Abhängigkeiten, Entzug und Freiheit

Nein, hier geht es einmal nicht um die Abhängigkeit von Alkohol, Drogen, Spielsucht etc. Hier geht es um die „ganz normale“ Abhängigkeit, die jeder Mensch kennt. Ein Säugling ist nach der Geburt komplett seinen Kümmerern ausgeliefert. Auch wenn sich nach und nach die Abhängigkeiten wandeln, bleiben sie Thema bis zum Tod. Darum soll es hier gehen: Will ich mich überhaupt von Abhängigkeiten lösen? Wenn ja, warum? Und welchen Preis muss ich dafür zahlen?

Ich bin jetzt einundsechzig Jahre alt. Freiheit und die Loslösung von fremdbestimmten Anforderungen waren schon sehr früh mein Thema und sind es bis heute geblieben. Ein sehr großer Schritt bei meinem Weg in die Freiheit war 2004 der Entschluss, nicht länger als abhängig Beschäftigte den Lebensunterhalt zu verdienen. Es war mutig, es ist und bleibt riskant – aber ich habe es keinen einzigen Tag lang bereut.

Abhängigkeiten und der Weg zur Freiheit

Häufig sind es körperliche Symptome, die uns zeigen, dass wir uns in einer krankmachenden Abhängigkeit befinden. Unser Verstand hat nämlich kein Interesse daran, Komfortzonen aufzugeben – selbst wenn sie noch so quälend und zerstörerisch sind. Der Job, die Zweierbeziehung, die Rolle in der Familie, die Rolle in der Gesellschaft… Der Verstand wacht wie ein Buchhalter über unser „Unternehmen Mensch“ und misstraut einschneidenden Change-Prozessen enorm. Doch gottseidank haben wir ja noch unseren Körper! Oder wie ich gern sage „Mein Haustier“.

Das Herz nämlich spürt sehr genau, wenn etwas falsch ist – wenn wir uns innerhalb unseres Systems von Fühlen, Denken, Sprechen und Tun belügen und betrügen. Es leidet – und unser Körper gehorcht dem Herzen und wehrt sich.

Der Verstand versucht, Ordnung in unser Lügengeflecht zu bringen und fängt die Verwirrung auf in einem Mischmasch aus Selbstvorwürfen und Schuldzuweisungen. Könnten wir zuhören, was unsere Gedanken den ganzen Tag so rumdenken, würden wir uns womöglich vor uns selbst erschrecken.

Doch irgendwann kommt dieser Moment, wo wir nicht mehr mit Ausflüchten und Schuldübertragungen weiterkommen. So wie ein Alkoholiker irgendwann weiß, er muss in den Entzug, sonst wird er sein Leben verlieren. Dem unbewussten Leid folgt Erkenntnis. Körper, Herz und Verstand schließen sich zusammen im Kampf ums Überleben.

Der Erkenntnis folgt der Entschluss, dem Entschluss folgt der Entzug. Mit dem Entzug beginnt der Weg zur nächsten Stufe der Freiheit

Abhängigkeiten und Entzug

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay 

So ein Entzug ist nicht leicht. Sagen wir mal, wir wollen uns aus einem krankmachenden Job befreien. Wovon sollen wir leben? Sind wir bereit, einen sozialen Absturz hinzunehmen? Was ist mit der Familie – mit den Menschen, die von uns finanziell abhängig sind? Tausend Argumente sprechen gegen den Entzug.

Nur ein einziges Argument spricht dafür: „Wenn ich jetzt nicht etwas ändere, gehe ich an dem Job zugrunde. Ich muss mein Leben retten“. Was nun folgt, ist anstrengend, gefährlich, schmerzvoll und unberechenbar. Meine These: Erst wenn sich eine Abhängigkeit in ihrer Grausamkeit überwältigend zeigt, kann Mensch die Entzugserscheinungen bezwingen. Erst dann hat er die Kraft, sich zu befreien und den Dämon zu besiegen.

Der Weg zur Freiheit

Wir Menschen bewegen uns unser Leben lang im Spannungsfeld zwischen Geborgenheit und Freiheit. Wir brauchen Heimat, Schutz, Respekt und das, was in der Bibel so treffend als „erkannt werden“ beschrieben wird. Wir wollen geliebt werden, wollen wichtig sein, wollen Dankbarkeit für das, was wir geben, wollen Gemeinschaft.

