In meinen Coachings (ich vermeide die Bezeichnung „Therapie“, da ich nicht wie ein Arzt agiere sondern wie ein Freund) sagen meine Klienten häufig bei der Anliegenklärung „Ich möchte mich endlich selbst lieben können“. Selbstliebe und die Fähigkeit, zum Experten seiner Selbst zu werden, sind zwei Stränge, die ineinander verschlungen sind wie bei einem Schiffstau.
Nur mit Selbst-Bewusstsein und Selbst-Überzeugung kann ich als Leidender den Mut entwickeln, zu erforschen, was ich brauche und was meine persönliche Medikation“ ist, um gesund zu werden. Nur mit Selbstliebe und Selbstachtung kann ich die Disziplin entwickeln, mich beharrlich darum zu kümmern, an meiner Heilung zu arbeiten.
„Meine Mutter lieb ich sehr, doch meinen Körper noch ein kleines bisschen mehr“
Ich habe eine wunderbare Klientin, die sich unbedingt um ihre körperliche Gesundung kümmern muss. Doch sie findet sich dermaßen unwert, dass sie nicht einmal diesen Satz auch nur ein einziges Mal aussprechen kann. „Ich kann das nicht aussprechen“, sagt sie.
Falls wir am Ende unserer Zeit so weit gekommen sind, dass sie fröhlich und ungezwungen diese Affirmation über die Lippen bringt, ohne sich als Verräter ihrer Mutter (die garantiert kein Problem damit hätte und sich genau so über den Ausdruck von Selbstliebe freuen würde wie ich) zu empfinden, kann ich sie getrost ihrer Wege ziehen lassen. Den Rest erledigt Google – egal, was wir an Diagnosen, Erkenntnissen und Trainings suchen, bei Google ist irgendwo alles versteckt. Die Kunst ist, genau das zu finden, was zum „Experten seiner selbst“ passt. Man kann passende Ärzte finden, passende Therapien, passende Selbsthilfegruppen von Betroffenen, passende Lebensstil-Empfehlungen und passende spirituell/ religiöse Grundlagen.
Wege zur Heilung sind individuell wie ein Fingerabdruck
Gestern schrieb mir ein Leser im Kommentar „Ich bin stationär aufgrund meiner Probleme in einer Klinik. Was mich quält, ist mein permanentes Gedankenkarussell. Die therapeutischen Anleitungen helfen mir einfach nicht. Haben Sie eine Idee?“
Das Gedankenkarussell ist tatsächlich eine der Haupterkrankungen bei mangelnder Selbstüberzeugung. Selbstzweifel, Schuld- und Versagervorwürfe, dieses ewige Ungerechtigkeitsgefühl von „Warum ich? Warum wurde ich so gequält?“ In Bezug auf die Zukunft gleichen die vielen Ängste einer unvermeidlichen, innerlichen, ewig lodernden Hölle.
Für die Einen ist es das Beste, mit Verhaltenstherapie die Ängste Schrittchen für Schrittchen abzutrainieren und dadurch auch dem Gedankenkarussell zu entkommen. Meditationen, Affirmationen, Achtsamkeitsübungen und andere positive Konditionierungen sind genau richtig, um die Grübeleien in Gelassenheit zu verwandeln und ihnen ihre Macht zu entziehen.
Für andere ist das intellektuelle Durchdringen des Phänomens entscheidend. Sie erforschen das Phänomen bei YouTube, lesen Bücher, erlangen Erkenntnisse und werden buchstäblich zu Experten ihrer selbst. Sie verlieren die Angst vor der Angst durch Wissen.
Wieder andere wählen den kreativen Weg. Sie malen und plastizieren, geben ihrem Gedankenkarussell eine Gestalt, kommunizieren mit diesem inneren Wesen, das es doch eigentlich nur gut mit ihnen meint bei all den Mahnungen, Warnungen und all der Trauer. Sie lernen, sich über Kreativität mit ihrer Psyche – oder auch ihrer Seele – zu verbünden. Diese Herangehensweise ist übrigens, seit ich Kind bin, mein persönlicher Weg zur Heilung: Ich schreibe, schreibe, schreibe.
