Was ist das Besondere an Unternehmern und Unternehmerinnen? Kann man ihnen ansehen, für welche Art von Leben sie sich entschieden haben? Oder machen nur „Kleider Leute“ – und im Grunde genommen sind Menschen, die inhabergeführt Betriebe leiten und Mitarbeiter beschäftigen, Charaktere wir alle anderen auch? Als ich gestern in Hagen in Westfalen die Vernissage der Fotografin und Inszenierungskünstlerin Maike Hufenbach besuchte, überwältigten mich die vierzig lebensgroßen Foto-Portraits der Menschen, die entscheidend Verantwortung tragen für die Wirtschaftskraft und Lebenssituation der Stadt im südlichen Ruhrgebiet. Produzierende Betriebe, Ingenieurbüros, Hotels, Einzelhändler, Handwerksunternehmen und Freiberufler – sie alle zeigten sich in den Lebensräumen, in denen sie zu Entscheidungen finden, Ideen entwickeln und sich regenerieren für den nächsten Tag und die nächsten Aufgaben.
Der Hauptgeschäftsführer der SIHK, Dr. h.c. Hans-Peter Rapp-Frick, sprach die Begrüßungsworte zur Vernissage, zu der viele der portraitierten Unternehmer und Unternehmerinnen auch selbst gekommen waren. Was ist eine Stadt oder Region ohne ihre Unternehmer? Ohne die, die für Arbeitsplätze und Fortschritt verantwortlich sind? Was würde bleiben, wenn es diese Menschen, diese tatkräftigen Verwirklicher von Ideen und Geschäftsmodellen, nicht gäbe?
Maike Hufenbach führt in die Ausstellung „Wirklichkeiten“ ein
Rapp-Frick hob hervor, wie beeindruckt er von der Kunst Maike Hufenbachs ist, mit der Kamera in einem einigen Moment so viel zu erzählen, so viel zu zeigen von den Menschen, die sich ihre Refugien geschaffen haben, um Kraft und Kreativität für ihre verantwortungsvolle Lebens-Aufgabe zu tanken. Es ist wunderschön, Unternehmer zu sein und sich beruflich/ geschäftlich selbst zu verwirklichen, doch es ist auch ein Leben, das wohl bis zum Schluss mit erheblichen Risiken verbunden ist – und das verbunden ist mit den Existenzen der Menschen, die für dieses Werk als Mitarbeiter arbeiten und sich abhängig machen.
Ich erkundete gemeinsam mit einem PR-Agentur-Leiter die Ausstellung und wir waren Beide total ergriffen von der Feinfühligkeit, mit der Maike Hufenbach die verschiedenen Persönlichkeiten in ihren „Wirklichkeiten“ darstellte. Der Autohaus-Geschäftsführer, der sich mit der elektrischen Gitarre in andere Sphären bringt, die beiden Brüder aus der Lebensmittelproduktion, die sich beim Campen frei machen vom Berufsalltag, der Einrichtungshaus-Leiter, der für wenige Minuten Ruhe findet in einem Ausstellungs-Bett aus der eigenen Kollektion.
Familie spielt eine ganz große Rolle bei diesen Hagener Traditionsunternehmen – das älteste der Ausstellung, die Kürschnerei Schleuter, blickt auf knapp 250 Jahre Firmen-Geschichte zurück! Da ist die 150 Jahre bestehende Fleischerei, die heute von zwei Töchtern geleitet wird – auf dem Bild sieht man vorn zwei kleine Mädchen, die ein Bilderbuch ausmalen – so wächst die nächste Generation bereits selbstverständlich in ihre Rolle hinein.
Da dürfen wir einen Blick werfen in den Garten einer Omnibus- und Reisebüro-Familie, die in dritter Generation zusammenhält und gern am Wochenende Privates und Geschäftliches bei Kaffee und Kuchen miteinander verbindet. Und natürlich dürfen auch die beiden Brüder der Familie Brandt (Zwieback) nicht fehlen, die Maike Hufenbach im Forst der Familie begleiten durfte.
Ein wenig melancholisch wurde uns schon zumute bei der Ausstellung mit diesen vierzig riesigen, perfekt im Saal inszenierten Portraits. Man spürt zwischen all den schönen Momenten auch immer die Wucht der neuen Zeit, die dieser Tradition und dieser Art von Unternehmertum in rasender Geschwindigkeit entgegenrast. Mitarbeiterzahlen müssen in vielen Büros und Betrieben abgebaut werden, Brandt hat die Produktion nach Thüringen ausgelagert, die technische Revolution und die Globalisierung der Märkte ist für viele ältere Inhaber eine unglaubliche Herausforderung.
Das, was die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert geschaffen hat im Ruhrgebiet und in Südwestfalen, wird heute abgelöst von einer neuen Generation an Unternehmern: Schnelles Wachstum, skalierende Unternehmensideen, Unabhängigkeit von Raum und Mensch – nicht nur die Inhalte, auch die Kultur der neuen Gründer unterscheidet sich grundsätzlich von der des letzten Jahrhunderts. Um so bedeutender ist diese Inszenierung, die dem Besucher Gelegenheit gibt, in aller Ruhe die Unternehmerpersönlichkeiten Hagener Traditionsunternehmen zu betrachten. Zu jedem Bild gibt es eine Erläuterung, warum gerade diese Umgebung, diese Szenerie ausgewählt wurde: Kraft und Kreativität tanken müssen alle, die selbstbestimmt leben und arbeiten wollen – und bei vielen spürt man die besondere Bedeutung des Satzes „In der Ruhe liegt die Kraft“