Da der Karfreitag weiterhin ein „stiller Feiertag“ ist, wird er auch von den Menschen, die kaum noch Bezug zum Christentum haben, als etwas Trauriges, Besinnliches, Ernsthaftes empfunden. Man könnte sagen, der Karfreitag symbolisiert das menschliche Schicksal, einsam, schmerzvoll, verlassen und in völliger Hilflosigkeit zu leiden und zu sterben. Können wir vielleicht gerade aus dieser besinnlichen Nachdenklichkeit heraus etwas für uns ganz persönlich ziehen, was Trost, Vertrauen und Gelassenheit schenkt? Sind auch wir Menschen in Lebenslagen, die uns in tiefste Verzweiflung stürzen, ganz nah an dem Erleben von Erlösung und Befreiung?
Wenn alles gegen Dich ist
Ich habe eine wunderbare Klientin, die sich gerade mit ganzer Kraft am eigenen Haarschopf aus dem Sumpf zieht – was wahrlich eine Herkulesaufgabe ist. Immer wieder stößt sie an Grenzen und Hindernisse, die unüberwindlich scheinen und womöglich alles bisher Erreichte zerstören und zunichtemachen. Dann rate ich ihr, einfach nur noch an den nächsten Schritt zu denken. Es ist, wie es ist – ok, aber ich mache trotzdem weiter.
Als Jesus am Ölberg diese tiefste Verzweiflung des nahenden Leidens und Sterbens erlebte und der Bibel nach sogar Blut schwitzte in seiner hilflosen Angst, lieferte er sich diesem Empfinden vollständig aus. Er betete, flehte, rang mit sich und seiner Angst, war bedingungslos ehrlich in seiner Verlassenheit und Verzweiflung – ertrug, dass seine Freunde in der Nähe ruhig schliefen, obwohl sie doch versprochen hatten, mit ihm zu wachen.
Allein dem Tode ausgeliefert
Ich konnte diesen Prozess vor einigen Jahren bei einer Freundin beobachten, die unheilbar an Krebs erkrankt war. Sie kämpfte bis zum letzten Moment um ihr Leben, war bereit, in Forschung befindliche Therapien anzuwenden, ertrug ihre schlimmen Schmerzen, die selbst durch stärkste Medikamente kaum zu lindern waren. Zwar waren ihre Angehörigen stets bei ihr und kümmerten sich rührend um sie, so gut sie konnten, und doch musste auch sie durch diesen Prozess der tiefsten Verzweiflung, Einsamkeit, Verlassenheit. Oder, wie Jesus es so treffend am Kreuz formulierte:
Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?
Ich bin sicher, dass meine Freundin, die schließlich allein den Todeskampf durchlebte und ihm erlag, genau das erfuhr, was Jesus am Kreuz erlebte: Nach dem schrecklichen Aufschrei der von Gott Verlassenen kamen Ruhe, Akzeptanz – und letztendlich ein tiefes Vertrauen in die Seele der Sterbenden. Ich glaube ganz fest daran.
Nahtoderfahrungen
Schaut man sich bei YouTube Erzählungen von Menschen an, die von Nahtoderfahrungen berichten, können wir dieses Wunder vielleicht noch ein wenig besser begreifen. Mich persönlich hat die Nahtoderfahrung von Ramón Gartmann besonders beeindruckt, der mit 8 Jahren als Kind einer Schweizer Zeugen-Jehova-Familie von einem hohen Dach stürzte. Er erzählt, wie er sich durch seine Erlebnisse verändert hat. Ramón Gartmann konnte sich letztendlich sogar von der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehova befreien. (YouTube – 52-Minuten-Video)
In völliger Verzweiflung und Ausweglosigkeit liegt das Geheimnis von Erlösung und Frieden. Gerade dann, wenn alles verloren zu sein scheint, entsteht die Chance, sich zu öffnen für ein bedingungsloses Vertrauen, das wir nicht kennenlernen, solange wir uns entscheidungs- und handlungsfähig fühlen.
Das können wir vielleicht von den Mysterien rund um Golgatha lernen: Gib Dich hin, wenn alles verloren ist. Ergib Dich und akzeptiere Dein Schicksal. Gerade in solchen Momenten können Wunder wahr werden – kann das Wunder wahr werden, dass Du Dich unendlich geliebt und geborgen fühlst. Einfach so…