Ich lebe im Ruhrgebiet – in NRW. In unserem Bundesland ist die Toleranz gegenüber Muslimas, die Kopftuch tragen, sehr hoch. Betrachtet man Gesetze und Regulierungen im europäischen Raum, finden sich in den meisten Ländern Verbote – an radikalsten wohl in Frankreich (Deutsche Welle). Im folgenden Beitrag möchte ich ausführen, warum ich gegen ein Kopftuchverbot bin – bzw. warum ich für das Recht auf freie Kleidungswahl für Frauen bin. Dafür wähle ich die Pro&Contra Abwägung:
Contra Kopftuch

– Verschleierungen sind von männlichen Religionsstiftern geboten worden, um Männer vor weiblichen Reizen zu schützen. Im Neuen Testament hat der Apostel Paulus die Gemeinden aufgefordert, dass Frauen einsehen sollen, dass der Mann ihr Haupt ist und sie bei Strafandrohung unter dem Manne stehen: 1. Korinther, 11. „Will sie (die Frau) sich nicht bedecken, so soll sie sich doch das Haar abschneiden lassen! Wenn es aber für die Frau eine Schande ist, dass sie das Haar abgeschnitten hat oder geschoren ist, soll sie sich bedecken.“
In Deutschland haben die Frauen sich das Recht über viele Jahre und Jahrzehnte erkämpft, dass sie sowohl Gott als auch ihren Mitmenschen mit bloßem Haupt gegenübertreten dürfen, da sie gleichwertig sind. Dulden wir in unseren Städten die wachsende Zahl verhüllter Frauen aus dem Islam, gefährden wir die gesellschaftliche Gleichberechtigung und unsere Frauenrechte.
– Es steigt in Metropolen der Anteil von Mädchen, sie schon ab dem 8. Lebensjahr mit Kopftuch in die Schule gehen. Zu behaupten, diese Mädchen täten dies aus freier Entscheidung, ist unglaubwürdig. Überspitzt betrachtet, könnten wir mit einem solchen Argument auch die weibliche Beschneidung legalisieren, wenn sie mit Betäubung durchgeführt wird. Kinder können keine freien Entscheidungen treffen, sie sind wehrlos den Entscheidungen der Eltern ausgeliefert
– Wenn ein Mädchen mit 8 Jahren beginnt, Kopftuch zu tragen, ist dies nicht nur eine religiöse Kennzeichnung, sondern auch ein Eingriff in ihre Kinderrechte aus der UN-Kinderrechtskonvention.
Nicht nur im Sportunterricht ist sie von Vielem ausgeschlossen, sondern auch bei Aktivitäten außerhalb der Schule. Das Mädchen ist auf den ersten Blick erkennbar als Migrantenkind mit islamischem Background. Die Verhüllung des Hauptes bzw. der Haare bezieht sich auch im Islam auf die Verbergung weiblicher Reize, die Männer vom „rechten Weg abbringen“, so wie es der Apostel Paulus im Christentum beschreibt.
Was passiert mit einem Mädchen, das sich schon vor der Pubertät und vor der ersten Blutung als männerverführend betrachtet? Ist sie dadurch nicht ausgeliefert? Ist dies nicht eine Erziehungsmaßnahme, um jede Zwangsheirat zu akzeptieren, da sie nur als Ehefrau aus dieser Schande kommen kann?
– Der Anteil der muslimischen Mitbürger wächst stark. Rund 30 Prozent aller Muslimas in Deutschland tragen Kopftuch. Die unübersehbare Kopfbedeckung wirkt wie eine offensichtliche Plakatierung einer neuen Mehrheitsgesellschaft. Zwar haben wir auch hinduistisch gekleidete Mitmenschen und erkennbar Gläubige aus anderen Religionen in Deutschland, doch Mitbürger aus islamischen Ländern überwiegen bei Weitem. Deutschstämmige sowie Zugewanderte seit 1955 leben in einem anderen kulturellen Umfeld als die Kriegsgeflüchteten der letzten zehn Jahre. Diese gesellschaftlichen Werte sind nicht miteinander vereinbar – von den Ernährungsregeln bis zu Gerichtsbarkeit, Familiengesetzen und hierarchischen Strukturen.
Das öffentlich sichtbare Kopftuch trägt dazu bei, dass die westlichen Werte an Kraft und Einfluss verlieren. Darum sollten wir uns in Deutschland den Regeln der meisten europäischen Länder anschließen. Ein Blick nach Frankreich lohnt – dort sind sämtliche „große“ Religionssymbole im öffentlichen Raum verboten – auch das Tragen großer Kreuze oder einer Kippa.