Auf der anderen Seite streben wir nach Unabhängigkeit, Kompromisslosigkeit, Wahrheit und Abenteuern. Wir wollen in unserer Persönlichkeit wachsen und uns frei machen von Allem, was uns fesselt und korrumpiert. Die vollkommene Wahrhaftigkeit ist ein Ziel, das unterschiedlich stark in Menschen ausgeprägt ist. Für mich persönlich bedeutet sie so viel, dass ich schon oft eine Menge aufgegeben habe – nur um dieser meiner Sehnsucht zu folgen.

Ich weiß, es ist schwer authentisch und frei zu leben – und ich weiß, ich bin wahrlich kein Vorbild, dem man nacheifern sollte. Aber trotzdem möchte ich Mut machen, den schmalen unbekannten Weg zu wählen und sich dem Entzug von Abhängigkeiten zu stellen.

Tausend Gründe sprechen dagegen, den Job aufzugeben, die Familie zu verlassen, in die Fremde zu ziehen, sich vom Partner zu trennen, sämtliche Lebenspläne zu vernichten… Doch ein Grund spricht dafür, und das ist Wahrhaftigkeit.

Frei sein heißt wahrhaftig sein

Wahrhaftigkeit ist ein so kostbares Gut, dass ich ganz viel Mut machen möchte dabei, diesen Entzug von Abhängigkeiten zu wagen. Es ist so schön, Gefühle, Gedanken, Worte und Taten in Einklang zu bringen! Es ist so schön, diese Freiheit zu spüren, die auch bei Krankheit, Verlust und Gefahren bleibt. Ja, Leben ist lebensgefährlich und unsere eigenen Sehnsüchte widerstreben oft genau dem, was von uns erwartet wird. Aber egal!

  • Der Wahrhaftige ist nicht unbedingt ein skrupelloser Egoist – doch wenn seine Wahrhaftigkeit so ausgerichtet ist, dass er andere Lebewesen ausschließlich als Nutzwesen wahrnimmt – na dann ist das eben so!
  • Der Wahrhaftige ist nicht unbedingt ein Altruist – doch wenn er in sich spürt, dass es ihn glücklich macht, sich um andere Lebewesen zu kümmern und für sie Gutes zu tun – na dann ist das eben so!
  • Der Wahrhaftige ist nicht unbedingt reich oder arm – doch wenn er seine Visionen und seine Berufung mit ganzer Leidenschaft lebt und bereit ist, die Konsequenzen dafür zu tragen – na dann ist das eben so!
  • Der Wahrhaftige ist nicht unbedingt ein Wanderer – doch wenn feste Bindungen ihn unglücklich machen, weil er durch Haus, Familie, Job und Verantwortung seine Wahrhaftigkeit verliert – na dann ist das eben so!
  • Der Wahrhaftige ist nicht unbedingt das Zentrum seiner Welt – doch wenn es ihn glücklich macht für all seine Liebsten da zu sein und ihnen Heimat, Schutz und Zukunft zu geben – na dann ist das eben so!

Wahrhaftigkeit ist Leistungssport

Wahrhaftigkeit hat viele Gesichter, und der Weg dorthin ist mühevoll. Das komplett abhängige Baby durchläuft unzählige Abhängigkeitsstationen wie in einem Jump ’n‘ Run Spiel. Neues Level, neue Herausforderungen, wiederholtes Scheitern, immer neue Anläufe, Endkerl bezwingen – nächstes Level.

Bevor wir unseren letzten Weg hier auf Erden antreten werden wäre es schön, wenn wir den Weg zur Wahrhaftigkeit gefunden hätten. Tiefere Liebe kann man der Welt nicht erweisen als ihr den Respekt zu erweisen, wahrhaftig zu sein. Wahrhaftig sein bedeutet auch, in sich tief zu graben nach den wirklichen Motiven und versteckten Lebenslügen. Nur durch unentwegte Selbstprüfung ist Wahrhaftigkeit zu bewahren. Es ist ein Leistungssport – und es macht Spaß.

Also nur Mut! Niemand von uns möchte alkoholkrank, drogenabhängig oder spielsüchtig sein. Niemand möchte Zwängen unterliegen, die quälen und zerstören. Entzug gehört nun mal dazu – nur durch den Entzug erlangen wir die notwendige Disziplin zur Wahrhaftigkeit. Der Weg zur Freiheit ist wunderschön und voller Überraschungen und Wunder. Lass los!

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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