Ich kann es so gut verstehen, wenn Menschen mit Mitgefühl und Liebe zum Planeten ihr Verbraucher-Verhalten ändern – doch ein permanent schlechtes Gewissen zu haben, kann auch behindern und Energie in falsche Richtungen leiten. Ich selbst ertappe mich immer wieder bei diesen kleinmachenden Schuldgefühlen, wenn ich konsumiere und genieße. So wie damals als Kind, wenn ich meinen Teller nicht leer essen wollte und meine Mutter traurig sagte: „In Afrika verhungern sie – und Du isst Deinen Teller nicht leer“.
Können wir die Welt mit unserem persönlichen Verhalten besser machen?
Auf jeden Fall können wir das – und tun wir das. Wenn ich zum Beispiel meine Kinder friedlich und liebevoll begleite, dann lernen sie, dass dieser Umgang normal ist. Wenn ich im Restaurant den Kellner (die Kellnerin) vom ersten Kontakt an wertschätzend wahrnehme, dann macht das ein bisschen glücklich. Dann schenke ich Zuwendung. Wenn ich im Auto die anderen Verkehrsteilnehmer toll finde und ihnen Fehler verzeihe (und weiß, dass ich selbst Fehler mache) dann wirkt sich das auch auf meine Umgebung aus – wenn auch unbewusst.
Vorbild
Ja, durch mein persönliches Verhalten bin ich Vorbild. Vorbilder beweisen, dass etwas möglich ist. Vorbilder beweisen, dass wir Gestalter unseres Lebens sind und keine „Opfer“. Vorbilder regen uns an, Neues auszuprobieren und keine Angst vor dem Fremden zu haben. Vorbilder können uns zu Höchstleistungen antreiben – einfach nur, weil es sie gibt. Ist das nicht herrlich?
Doch wie immer hat auch die Bemühung, mit dem persönlichen Verhalten ein Vorbild zu sein, seine Kehrseite. Zum Einen können Vorbilder sich wie „Erzieher“ fühlen, die versuchen, ihre Umgebung zu missionieren. Dann wird das Ganze verkrampft und sektiererisch. Da läuft man natürlich eher weg als dass man beeindruckt ist. Missionierende Vorbilder können sogar so schädlich sein, dass man aus Trotz das Gegenteil tut. Ist bei mir ganz extrem so, weil ich es unerträglich finde, wenn mich jemand „erziehen“ will 😉
Selbstkasteiung
Zum Anderen kann die Bemühung, mit einem reinen Gewissen durchs Leben zu gehen, dahin führen, dass man sich benimmt wie ein Mönch, der sich ständig selbst auspeitscht für seine Sünden. Auch das kenne ich nur zu gut. Mein schlechtes Gewissen reicht manchmal (je nach Gefühlslage) bis zum Himmel und zurück. Eines meiner Ziele bis zu meinem Tod ist tatsächlich, diese Schuldgefühle restlos zu befreien. Denn zwischenzeitlich weiß ich, dass sie mit mein größter Feind sind.
Schuldgefühle
Schuldgefühle lösen in uns aus, dass wir nicht richtig sind, so wie wir sind. So wie ein kleines Kind nicht richtig ist, wenn die Mama schimpft, weil es seinen Teller nicht leer isst oder weil es Gemüse nicht mag. Schuldgefühle führen dazu, dass wir mehr und mehr ein Doppelleben führen wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Wir fühlen uns schuldig und müssen im Außen lauter Sachen suchen, die viel schlimmer sind als unsere eigene Schuld. Das führt zu Neid, Hass, Gewalt und Rassismus gegen unzählige Gruppierungen: Die Selfie-Generation; die Fahrer von E-Rollern, die Rentner im Supermarkt, die Politiker usw.
Es ist wundervoll, wenn ich Spaß daran habe, sozial und ökologisch zu leben. Wenn ich nur das kaufe, was ich auch wirklich verzehren kann. Wenn ich Gurken auf dem Balkon anbaue, weil ich mich an der emotionalen Beziehung zwischen dem Gemüse und mir erfreue. Wenn ich mich auf die Ernte freue und die Frucht dankbar genießen kann.
Aber wenn ich Schuldgefühle habe, weil ich Kleidung und Schuhe kaufe, die in Billiglohnländern hergestellt wurden, ist das schräg und schadet der Unbefangenheit. Wer nicht vertraut und überall das Schlechte sieht, wird misstrauisch und böse. Wer weiß, wofür die globalisierte Produktion gut ist! Immerhin geht es den Menschen in Bangladesch langsam besser, weil sie lernen, für ihre Rechte zu kämpfen. Und natürlich wünscht sich keine Textilfabrikarbeiterin, dass wir aufhören, Textilien aus Bangladesch zu kaufen. Sie wünschen sich, dass wir uns über Marken informieren und diejenigen bevorzugen, die faire Löhne zahlen und faire Arbeitsbedingungen gewährleisten.
Spiegel: Interview mit einer Aktivistin der Textilarbeiterinnen in Bangladesch
Das traurige innere Kind
Ich arbeite immer erfolgreicher daran, mein schlechtes Gewissen zu akzeptieren wie ein kleines Kind. Ich tröste es, beruhige es, muntere es auf. Ich mache ihm Mut, über die Stränge zu schlagen und sich selbst nicht zu quälen. Mein schlechtes Gewissen ist mein inneres Kind, das immer hoch ein schlechtes Gewissen hat wegen der verhungernden Kinder in Afrika. Es tut mir leid und ich bemühe mich, es aus seinem qualvollen Knast zu befreien.
Echt
Habt Spaß an dem was Ihr tut! Ob Ihr SUV fahrt oder Fahrrad – es ist ok! Ob Ihr Bettlern Geld gebt oder nicht – es ist ok! Ob Ihr eine Einladung zu einer Party ausschlagt oder die Letzte seid, die am frühen Morgen nach Hause schlendert – es ist ok! Sied einfach echt! Findet die innere Sicherheit, die Euch immun macht gegen Schuldgefühle von außen. Nur so kommen wir zu dem Geheimnis, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst. Aus Spaß und Liebe heraus Vorbild sein ist cool – aus Missionsgeist heraus kann es bitter machen und isolieren. Das ist traurig.