Die Vielfalt an Publishern im Web zwingt uns Nutzer dazu, eine ganz neue Medienkompetenz zu entwickeln. Während man in Print-Zeiten je nach politischer Ausrichtung die regionale Tageszeitung als vertrauenswürdige Quelle akzeptierte – und zusätzlich abends um 20.00 Uhr pünktlich zur Tagesschau vor dem Fernseher saß, um sich als politisch informierter Bürger zu bezeichnen, ist das heute nicht mehr so einfach: Zum Einen gibt es kaum noch konkurrierende Tageszeitungen in den Gemeinden, zum Anderen ist das Vertrauen in etablierte Medien gesunken, seit es möglich ist, über internationale Medien, Foren und Blogs alternative Perspektiven hinzuziehen. Also was tun? Wie kann man Fake-News und gezielte Manipulation erkennen? Was braucht ein moderner Medienkonsument, um sich einen fundierten Überblick in Politik und Wirtschaft zu verschaffen?
Definition von „Fake-News“
Wohl jeder Mensch würde bejahen, dass sich „Fake-News“ auf den Wahrheitskern der nachweisbaren Fakten einer Nachricht beziehen: Es wird eine Nachricht veröffentlicht, die falsche Tatsachen verbreitet. Im Internet trifft man immer wieder mal beim Googlen auf solche Beiträge und Posts. Prüft man die behaupteten Fakten, indem man über Keywordrecherche weitere Quellen hinzuzieht, kann man mit Glück die Fake-Nachricht entlarven und die Quelle für immer aus dem Repertoire der vertrauenswürdigen Medien streichen. Vertrauen wurde missbraucht – man fühlt sich betrogen und ist weg.
Doch im digitalen Zeitalter kommen viele Techniken, Möglichkeiten und Zielsetzungen hinzu, die weitaus komplizierter sind als das Entlarven von betrügerischen Nachrichten: Tatsachen, Statistiken, Geschichten und Bilder werden als Grundlage genommen, um uns durch ständige Wiederholung und gezielt gesetzte emotionale Impulse zu beeinflussen. Die ständigen Wiederholungen von zielgerichteter Propaganda müssen nicht einmal von Menschen stammen! Durch so genannte Bot-Netzwerke können Computer die Aufgabe übernehmen, in sozialen Netzwerken Botschaften zu teilen, zu liken, zu beantworten und über Hacker-Methoden viral infiziert zu verbreiten. Gerade im politischen Geschäft scheint das der neuste Hit zu werden: Propaganda-Botschaften bei Facebook und Twitter gezielt und personalisiert an den Wähler bringen – passgenau für jeden Charakter, jedes Wertesystem und jede Persönlichkeitsstruktur.
Netzpolitik.org vom 29.11.16: Begriffserklärung – Alles über Fake-News
Nehmen wir doch mal ein konkretes Beispiel: Fake-News?
Beispiel: Ein mitfühlender, der Willkommenskultur zugeneigter Facebook-User sieht immer häufiger Posts, verlinkte Beiträge und Videos, in denen er erfährt, dass die Flüchtlingspolitik Merkels Ende letzten Jahres nicht auf Menschlichkeit beruhte, sondern ein Teil der Kriegsstrategie in Syrien war: Die syrischen Streitmächte wurden enorm dezimiert, indem man junge syrische Männer gezielt nach Deutschland holte. Asylbewerbern und Kriegsflüchtlingen aus anderen Ländern wurde nicht geholfen, da man das Geld und die Kapazitäten brauchte für diese Kriegsstrategie.
Wie lange dauert es, bis uns diese Version der deutschen Flüchtlingspolitik misstrauisch macht? Und noch wichtiger: Welche Chancen haben wir, die verschiedenen Versionen zu recherchieren, um zu einer fundierten Einschätzung der „Wahrheit“ zu kommen? Natürlich kann man recherchieren, wie viele Soldaten in der syrischen Armee dienten und dienen, natürlich kann man mit etwas Mühe prüfen, ob existenziell bedrohte Asylbewerber aus anderen Ländern gezielt abgelehnt und abgeschoben werden. Man kann auch demografische Daten ergooglen, um zu sehen, wie viele Prozent der Asylbewerber syrisch, männlich und jung sind. Und natürlich sieht man, dass sich seit dem Aufruf „Wir schaffen das“ viel geändert hat und sich der Strom an Flüchtenden, die über Deutschlands Grenzen kommen, enorm verringert hat.
Wie kann man sich nun vor politischer Manipulation schützen?
