nun kommt.