Andere suchen (leider) bewusst die Ablenkung. Sie verfolgen ablenkende Leidenschaften, sind Workaholics, betäuben sich mit hohem Medienkonsum, Suchtstoffen und/ oder Sport. Und genau das ist ihr Recht. Wie soll ich ein Urteil darüber fällen, wenn sie entscheiden, dass ihre Zeit zur Aufarbeitung noch nicht gekommen ist? Natürlich trauere ich bei den Gedanken an die irreparablen Folgeschäden gerade bei den körperlichen Suchtstoffen – doch ich muss respektieren, wenn sie diesen Weg gehen. Und heimlich sehne ich mich danach, dass sie irgendwann zu mir kommen und sagen „Es reicht. Hilf mir dabei, mich von meinen Fesseln zu befreien. Ich bin bereit, meinen Heilungsweg zu finden“.
Ich selbst habe seit zwei, drei Monaten Probleme beim Tippen auf dem Handy (auch diesen Beitrag schreibe ich auf dem Smartphone). Erst schmerzten nur die Daumen, dann zog es hoch in die Arme, irgendwann kam ein beständiges Ameisenkribbeln in den Beinen hinzu. Da ich nicht bereit bin, meine Daumen zu schonen (Experte meiner Selbst – auch ein Bildhauer ist nicht bereit, sein Bildhauern zu lassen wegen irgendwelcher Überlastungen) suchte ich nach anderen Wegen
Phase 1: Was von allein kommt, geht auch wieder von allein
Phase 2: Recherchieren – worum handelt es sich eigentlich? Ist es gefährlich?
Phase 3: Mein geliebter und verehrter Liebscher&Bracht hat natürlich eine ausführliche Ausarbeitung des Phänomens Handydaumen geschrieben https://www.liebscher-bracht.com/schmerzlexikon/daumenschmerzen/
Phase 4: Das Ameisenkribbeln in den Beinen und die zunehmende ömerige Unbeweglichkeit haben mich endlich dazu gebracht, täglich gymnastische Rückenübungen zu machen. Es wird schon besser. Jetzt noch die Daumenübungen von Liebscher & Bracht im Zug machen – und beharrlich dran bleiben.
So ist eine Eva. Freunde von mir schütteln darüber den Kopf. Sie würden zum Arzt gehen. Andere Freunde würden sich eine Bandage um die Hand binden und diese schonen (sorry Daumen, aber vor der Arbeit drücken gibt’s nicht).
So ist jeder anders. Niemand ist besser und niemand ist schlechter. Gerade Ärzte sind oft Dickköpfe und gehen ungern zum Arzt. Nicht, weil sie allwissend sind – sondern weil sie sich als Experte ihrer selbst verstehen! Die Kontrolle aus der Hand zu geben, fällt gerade Ärzten oft sehr schwer. Ein Arzt im Klinikbett ist oft ein sehr schwieriger Patient. Aber Ärzte leben lange. Ich hab’s gegoogelt.
Werde Experte Deiner Selbst. Dank des Internets ist alles da. Schulmedizinisches Wissen, alternativmedizinisches Wissen, psychologisches Wissen, spirituelles Wissen, Erfahrungswissen von Geheilten.
Was wir Therapeuten, Coaches und Seelsorger tun können, um Dich zu unterstützen, ist, Dir einen Spiegel vorzuhalten und Dir zu zeigen, dass Du es wert bist. Egal wer Du bist, egal wie Du lebst, egal woher Du kommst, egal was Du erlebt und erfahren hast: Du bist einzigartig, unaustauschbar wertvoll. Genau das ist das Geheimnis zu einem erfüllten, gesunden Leben. Cool, oder?