Deutsche Islam-Konferenz – Koranische Basis des Kopftuchs
Pro Kopftuch
– Am Beispiel der Türkei kann man beobachten, dass die Emanzipation der Frauen eng mit dem Recht verbunden sein kann, sich zu verschleiern. Seit 1925 waren in der Türkei Kopftücher und andere orientalische Kopfbedeckungen im öffentlichen Raum komplett verboten. Seit 2008 fallen die Verbote Stück für Stück. Diese wieder neu errungenen Rechte empfinden viele Türkinnen als Triumph.
Das Recht, sich vor männlichen Blicken und männlichem Begehren durch Verhüllung zu schützen, ist verbunden mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung – und dem Recht auf Würde.
Während wir Frauen im Westen seit den Sechzigern für genau diese Rechte mit Minirock und wilder Haarpracht erkämpften, haben in der muslimisch geprägten Welt die Frauen aus der säkularen Türkei den Kampf um Emanzipation über das Recht zur Verschleierung aufgenommen – sehr geschickt, da es schwierig ist für die patriarchalische Ordnung, gegen diese Koran-gestützten Forderungen zu argumentieren. Meine Hochachtung. Das, warum es geht, ist die Befreiung von Unterdrückung, Gewalt und finanzieller Abhängigkeit, vom Ausschluss bestimmter Berufswahl, von der Auslieferung an eine geschlechtsspezifische Rechtsordnung.
n-tv: Streit um Kopftuch-Verbot in der Türkei verschärft sich
– Fast alle Muslima, die ich in meiner beruflichen Tätigkeit kennenlernen durfte, trugen verschiedene Arten von Kopf- und Haarverhüllungen. Einige von ihnen hatten sich von ihren Männern scheiden lassen und waren alleinerziehende Mütter, andere sahen ihren Lebensmittelpunkt darin, in der Familie zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass die Kinder – Töchter wie Söhne – eine gute Schulausbildung bekommen und bestenfalls studieren. Ihr Kopftuch ist ein Zeichen ihrer Würde, ihrer Gläubigkeit und ihrer Emanzipation. Sie drücken aus, dass sie keinem Mann erlauben, sich ihnen mit begehrlichen Gedanken zu nähern. Das Kopftuch symbolisiert die Einforderung von Respekt.
– Im Gegensatz zu unserer westlichen Minirock-Emanzipation ist die islamische Emanzipation getragen von einem tiefen monotheistischen Glauben. Auch, wenn ich selbst aus meiner katholischen Prägung vor einigen Jahren Abschied genommen habe, bin ich weiterhin gläubig. Ich weiß, wie kraftvoll es ist, wenn ich mich dem Göttlichen – was auch immer ich damit verbinde – zuwende in der Gewissheit, dass es mehr gibt als essen, trinken, Spässchen haben.
Auch mich schützt mein Glaube vor Demütigungen, Gewalt und Fremdbestimmung. Meine muslimischen Schwestern mit Verhüllung empfinde ich als stolz, selbstbewusst, ehrgeizig und stark. Gehe ich in einem muslimisch geführten Restaurant brunchen – umgeben von arabischstämmigen Familien – beobachte ich schmunzelnd, wie die Frauen am Buffet vorangehen, wie Mann und Kinder der Mama-Anführerin gehorsam folgen und sie die gefüllten Teller nach hinten reicht. Im Syrischen gibt es das Sprichwort: „Der Mann bringt, die Frau baut“. Syrische Männer, die arbeitslos zu Hause sitzen, ohne die Familie durch ihre Arbeit und Tüchtigkeit ernähren zu können, sind weit unten in der Hierarchie – sie tun mir leid.
– Das Kopftuch verkündet: „Habe Respekt vor mir!“ Die Mode rund um Verschleierung wird immer vielschichtiger, immer fantasievoller und immer schöner. Viele verhüllte Frauen schminken sich ausgesprochen edel und professionell – andere gleichen eher katholischen Nonnen, die sich ganz auf ihre Spiritualität konzentrieren und dem weltlichen Tand abschwören.
– Ich liebe meine verhüllten Schwestern, die für ihr Recht an der Verhüllung eintreten. Ob Ärztin, Lehrerin, Steuerberaterin – oder Altenpflegerin, Hausfrau, Kassiererin… – statt Minirock das Kopftuch wählen: Meine Hochachtung habt Ihr.
Auch wenn es Männer gibt, die ihre Frauen und Töchter zum Kopftuch zwingen – wie viele Männer im Westen gibt es, die ihre Frauen und Töchter zum sexy sein zwingen? Ob aus persönlichen Gründen oder wegen Zuhälterei – ich finde beide Seiten der patriarchalischen Gewalt grauenhaft und bete dafür, dass sich alle Frauen dieser Welt aus einer männlich geformten Sklaverei befreien – wo auch immer es sei. Herzlich willkommen in Deutschland, Schwestern. Gut, dass Ihr da seid.