Es ist ganz einfach unmöglich, bei jeder Nachricht und jedem Artikel zu recherchieren, was wahr ist und wie vertrauenswürdig der Autor ist. Doch ein paar Anhaltspunkte gibt es schon, um sich zu orientieren und Kontrolle über die eigene „Filterblase“ zu bekommen. Im Grunde genommen ist es wie in der Schule und an der Hochschule: Vertraue ich meinem Lehrer und meinem Professor bei dem, was er lehrt? Oder habe ich berechtigte Zweifel an den Fakten bzw. der Auslegung der Fakten und verfolge die Ausführungen mit grundsätzlich kritischem Blick?
Was bringt uns dazu, einer Quelle zu vertrauen?
Wer ist Autor? Vertraue ich ihm?
Wenn Inhalte personifiziert ins Netz gestellt werden, sind Sympathie und das gemeinsame Wertesystem entscheidend dafür, ob
man Vertrauen in die Tatsachen und Interpretationen von Tatsachen hat. Ich empfehle hier, ab und zu einmal die Autoren von Online-Verlagsprodukten und Online-Medien zu googlen. Anhand der Biografie und den Aktivitäten in sozialen Netzwerken kann man ganz gut erkennen, ob man auf derselben „Wellenlänge“ liegt. Ich selbst sehe gern Video-Vorträge und Video-Interviews mit dem Autoren, um mir eine Meinung zu bilden. Durch die ganzheitliche audiovisuelle Darstellung erhält mein limbisches System Eindrücke, die intensiver wirken als Texte. Letztendlich entscheidet immer mein „Gefühl“ darüber, ob ich Jemanden glaube oder nicht.
Sich zum medienkritischen Staatsbürger ausbilden
Ich bin begeisterter Hörer des Podcasts „Aufwachen“ mit Stefan Schulz und Tilo Jung. Die Beiden haben es sich zur Aufgabe gemacht, den öffentlich-rechtlichen TV-Nachrichten-Kanal aus medienkritischer Sicht zu analysieren und aufzuzeigen, mit welchen Mitteln beeinflussend – oder auch einfach quotenhörig – die Berichterstattung erfolgt. Heute-Journal, Tagesthemen, politische Talkshows – und immer wieder der Blick über den Tellerrand zu den USA, – wöchentlich erhält man bei „Aufwachen“ eine Ausbildung zum „medienkompetenten Staatsbürger“. Auch wenn man nicht immer derselben Auffassung ist wie die beiden Journalisten – es schult einfach den kritischen Blick in Bezug auf Bilder, Worte, Tonalitäten und öffentlich-rechtliche „Fake-News“ 😉
Verlagspublikationen auswählen
Jeder von uns hat seine Vorlieben bei der Auswahl der Online-Publikationen. Spiegel, FAZ, Süddeutsche, Welt – viele auch Bildonline. Ich empfehle, sich mit Hilfe von RSS-Readern eine Auswahl von Tageszeitungen und politischen Verlagspublikationen zusammenzustellen, um die verschiedenen Berichterstattungen zu vergleichen. Englischsprachige Internetuser sollten auf jeden Fall auch internationale Quellen abonnieren – rein deutschsprachige können seriöse Quellen aus der Schweiz und aus Österreich per RSS-Feed abonnieren. So kann man morgens beim Frühstück auf dem Tablet gemütlich seine personalisierte Zeitung lesen und fühlt sich besser informiert, als wenn man sich nur auf ARD und ZDF verlassen muss.
Anleitung RSS-Reader feedly
Blogs, alternative Medien, soziale Netzwerke, YouTube, Podcasts und Co
Wir werden überschwemmt von digitalen Medien, die uns von allen Seiten mit persönlichen Meinungen, Einschätzungen, Sensationen, emotionalen Impulsen und Aufdeckungen von angeblichen Fake-News bewerfen. Wie wir nun wissen, sind gerade bei Twitter und Facebook dabei nicht nur Menschen am Werk, sondern auch Bot-Netzwerke und gezielt eingesetzte Trolls. Würde das Ganze im analogen Leben stattfinden, würden wir uns wahrscheinlich kaum noch auf die Straße trauen, weil draußen lauter Marktschreier, Betrüger und Verkäufer an unseren Ärmeln ziehen würden, um uns von irgendetwas zu überzeugen und uns zu irgendwelchen Unterschriften zu überreden (so wie diese Unmengen am Online-Petitionen im Netz, denen wir einfach nur deshalb folgen, weil sie unserem Wertesystem zu entsprechen scheinen und wir ihnen glauben).
