Künstliche Intelligenz und Psychosen: Hilfe, ich höre Stimmen!

Heute nacht hatte ich einen erschütternden Traum: Ich war umgeben von IoT-Geräten, die mich ständig beraten, kommentieren, führen, mahnen und mir Erklärungen geben. Plötzlich traf mich die Erkenntnis wie ein Schock: Ich weiß in einer solchen Welt nicht mehr, wer ich bin und was mich ausmacht! Tatsächlich war ich so erschrocken, dass ich sogar aus dem Schlaf aufschreckte. Plötzlich stand es mir glasklar vor Augen: Wir sind als Menschheit in Gefahr, in ein psychotisches Zeitalter zu stolpern, wenn wir den computergesteuerten Geräten immer mehr Einfluss gewähren. Navigatiossysteme, personalisierte Werbung und Fitnesstracker sind nur der Anfang dieser Entwicklung. Kann der Mensch damit umgehen, dass er ständigen Beeinflussungen ausgesetzt ist, die sich individuell und datenbasiert an ihn anschmiegen wie ein zweites Ich?

Ich erinnere mich an eine für mich legendäre Szene in „Eine schrecklich nette Familie“: Die einfältige Tochter Kelly Bundy hält sich die Finger an den Kehlkopf und erkennt perplex: „Ich höre mich, ohne dass ich spreche – ich kann denken!“.

Maschinen werden zu Eltern?

Als Kind hatte ich das große Glück, von einer Mutter begleitet zu werden, die viel Respekt hatte vor der Intimsphäre ihres Kindes. Sie bemühte sich, mich so weit wie möglich ungestört zu lassen und Ermahnungen auf das absolute Mindestmaß zu begrenzen. Das hat mein Selbstbewusstsein sehr gestärkt. Auch ich habe bei meinen vier Kindern versucht, sie so wenig wie möglich bei der Entwicklung ihrer eigenen Philosophie und Weltordnung zu beeinflussen.

Ich weiß, welche Macht Eltern haben. Freiheit kann nur blühen, wenn ich meine eigenen Gedanken von denen meiner Umgebung abgrenzen kann. Und die Trennung zwischen den eigenen Gedanken und Gefühlen von den Worten und Ausdrücken der gestaltenden Bezugspersonen wird erst ab einer bestimmten Entwicklungsstufe vollzogen – normalerweise  im Alter von etwa zehn Jahren. „Ich bin ja allein auf der Welt! Ich kann und muss denken!“

Und so frage ich mich, wo eigentlich der Unterschied ist zwischen dem eigenen Denken und den Worten und Einflüssen, die wir von außen empfangen? Kann es sein, dass wir auch gegenüber selbstlernenden Computern eine ähnliche Hilflosigkeit entwickeln wie gegenüber unseren Eltern, die uns mit ihren Werten und Vorstellungen für das ganze Leben prägen?

Spinnerei oder nahe Zukunft?

Vor wenigen Tagen stellte Google auf seiner Entwicklerkonferenz mit Google Duplex ein System vor, das empathisch kommunizieren kann, indem es menschliches Verhalten nachahmt. Was ist, wenn uns überall Geräte umgeben, die – vollgestopft mit unseren Verhaltensdaten – genau den richtigen Ton finden, um uns zu beeinflussen? „Fahr nicht so schnell“, „Mach mal Pause“, „Betätige Dich sportlich“, „Formuliere diese Mail diplomatischer“, „Das hast Du gut gemacht!“

Massen-Psychosen durch das Internet der Dinge?

Könnte es sein, dass durch diese Mensch-Maschinen-Kommunikation sich bei immer mehr Menschen Psychosen entwickeln, weil sie einfach nicht mehr wissen, wo ihre persönlichen Grenzen sind? Könnte sich sich diese Verzweiflung wie eine Massen-Hysterie ausbreiten? Was denke ich wirklich selbst? Was kommt von mir? Was wird mir von außen eingeredet? Was höre ich und was formuliere ich selbst? – oder wie Richard David Precht es formulierte „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“.

Inspiriert wurde mein Traum und meine erschreckende Erkenntnis von Frank Schätzings Buch „Die Tyrannei des Schmetterlings“, das ich als Hörbuch nun bereits zum zweiten Mal aufsauge. Schätzing, der für das Buch intensiv Studien im Silicon Valley betrieben hat, reißt in dem verwirrenden Tyrannei-Werk viele Visionen und Forschungen aus den Denkfabriken der digitalen „Goldschürfer“ an und schmückt diese aus. Quantencomputer, Realitätsverschiebungen, Nanobots, Transhumanismus… ein Festmahl für alle, die sich nicht vor Opulenz fürchten.

Fazit

Ich habe mehrere Menschen begleiten dürfen und müssen, die an Psychosen erkrankten. Sie haben mir erklärt dass es sich anfühlt, als ob die Schädeldecke fehle und sie mit ihrem Gehirn den Reizen und Einflüssen der Umgebung hilflos ausgeliefert seien. Die Hölle auf Erden muss es sein, wenn man nicht mehr unterscheiden kann zwischen eigenen Gedanken und den „Stimmen im Kopf“, zwischen eigenen Entscheidungen und den Signalen aus der Umwelt.

Heute gibt es ja schon immer mehr Wahnvorstellungen in Bezug auf unsere Weltordnung und es gibt jede Form von Verfolgungsängsten. Kann sein, dass sich das weiter zuspitzen wird. Die Hölle auf Erden… Ob mir persönlich dieser Selbstverlust erspart bleibt? Keine Ahnung, die Erkenntnis heute nacht im Traum war zumindest so direkt und lebendig, dass ich Respekt davor habe und es nicht ausschließen kann.

Wäre auf jeden Fall wohl das Schlimmste, was mir passieren könnte – die „Ich“-zerstörende Tyrannei ohne Erlösung. Junge, Junge, wie trauen uns was, wir Menschen 😉

Hornbach-Werbung und die „Stimmen im Kopf“

So ähnlich mag sich eine Überforderung im Kopf anfühlen, wenn archaische Denkmuster auf maschinenbasierte Befehle und Reizüberflutungen treffen. Kein Wunder, dass die neue Hornbach-Werbung negativ aufgenommen wird von den meisten Konsumenten – unbewusst erkennt man vielleicht das Mögliche in dieser unheimlichen, kafkaesken Vision…

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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