Je technischer und anonymer unsere Welt wird, desto wichtiger ist die Fähigkeit, sich in Mitmenschen hineinversetzen zu können. Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und das angemessene Reaktionsvermögen bei Emotionen unseres Gegenübers sind nicht nur Ideale, sondern auch wichtige Überlebenswerkzeuge, wenn so viele Menschen auf so engem Raum zusammenkommen – und das in ständiger Bewegung und in ständigem Wandel. Doch je wichtiger Empathie geworden ist, desto wichtiger ist es auch, einen Gegenspieler zu haben, der dafür sorgt, dass man sich nicht selbst verliert. Distanz und Akzeptanz sind nicht nur für Ärzte und Therapeuten wichtig – sondern für jeden Menschen, der seine empathischen Fähigkeiten frei ausleben will. Ohne Antagonisten geht das nämlich nicht gut auf die Dauer…
Ekpathie im Extrem
Zwar wird der Begriff Ekpathie meist als „Gegenteil von Empathie“ definiert, und in gewissen Weise ist das auch richtig, doch es kann zu Missdeutungen führen. Menschen, die aus welchen Gründen auch immer skrupellos und hartherzig geworden sind wie der Geizige bei Charles Dickens, sind sozial verarmt, aber nicht Meister der Ekpathie. Eher schon könnte man sich als Meister der Ekpathie einen Sektenführer vorstellen, der zwar die Kunst der Empathie beherrscht, diese jedoch bewusst einsetzt, um andere zu manipulieren. Bin ich emotional gelassen und distanziert den Schicksalen meiner Mitmenschen gegenüber, kann ich sie verführen, erpressen, in Abhängigkeit bringen… Wenn ich in der Lage bin, mich in sie hineinzuversetzen – und wenn sie sich nicht von mir abgrenzen können, wird es gefährlich. Zurzeit werden solche Manipulatoren häufig als Narzissten bezeichnet.
Einatmen und ausatmen
So wichtig also das Mitgefühl ist, so wichtig ist es auch, sich von diesem „Mit-Leiden“ distanzieren zu können. Einatmen und ausatmen, verschmelzen und zurücktreten, Hilfsbereitschaft und gelassene Distanz ins Gleichgewicht bringen, das ist der Weg der Menschen, die nicht an Bitterkeit oder Depression erkranken wollen.
Sind wir zu empathisch, ziehen wir Bedürftige an, die uns regelrecht aussaugen können. Das kennt wohl jeder. Ob Familienmitglieder, Geliebte oder andere Leidende – diese Menschen sind dermaßen bedürftig, dass es kein Ende gibt, egal wie viel wir geben.
‚Oder wir ziehen Menschen an, die uns aufgrund unseres tiefen Mitgefühls verachten bzw. sich beweisen müssen, dass sich hinter der mitfühlenden Fassade ganz bestimmt ein Heuchler oder Schwächling verbirgt. So wie damals Gott mit dem Teufel eine Wette eingegangen ist, ob der gottesfürchtige Hiob in Wirklichkeit ein berechnender Günstling ist, der sich von seinem „Gott und Herrn“ abwendet, sobald es ihm so richtig dreckig geht. Das wird heute häufig als Mobbing bezeichnet. Bis aufs Blut reizen, um die Charakter-Fassade zu zerstören…
Ekpathie wagen
Der spanische Psychiater José Luis Gonzalez de Rivera y Revuelta (hier bei Wikipedia) hat erst vor wenigen Jahren den Begriff Ecpathy geprägt. Als Forscher im Bereich Mobbing und psychischen Missbrauch am Arbeitsplatz hat er anscheinend festgestellt, dass die Opfer von Mobbing und Missbrauch lernen müssen, sich jederzeit zurück zu ihrem eigenen Platz begeben zu können und gelassene Distanz zu ihren Mitmenschen zu wahren.
Respekt vor dem Schicksal des Anderen
Ist man dazu in der Lage, das Schicksal seines Mitmenschen als dessen Recht auf sein Schicksal zu achten, ist das nicht nur ekpathsich sondern auch wertschätzend. Ob wir einem frierenden Bettler begegnen oder einem leidenden Kind, es ist eine gute Grundlage für gemeinsames Handeln, zunächst das Schicksal als die Heimat meines Gegenübers zu respektieren. Ich kann es wagen, mich in meinen Mitmenschen hineinzuversetzen, weil es mich nicht verschlingen wird und nicht aus meiner Mitte reißen. Ich kann helfen, wenn ich es will, und ich kann mich freundlich distanzieren, wenn ich es will.
Je früher ich mich authentisch mitteilen kann, desto weniger Erwartungen wecke ich und desto weniger Enttäuschungen produziere ich. Ob der Chef, der mir immer mehr Arbeit auflastet oder die Mutter, die im Alter vereinsamt – Einatmen und Ausatmen im rechten Gleichgewicht schützen vor Erwartungs-Bergen, die sich immer weiter auftürmen. Rechtzeitig zu unserem eigenen Platz zurückkehren zu können, ist eine Kunst, die uns vor Bitterkeit und Krankheit schützt. Und hier noch ein Test, mit dem man seine Fähigkeit zur Ekpathie testen kann.
Karrierebibel: Testen Sie Ihr Ekpathie-Vermögen