Schon vor zehn Jahren war in einem äußerst provokanten Artikel der Welt zu lesen, wie skrupellos und selbstverständlich sich deutsche Rentner/Innen bedienen auf Kosten der Jungen. Nicht nur, dass die Babyboomer mit ihren „luxuriösen“ Renten den Jungen die Butter vom Brot nehmen würden – sie dominieren durch ihren hohen gesellschaftlichen Einfluss auch noch die Politik und unterdrücken somit eine Jugend, für die es nur noch bergab geht.
Natürlich ist diese Sichtweise ebenso „rassistisch“ wie falsch – genauso wie die Sichtweise vieler Menschen auf Migranten und Langzeitarbeitslose, und doch habe ich Verständnis dafür. Was die Schimpftiraden über Rentner, Bürgergeld-Empfänger und Migranten verbindet, ist die Überzeugung, dass viele Menschen in Deutschland zwar dem System Geld und wertvolle Ressourcen entziehen, jedoch nichts zurückgeben wollen.
Ältere abhängig Beschäftigte argumentieren auch heute immer noch: „Wir haben lange genug geschuftet. Wir haben uns unsere Rente verdient“ – so als wäre Rente eine goldene Uhr zum Firmenjubiläum oder ein Bundesverdienstkreuz als Auszeichnung für jahrzehntelange Treue zur Nation. Niemand scheint zu beachten, dass durch den demografischen Wandel die jüngeren Arbeitnehmer zwar immer höhere Sozialabgaben und Steuerzahlungen leisten müssen – doch die Aussicht gering ist, dass auch ihre eigene Rente noch finanziert werden kann.
Für mich als Mutter von vier Kindern gibt es diese Anspruchshaltung natürlich nicht. Da ich lange alleinerziehend war und erst relativ spät in Vollzeit arbeiten gehen konnte und wollte, liegen meine Rentenansprüche unterhalb der Grundsicherung. Ist für mich ok, ich will sowieso arbeiten, bis ich tot auf der Tischplatte lande. Ich liebe es, zu arbeiten und kann mir ein Leben voller Konsumfreizeit oder als ehrenamtliche Oma für meine Enkel nicht vorstellen.
Wir Babyboomer
Was ich mir wünsche ist, dass wir Babyboomer den folgenden Generationen mit gutem Beispiel vorangehen. Wir freuen uns über unsere hervorragende soziale Absicherung und darüber, dass wir ab Rentenalter frei leben und agieren können, doch so lange wir gesund und kräftig genug sind, ist es eine Selbstverständlichkeit für uns, unseren Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft beizutragen.
Familienengagement für Kinder und Eltern
Etwa die Hälfte aller Großeltern in Deutschland entlasten ihre Kinder und Schwiegerkinder, indem sie sich um die Enkel kümmern – manchmal auch um den Haushalt oder andere Belastungen der jungen Familien. Sie helfen bei der Finanzierung von Immobilien, steuern Geld dazu, wenn die Kinder ihre Ausgaben nicht allein bewältigen können, überschreiben ihr eigenes Eigentum früh genug auf die Kinder, damit dieses Vermögen nicht bei Pflegebedürftigkeit im Alter das Erbe mindert. Auch kümmern sich Babyboomer in ihrem Ruhestand häufig um Eltern, Schwiegereltern und andere Angehörige, die nicht mehr allein zurechtkommen.
Babyboomer ohne Familienaufgaben?
Könnten nicht auch die Ruheständler ohne Familienaufgaben mit ähnlicher Verantwortungsbereitschaft gesellschaftliche Aufgaben übernehmen? Es sollen ja keine 40 Stunden wöchentlich sein! Und genügend Zeit für Reisen und Hobbys sollte auch weiterhin bleiben. Finanzielle Vergütungen für Ehrenämter könnten sicher zur Selbstverständlichkeit werden – nicht nur für Rentner, sondern für alle Menschen, die nicht in der Lage sind, sozialversicherungspflichtig zu arbeiten.
Ob im sozialen Bereich, im Tierschutz, in der Stadt- und Landschaftspflege, in Bildung, Pflege, Kinderbetreuung, Kunst, Politik, Sport, Kirche oder Lehre – es gibt so viele Möglichkeiten, sich gesellschaftlich zu engagieren und zum Wohle aller beizutragen. Und viele Rentner tun das ja auch!
BMFSJF: In der Altersgruppe der Menschen ab 65 Jahren ist die Engagementquote von 18,0 % im Jahr 1999 auf 31,2 % in 2019 gestiegen.
Babyboomer und der Respekt
Diese Einstellung zum Leben an und für sich würde uns Älteren ganz sicher wieder den Respekt der Jugend zusichern. Wir könnten Vorbild sein in einer Welt, die sich in unserer sich ständig steigenden Konsumgier in eine Sackgasse manövriert hat.
Reiche Alte – arme Alte
Der unten verlinkte Beitrag aus der Welt zeigt, wie ernst der Hass auf die Babyboomer genommen werden sollte. In den letzten zehn Jahren hat sich die Spaltung zwischen Alt und Jung noch weiter zugespitzt, obwohl in der Zwischenzeit auch im Mainstream thematisiert wird, wie viele Rentner in Armut leben müssen (Tagesspiegel: 7,5 Millionen Rentner haben weniger als 1250 Euro netto)
Gesellschaft ohne Mitgefühl?
Ich warte schon darauf, dass sanfte Euthanasie-Programme für die letzte Phase des Lebens – wenn man wirklich zu schwach, krank und dement ist, um aktiv an Leben teilzunehmen – gefordert werden, weil die pflegebedürftigen Alten nicht nur mit ihrer Rente die Jungen „berauben“, sondern auch noch Kosten produzieren und mit ihrem Siechtum Ressourcen verbrauchen.
Eine Gesellschaft ohne Mitgefühl und soziale Verantwortung wird wahrscheinlich nach und nach zu einer Hölle auf Erden. Wir haben es in der Hand. Engagement macht Spaß! Ob für die Familie oder für andere Lebensbereiche, so ganz ohne Arbeit verliert das Leben seinen Sinn. Außerdem wäre es schön, wenn Rentenbezieher (vor allem Rentnerinnen sind von Armut betroffen) durch gesellschaftliches Engagement ihre Rente bzw. Grundsicherung um einige hundert Euro aufbessern könnten – viel besser, als Pfandflaschen zu sammeln.
welt.de von November 2014: Deutschland droht die Diktatur der Alten