In den USA gibt die Gesundheitsbehörde CDC Auskunft darüber, welche Bevölkerungsgruppen wie häufig Suizide verüben. Die Todesfälle werden aufgelistet nach Geschlecht, Rasse, ethnischer Zugehörigkeit, Altersgruppe und Todesmechanismen (Tötungsart). Diese Statistiken sind auch deshalb so interessant, weil Selbstmord in den USA auf Platz zehn der häufigsten Todesursachen steht. Doch was bringt einen Menschen dazu, seinem Leben ein Ende zu setzen? Armut? Perspektivlosigkeit? Alter? Anonymität in Metropolen? Die Ergebnisse zwischen 2001 und 2015 sind überraschend und aufschlussreich. Suizidstatistik der CDC (Centers for Disease Control and Prevention).
USA: Der Weltmeister der Selbsttötungen?
Es ist schon erstaunlich, dass die USA ganz allgemein die meisten Selbsttötungen zu verzeichnen haben von allen Wohlstandsgesellschaften der Welt. Die höchste Suizidrate gibt es unter weißen US-Bürgern, die auf dem Lande leben. In ländlichen Gebieten setzen weitaus mehr Menschen ihrem Leben ein Ende als in mittleren, kleinen oder großen Metropolen.
Männer sind viel mehr betroffen als Frauen, Menschen im Alter von 35 bis 64 Jahren greifen am häufigsten zu dieser endgültigen Tat. Die Selbstmordrate durch Schusswaffen in ländlichen Bezirken war im untersuchten Zeitraum fast doppelt so hoch wie in größeren Metropolen. Nicht nur weiße Farmer, auch indianische Ureinwohner begehen am häufigsten Suizid. Selbsttötungen durch Schusswaffen sind mit Abstand an erster Stelle der Methoden – mit einigem Anstand folgt die Stragulation bzw. das Erhängen.
Welche Bevölkerungsgruppe am seltensten Selbstmord begeht? Afroamerikaner! Obwohl sie unbestritten die finanziell und perspektivisch schwierigsten Lebensumstände haben, gibt es anscheinend genügend Gründe, am Leben zu bleiben. Auch Asiaten und Hispanics wählen weitaus seltener den Freitod: Von 100.000 US-Bürgern/Innen, die sich im Jahr 2017 selbst töteten, waren 19 Weiße, 7,1 Latinos und Asiaten, 6,6 Afroamerikaner. Woran mag das liegen?
Die NZZ hat in einem sehr ausführlichen Beitrag zusammengefasst, welche Gründe für die krassen Unterschiede verantwortlich sein könnten. Ein sehr lesenswerter Artikel! NZZ: USA – warum Schwarze seltener Suizid begehen als Weiße
Was braucht der Mensch, um ein Mensch zu sein?
Ich meine, der Mensch braucht zwei Dinge, um ein lebenswertes Leben zu führen: Gebraucht werden und an etwas glauben. Lebe ich in einer lebendigen Community, komme ich wahrscheinlich weitaus seltener auf die Idee, mich „davonzustehlen“, als wenn ich einsam jeden einzelnen Tag irgendwie herumbringe. Auch in Armut und Arbeitslosigkeit kann die Familie, der Freundeskreis, die Nachbarschaft und alles, was miteinander interagiert und sich gegenseitig trägt, einen echten Sinn im Leben bieten.
Farmer auf dem Lande im erwerbstätigen Alter (ich war völlig überrascht, dass es vor Allem 35- bis 65-Jährige trifft!) stelle ich mir reichlich einsam vor. Indianische Ureinwohner, die häufig in Reservaten leben, sind anscheinend ihrer Kultur und ihrem Glauben so entfremdet, dass sie eine eventuelle Armut ganz anderes erleben als Afroamerikaner, Asiaten und Hispanics. Der Mensch braucht den Menschen, auch wenn er sich häufig über den Einen oder Anderen ärgert – und Vor Allem braucht der Mensch etwas, was ihn durch Verzweiflung und existenzielle Not trägt: Einen Glauben.
Glaube an Geld und Effizienz
Wir haben es weit getrieben mit unserem Glauben an Geld und materielles Wachstum. Wie wäre es, wenn wir uns einmal neuen Werten zuwenden wie Gemeinschaft und Visionen einer paradiesischen Welt? Ich glaube ja auch nicht mehr an einen Vater Gott, der personifiziert über die Erde und deren Lebewesen „regiert“. Aber ich glaube fest daran, dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist und dass es im Grunde genommen sogar leicht ist, unseren Planten in ein Paradies zu verwandeln.
Bin zwar kein Typ für Communities und Großfamilien, extrem präsente Nachbarn, tausend Freunde aus Kindertagen und Kirchengemeinden, in denen ich jeden Sonntag Gottesdienste feiere und gemeinschaftlich Veranstaltungen und Hilfsprojekte organisiere – doch immerhin habe ich meinen Glauben daran, dass alle Menschen vom Kern her gut sind – und ich arbeite immer in Bereichen, in denen ich Menschen Unterstützung geben kann. So ein Glück!
Ansonsten verkrieche ich mich auch gern in meine Höhle und genieße die Einsamkeit des Einzelkindes, zufrieden mit Netflix und Büchern und Podcasts… Ich liebe meine Kinder – bin aber froh, dass wir alle ein relativ unabhängiges Leben voneinander führen. Mein Glaube und meine Aufgaben machen mich glücklich. Und ich wünsche mir von Herzen, dass kein einsamer Farmer sich im Schuppen erhängt oder sich erschießt. Es tut mir unendlich leid, unendlich leid so einsam und verloren zu sein…
Interessant, das passt zu einem Buch, das ich gerade gelesen haben. Der amerikanische Universitätsprofessor Michael J. Sandel wirft da auch einen Blick auf die Zulassungsbedingungen an privaten und den meisten öffentlichen Hochschulen in den USA. Weiße Kinder aus der Arbeiterschicht und Landbevölkerung sind demnach seit ca. Anfang der 1990er Jahre die einzige Klasse, die so gut wie keine Chance hat, an den Universitäten angenommen zu werden. Für andere steht der Weg über Geld oder Minderheitenprogramme zur Verfügung.
Das gibt’s ja nicht – tja, alles wandelt sich. Habe gerade noch einmal „Früchte des Zorns“ gesehen. Die Landbevölkerung wurde ja schon damals in der Rezession unfassbar im Stich gelassen und ins Elend gestürzt. Es ist immer wichtig, zusammen zu halten, ob als ethische Gruppe oder als Arbeiter… Wer allein ist und bleibt, kann fertig gemacht werden. Das ist nicht gut, gar nicht gut…