Im Café eine Geschichte schreiben

„Worüber möchte ich schreiben?“ überlege ich. Stirnrunzelnd starre ich auf mein Smartphone-Display. „Worüber nur will ich schreiben?“ Im Café ist es angenehm warm. Der Papagei des Hauses krächzt ab und zu in menschlichen Lauten vor sich hin. Das Klappern des Geschirrs beruhigt meinen unruhigen Geist. Die hübsche Bedienung bringt mir lächelnd mein Kännchen Kaffee. So, was nun also soll ich schreiben?

Es war kein guter Tag gewesen. Eine Klientin von mir hatte erzählt, dass sie und ihr Mann, wenn sie in der Kinderwunschklinik mit künstlicher Befruchtung keinen Erfolg haben, irgendwo im Ausland ein Baby adoptieren wollen. „Hier in Deutschland haben wir keine Chance, weil wir beide Depressionen haben und schon häufiger in Therapien waren. Aber im Ausland gibt es Möglichkeiten“.

OK, ich fange an.

Nala liegt in einem Bett irgendwo in einem kalten, fremden Land. Ein Mann und eine Frau haben sie in Banjul aus dem Kinderheim abgeholt und mitgenommen. Sie sind sehr lange mit dem Flugzeug geflogen. Nala musste auf dem Schoß der fremden Frau sitzen auf dem Flug. Die Schwestern im Heim haben Nala gesagt, der Mann und die Frau wären jetzt ihre neuen Eltern. Weiße Eltern. Nala ist vier Jahre alt.

Ein Schluck Kaffee

Am Nebentisch haben zwei Frauen Platz genommen. Sie haben ziemlich laute Stimmen. Schon nach wenigen Momenten fangen sie an, sich zu streiten. Mutter und Tochter, das ist unschwer zu erkennen. „Hör‘ bitte auf, Emilie zwischen den Mahlzeiten Süßigkeiten zu geben. Und lass sie nicht tagsüber fernsehen, wenn sie bei Dir ist. Das habe ich Dir schon tausendmal gesagt!“, höre ich die erregte Stimme der Tochter. Ich schaue auf.

Das Gesicht der Mutter – beziehungsweise Oma – ist wie versteinert. „Aber ich kann doch nicht die ganze Zeit mit Emilie spielen! Das will sie auch gar nicht. Und ich muss doch auch meine Hausarbeit machen – spülen zum Beispiel!“ „Mein Gott“. Die Tochter verdreht die Augen
„Spülen! Das kannst Du doch auch machen, wenn ich das Kind abgeholt habe nach der Arbeit.“

Tapfer versucht ihre Mutter, dagegenzuhalten. Sie erklärt sich, bittet um Verständnis, versucht, sich zu rechtfertigen. Doch ihre Tochter (oder ist es die Schwiegertochter?) ist ihr ganz klar überlegen. Ich überlege, dass die Oma aussieht, als wäre sie hin- und hergerissen zwischen Enkelliebe und Sehnsucht nach Selbstbestimmung.

Ich kehre zurück zu Nala, die in dem fremden Bett in diesem fremden Land liegt und den Regentropfen lauscht, die an das Fenster prasseln.

Die Tür des Zimmers mit der fremdartigen Tapete ist geschlossen. Warum macht man Giraffen und Affen auf eine Tapete? So etwas hat die vierjährige Nala noch nie gesehen. Tränen laufen ihr über das Gesicht. Nala will nach Hause.

Vor der Tür hört sie Stimmen. Die Stimmen gefallen Nala nicht. In ihrer Heimat klingen die Stimmen der Erwachsenen ganz anders. In Gambia wird nämlich viel gelacht, gesungen, gekichert, erzählt. Die Stimmen vor der Tür hören sich düster an, unheimlich. Nala bekommt Angst. Man hat ihr ein Plüschtier mit ins Bett gelegt. Ein solches Tier hat Nala noch nie gesehen. Das Plüschtier grinst und starrt Nala an. Nalas Herz rast. Sie hat den ersten Panikanfall ihres Lebens. Nala spürt, wie ihr Pipi nach draußen fließt. Sie konnte nichts dagegen tun. Es ist einfach passiert. Nala glaubt, zu ersticken.

Ein Schluck Kaffee

Die Stimme der Jüngeren am Tisch nebenan ist in der Zwischenzeit noch herrischer geworden, während die Ältere in sich zusammengesunken ist. „Schon als ich klein war, warst Du so nachlässig und hast mich andauernd allein gelassen. Wann hast Du denn schon mal mit mir gespielt? Du warst keine Mutter, Du warst nur eine Haufrau, die auch noch Kinder zu versorgen hatte“.

Die Blicke der Älteren treffen sich mit den meinen. Ich lächle sie aufmunternd an. Die kleine Nala lächle ich in meinem Gehirn genauso an.

Revolution!

Und dann geschieht das Wunder. Die Mutter-Oma steht auf, ruft „Zahlen“, wartet, bis die hübsche Bedienung kommt. Sie zahlt – mit Karte. Die Tochter ist verstummt. Instinktiv spürt sie, dass da was ganz anders läuft, als sie erwartet hat.

„So“, sagt die Frau, „Ich denke, dann wäre das geklärt. Ich gehe jetzt nach Hause, spülen und Hausarbeit machen. Grüß Emilie von mir. Sie kann gern mal zu Besuch kommen, wenn sie Lust auf mich hat und Du einverstanden bist, aber die Zeit der Kinderbetreuung ist hiermit vorbei. Ich kündige.“

Die Tochter starrt ihr mit offenem Mund nach. Ich genieße es und schreibe weiter.

Nala kann zwar noch nicht lesen und schreiben, doch Nala darf mit dem iPad abends mit ihren Freunden zu Hause skypen. In Gambia ist die Zeit immer ein bisschen früher als in diesem kalten, fremden Land.

Diese weißen Eltern können nicht verstehen, was die Kinder über tausende von Kilometern hinweg austauschen. Nala lacht viel und redet viel, und Nala schmiedet gemeinsam mit ihren Freunden und den Schwestern aus dem schönen Kinderheim in ihrer Heimat einen Plan.

Drei Wochen später ist Nala wieder in Afrika, in Gambia, in Banjul, in ihrem Zuhause, auf ihrer geliebten Flechtmatte. Das widerliche Plüschtier hat sie schon direkt am Flughafen erleichtert in einen Müllcontainer geworfen.

Die Schwestern haben dafür gesorgt, dass die Weißen sie wieder frei lassen mussten. Ein Geschäftsmann aus Gambia hat sie auf dem Flug begleitet und sie nach Hause gebracht. Er hat laut gelacht, als sie das hässliche Plüschtier in den Müll geworfen hat.

Ich atme auf. Vielleicht hat meine kleine Geschichte bewirkt, dass ich einen Babyraub verhindert habe. Gibt ja sowas, dass Schwingungen wirken.

Die Tochter sitzt immer noch reglos am Tisch nebenan. Sie ist kalkweiß. „Zahlen“, rufe ich. „Ich muss nach Hause. Spülen“.

Eva Ihnenfeldt, 12. September 2024

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert