Warum bekommen Menschen, denen es „gut geht“, Depressionen?

„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ (Antoine de Saint-Exupéry). Menschen, die daran leiden, nichts mehr tun zu können, die ihre Vitalität verloren haben, am liebsten den ganzen Tag im Bett liegen würden, mit der Decke über dem Kopf, brauchen Sehnsucht, um an Vitalität zu gewinnen. Sie brauchen den Glauben daran, dass es Liebe gibt, Geborgenheit, dass sie wichtig sind und wertvoll.

Bild von John Hain auf Pixabay 

Menschen aus dem Bildungsbürgertum steht eigentlich die Zukunft offen. Wenn sie in Depression fallen, trotz einer glücklichen Kindheit, trotz einer guten Bildung, einer heilen Sozialstruktur, dann ist das zwar genauso dramatisch wie die Depression bei den „Besitzlosen“, doch das Gefühl ist anders, da es individueller erlebt wird und selbst verursacht – man könnte auch sagen, viele Betroffene aus der Mittelschicht empfinden sich selbst als „undankbar“, als Versager.

Besitzende Klasse und besitzlose Klasse

Ein besitzender Mensch hat kein Recht auf eine Depression – er hat doch alles! Oft genug wird verzweifelt danach geforscht, welche Traumata aus der Kindheit dafür verantwortlich sein könnten – während die besitzlose Bevölkerung ganz selbstverständlich damit lebt, sich als wertlos zu empfinden.

Für die Armen ist es normal, von einem Tag auf den anderen zu leben, ohne zukunftssicherndes Vermögen zu bilden und gesellschaftlichen Einfluss zu nehmen. Sie sind nicht depressiv, sie sind „resigniert erwartungsfrei“ und versuchen, so gut wie möglich zu überleben. Häufig sind die Besitzlosen liebesfähiger und mitfühlender als die gebildeten Besitzenden, die an das Motto glauben „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Häufig leben die Besitzlosen so, dass sie sich vor dem alt werden schützen durch einen möglichst ungesunden Lebensstil. Im Schnitt sterben sie mehr als zehn Jahre früher als Menschen aus dem Bildungsbürgertum.

Armut und die Hoffnung auf Rettung

Viele Arme sind regelrecht süchtig nach medizinischer Autorität und staatlicher Obhut. Das gibt ihnen das Gefühl, dass sich jemand Mächtiges um sie kümmert und für sie sorgt – so wie manche Gutsbesitzer und Unternehmer sich um ihre Leibeigenen kümmern – einige, damit diese möglichst leistungsfähig bleiben, andere, da sie Freude an ihrem „menschlichen Besitz“ haben, so wie man Freude hat an seinem Reitstall oder an karitativem Engagement.

Wenige der besitzenden Klasse investierten sogar Zeit und Kapital, um „ihre“ Besitzlosen zu bilden und ihnen einen gesellschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen (daraus sind zum Beispiel die Waldorfschulen entstanden), doch das sind eher seltene Phänomene.

Wann werden Besitzlose vital?

In der Regel gibt es bei den Besitzlosen erst dann Aufstände, wenn die Not zu groß wird. Dann erheben sich plötzlich Menschen aus der Masse, die trotz Armut und Besitzlosigkeit genügend Vitalität und Selbstwertgefühl ausstrahlen, um gegen die Ungerechtigkeit aufzubegehren. Dann wird Geschichte geschrieben, die „von unten“ diktiert wird. So wie damals bei Moses und dem Auszug aus Ägypten.

Vielleicht ist die Volkskrankheit Depression ein Zeichen dafür, dass unser aller Vitalität durch die lange Wohlstandphase erlahmt ist. Die wohlbehüteten „Bullerbü-Kinder“ wollen lieber ideelle Ideen verfolgen als herrschen, die Besitzlosen werden immer anspruchsvoller und teurer, die Betrüger und Skrupellosen übernehmen nach und nach immer mehr Macht. Manchmal habe ich den Eindruck, wir leben in einer Welt wie im Wilden Westen – und zwar ohne anbetungswürdigen Sheriff, der sich den brutalen Gangs entgegenstellt und sie besiegt.

Meine Erkenntnis für heute: Das Gegenteil von Depression ist nicht Glück, sondern Vitalität.

Meine Besitzlosen im Coaching sind müde, da sie seit vielen Generationen glauben, dass für sie „Vitalität“ Sklavenarbeit bedeutet. Die einen lernen, materiell extrem bescheiden ihr Leben zu fristen – die anderen greifen zu illegalen Möglichkeiten, um sich ihren Traum vom Luxus zu ermöglichen.

Die Dritten versuchen, als Hilfsarbeiter oder Ausgebildete/r der gesellschaftlichen Tradition zu folgen – doch das wird immer schwieriger, da die Arbeit der Besitzlosen selten eine gesicherte Zukunft bietet – es gibt fast nur noch „Jobs“ – sogar das Wort „Beruf“ scheint fast ausgestorben. Man sucht keinen Beruf, man sucht einen Job als Anstellung. Verrückt!

Fazit

Also: Die besitzende Klasse verliert an Vitalität aus der Sattheit heraus, die Besitzlosen sind brav, solange sie erträglich alimentiert werden, die Skrupellosen wüten wie die schwarzen Banden im Western… Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Vielleicht darf ich es ja noch erleben! Dann würde ich gern zu den besitzlosen Aufständischen gehören. 🙂

Der dreißigminütige TED-Vortrag vom US-amerikanischen Dozenten für Psychiatrie, Journalist und Schriftsteller Andrew Solomon hat mich heute bereichert mit der Erkenntnis: „Das Gegenteil von Depression ist nicht „Glück“, sondern Vitalität“.

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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