Diese kleine Kurzgeschichte habe ich am 16. Mai geschrieben. Eine ordentliche Erkältung hatte mich erwischt, und die Nacht ist tatsächlich genau so abgelaufen, wie ich es hier erzähle. Leben ist überwältigend und geheimnisvoll nicht wahr?
Der schwarze Butler Sebastian Michaelis
Greta erwacht. Was für eine Nacht! Sebastian, der schwarze Butler, hat sie in einem Feuerwerk von Lektionen durch ihre Träume gepeitscht – bämn – bämm – bämm. Immer wieder ist sie aufgewacht, musste sich sitzend lange aushusten, konnte sich genau an die Grundsätze und Anweisungen erinnern, wollte alles aufschreiben, fiel wieder in Schlaf. Nächste Lektion. Wieder sein junges, schönes Dämonen-Gesicht vor Augen, wieder etwas verstörend Neues, Wahres, Tiefes, Eindringliches, Leuchtendes. Dann ein erneuter quälender Hustenanfall. „Ich muss alles aufschreiben!“ Hinlegen, in Schlaf versinken. Sebastian, der Anime-Dämon, ganz nah vor ihren Augen. Nächste Lektion.
Heute früh hat sie erst einmal alles vergessen, was sie gelernt hat. Das Einzige, was ihr vor Augen steht, ist ein verhülltes Bild, das an einer Wand hängt. Irgendetwas Bedeutendes ist darunter. Sie weiß allerdings nicht, was. Wie schade! Das schöne Butler-Dämonen-Gesicht ist geblieben – so wie manchmal eine Melodie im Kopf als Ohrwurm nachhallt – nur als Bild eben.
Greta wünscht sich, dass der schwarze Butler Sebastian sie nie wieder verlässt. Als Kind hatte sie einen unsichtbaren Begleiter, der sie unermüdlich lehrte, tröstete, führte durch die Wirrnisse des irdischen Daseins. Mit Ende Zwanzig war dieser Schutzengel plötzlich weg – über Nacht. In ihrem Kummer fragte sie am nächsten Abend eine weise Frau, was passiert war. „Das ist normal. Nun bist Du erwachsen. Wenn Du alt bist, wird er irgendwann wiederkommen.“.
War er nun in verwandelter Gestalt wieder da? War aus dem melancholischen, christlich leuchtenden Schutzengel ein agiler, moralfreier Dämon geworden? Ob sich der Liebes-Mahner und der „Tu-was-Du-willst-ist-das-ganze-Gesetz“ Freigeist miteinander befreunden konnten?
Später, beim Frühstück, schrieb Greta hastig auf, an was sie sich noch bruchstückhaft erinnern konnte.
– Wie oben so unten. Kein richtig, kein falsch. Es gibt keine Wahrheit, keine Moral.
– Deine Urteile sind wertvolle Hinweise auf Deine Reste von Fremdbestimmung.
– Erkläre das Deinen Klienten und bitte sie, Dich auf Deine Urteile über sie hinzuweisen, wenn die diese spüren
– Es ist ok, fehlerhaft zu sein und Deine Leute zu provozieren mit Deinen Bewertungen und Behauptungen. Das kann sie stark machen. Du brauchst nichts zu unterdrücken.
– Habt Spaß zusammen, seid frei
– Von nun an wirst Du Deine Lektionen in Bildern, in Träumen und in Deiner Phantasie lernen. Du bist nun auf einer neuen Entwicklungsstufe
– Achte auf alles, was Dir begegnet. Lerne, auf Symbole, Bilder, magische Hinweise zu achten.
Sebastian Michaelis, Du schwarzer Butler, jung, schwarzhaarig, attraktiv, sarkastisch, loyal. Ich freue mich, dass Du mich nun lehrst. Ich bin sicher, dass mein kindlicher Schutzengel und Du unverschämter Dämon schon ewig beste Freunde seid. So wie Gott im Buch Hiob mit dem Teufel einvernehmlich wettet um die Rechtschaffenheit Hiobs. Jesus wie Sebastian sind Diener des höchsten Prinzips. Sie stehen sich gegenüber, ergänzen sich, schaffen Neues, wandeln um. Die Vereinigung von Gesetz und Freiheit in bedingungsloser Liebe.
Greta steht auf und macht sich ans Werk. Dass sie das erleben darf! Unglaublich. Sie wird ihr Bestes geben. Aus Liebe. Amen.