Ein allgemeingültiges Rezept für die Marktschreier und politischen Propagandamaschinen gibt es natürlich nicht. Ich würde empfehlen, Videos und Links von Facebook- oder Twitter-Freunden nur dann weiterzureichen, wenn man deren Ursprünge geprüft hat. Handelt es sich vielleicht bei dem herzzerreißenden Tier-Video um eine Werbung oder eine kommerzielle Spenden-Einsammel-Organsiation? Stammt der Bericht über das leidende Kind vielleicht von einem für Propaganda berüchtigten Verlag? Was versteckt sich wirklich hinter der reißerischen Überschrift eines Links? Kann es sein, dass es sich einfach um Clickbaiting handelt? Und natürlich: Von wem in meinem sozialen Netzwerk stammen Video, Foto, Link und Text? Vertraue ich diesem wirklich so sehr, dass ich mich in die Gemeinde der Verteiler einreichen möchte?
Am besten Medienkonsum abschalten?
Viele Menschen heute sind so müde anhand der vielen Fallen, Tricks und Betrügereien, dass sie sich dem Medienkonsum grundsätzlich verwehren. Doch wäre es im Nationalsozialismus und anderen Propaganda-Staaten richtig gewesen, die Schule zu verlassen, um nicht länger manipuliert werden zu können? Ist es nicht wichtig, sich das herauszuziehen, was klüger macht – und sich mit Menschen über Propaganda auszutauschen, denen man vertraut? Zwingt uns die neue Zeit nicht sogar, uns intensiver mit Politik, Nachrichten und Meinungen auseinanderzusetzen als „früher“, als man noch wie ein Kind der regionalen Tageszeitung und der Tagesschau vertraute?
Wie wir anhand unserer Verhaltensprofile manipuliert werden
Es ist zweifelsfrei richtig, dass wir mit unseren Nutzerprofilen im Internet (ja, auch ohne Facebook und Twitter) einen so individuellen Fingerabdruck hinterlassen, dass unsere Persönlichkeit anhand bestimmter Kriterien erschreckend transparent wird für BigData-Firmen: Dabei sind die „Big Five“ der Charakteranalyse: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus.
Insgesamt sind es heute 32 Eigenschaften, die anhand unseres Verhaltens im Web eingeordnet werden – und die darüber entscheiden, welche Werbebotschaften und politisch motivierten Aussagen wir zu sehen bekommen. Gerade in den letzten Tagen geht hierzu ein erschreckender ausführlicher Beitrag der Baseler Zeitung viral (unbedingt das 11minütige Video gucken – ist am Ende dieses Beitrags eingebettet):
Baseler Zeitung vom 3.12.16: Wie Psychometrie und Verhaltensprofile die US-Wahl beeinflussten
Persönliches Fazit
Das digitale Zeitalter mit seinen unzähligen technischen Möglichkeiten und der neuen Währung „Daten-Auswertung“ ist sowohl ein Segen wie ein Fluch. Wir sind gezwungen, unsere Medienkompetenz ständig zu erhöhen – oder uns der gesellschaftlichen Diskussion zu entziehen und uns daraus zurückzuziehen. Wir sind gezwungen, Transparenz gegenüber unserem Charakter, unserem Wertesystem und unserem Verhaltensprofil zuzulassen – oder uns auf analoge Wege und Kanäle zu fokussieren, um dieser Transparenz zu entgehen.
Ich persönlich habe mich für lebenslanges Lernen, die Ausbildung meiner Persönlichkeit und für Transparenz meines Fühlens, Denkens, meines Ausdrucks und meines Handelns entschieden. Ich persönlich empfinde es als Bereicherung, transparent zu sein – getreu des Spruchs „Das beste Geheimnis ist eine offene Tür“.
Doch das erfordert viel Probieren, viel Studieren, viel Kommunikation, viel Auslese und viel kritische Selbstreflektion. Denn ja, ich bin ständig gefährdet, manipulierenden News zu glauben, wenn sie in mein Wertesystem passen. Täglich passiert es mir mehrere Male, dass ich mich entscheiden muss und ich gefordert bin, zwischen „Das fühlt sich gut an“ und „Das kann ich verantworten“ zu wählen. Leichter wird es nicht – es ist wie bei der Vertreibung aus dem Paradies: Wir haben den Apfel der Erkenntnis auf eine neue Stufe gehoben. Nun müssen (und werden) wir mit den Folgen leben.
Alexander Nix, CEO von Cambridge Analytica, erklärt in 11 Minuten, wie seine BigData-Firma den Sieg von Donald Trump unterstützt hat – mit Psychometrie. (Man kann in den Einstellungen die Untertitel automatisch auf deutsch übersetzen lassen)