Was unterscheidet Konzerne von mittelständischen Betrieben? Wann spricht man von Hidden Champions? Wie wichtig ist der Mittelstand für den Wirtschaftsstandort Deutschland? Was passiert mit unserem Wirtschaftssystem, wenn die Einheit von Eigentum und unternehmerischer Verantwortung schwindet? Das Besondere am Mittelstand in Deutschland ist nämlich genau das: Ein bis zwei natürliche Personen halten (direkt oder indirekt) mindestens 50 % der Anteile eines Unternehmens und gehören der Geschäftsführung an. Das bedeutet, dass auch große Unternehmen zum Mittelstand gehören können, wenn diese zwei Kriterien erfüllt sind: Die Einheit von Eigentum und unternehmerischer Verantwortung. Mit dieser Definition zählt sogar die Volkswagen AG zum Mittelstand – und führt die Top 100 der Familienunternehmen Deutschlands an.
Mittelstand – Größe und wirtschaftliche Bedeutung
Für den Begriff Mittelstand gibt es keine allgemein gültige Definition. Da jedoch kaum ein Schlagwort in der Wirtschaftspolitik so häufig verwendet wird, ist es wichtig, nach den wichtigsten zugrundeliegenden Abgrenzungen zu fragen. Im Folgenden werden gängige Definitionen benannt, die qualitative und quantitative Merkmale enthalten. Insbesondere die Einheit von Eigentum und unternehmerischer Verantwortung wird in Deutschland als charakteristisch für den Mittelstand angesehen. Die EU-Kommission setzt hingegen auf die quantitative Einordnung in Form von KMU: kleine und mittlere Unternehmen.
Beispiel: Maßgeschneiderte Industriegehäuse aus Rinteln
Ein typisches Beispiel für ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen in Deutschland ist die ROLEC Gehäuse-Systeme GmbH. In den 1970er Jahren gründete Friedhelm Rose die Firma mit der Idee eines wasserdichten Alumiumgehäuses. Die Geschichte des Unternehmens zeigt auf beeindruckende Weise, was die Besonderheiten mittelständischer Industriebetriebe ausmacht – und warum es sein kann, dass Betriebe mit nur wenigen hundert Mitarbeitern in ihrer speziellen Nische so erfolgreich sind.
Der Gehäuse Hersteller maßgeschneiderter Industriegehäuse zeigt auf seiner Website mit der Geschichte des Unternehmens, welche Eigenschaften ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen aufweisen muss, um Krisen und Veränderungen des Marktes zu überwinden. Entscheidend sind bei Mittelständlern immer die Menschen: Führung und Belegschaft gehen ein enges Bündnis ein, das die Basis bildet für Innovation, Zuverlässigkeit und Qualität.
Mehrere Definitionen von Mittelstand
In früheren Jahrhunderten wurde in Deutschland der Begriff „Mittelstand“ verwendet als Bezeichnung für die Mittelschicht – also die mittlere Gesellschaftsschicht zwischen Oberschicht und Unterschicht. In der Schweiz ist diese Begriffsverwendung noch heute üblich.
Heute bezeichnet der Begriff Mittelstand im deutschsprachigen Raum zum einen die Besonderheit von Familienunternehmen (Einheit von Eigentum, Leitung, Haftung und Risiko), zum anderen die quantitative Einordnung von Unternehmen nach Größe und Umsatz.
Demnach zählen in Deutschland kleine und mittlere Unternehmen, die weniger als 500 Mitarbeiter beschäftigen und höchstens 50 Millionen € Jahresumsatz aufweisen, laut IfM zum Mittelstand. Kleine und mittlere Unternehmen bis zu 249 Mitarbeitenden haben in der EU Zugang zu speziellen Fördermittel-Programmen.
In wohl allen Ländern dieser Welt zählen weit über 99 Prozent der gewerblich tätigen Betriebe zu den kleinen und mittleren Unternehmen. In der Europäischen Union arbeiten etwa die Hälfte aller Arbeitnehmenden in Unternehmen dieser Größenzuordnung. Das Besondere in Deutschland ist, dass es zahlenmäßig weitaus weniger KMU-Betriebe gibt als in allen anderen EU-Ländern, dass diese Betriebe jedoch insgesamt größer und wirtschaftlich bedeutender sind als in allen anderen EU-Ländern.
Heißt: In Deutschland gibt es eine viel geringere Dichte an Kleinst- und Kleinunternehmen (maximal 9 Beschäftigte bzw. 49 Beschäftigte) und dafür sehr viel mehr größere Unternehmen, die im gewerblichen Bereich verankert sind. Während es in Deutschland 2022 etwa 2.987 KMU je 100.000 Einwohner gab, lag der EU-Durchschnitt bei 5.435 KMU.
Die Besonderheit des Deutschen Mittelstands
Mit seiner speziellen Einordnung von Mittelstand stellt der Wirtschaftsstandort Deutschland etwas Besonderes dar. In der Nachkriegszeit wurde im fast völlig zerstörten Westdeutschland der Aufbau produzierender Unternehmen mit sozialer Marktwirtschaft verbunden, während die DDR auf staatliche Wirtschaftslenkung setzte.
Neben den beiden Konzepten der rein liberalen Marktwirtschaft oder einer staatlichen Wirtschaftslenkung stellte die soziale Marktwirtschaft eine dritte Variante dar, die „das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs verband“ (Alfred August Arnold Müller-Armack, Mitbegründer der sozialen Marktwirtschaft).
Familienunternehmen spielten bei diesem Konzept eine entscheidende Rolle, da die persönliche Verantwortung der Eigentümer das Konzept der Mitarbeiter-Mitbestimmung und des sozialen Ausgleichs begünstigen.
Hidden Champions
Hidden Champions sind mittelständische Unternehmen, die als „heimliche Gewinner“ agieren. Hidden Champions sind in ihrer speziellen Nische Weltmarktführer geworden, ohne dass dies einer größeren Öffentlichkeit bekannt ist. Der Exporterfolg Deutschlands geht entscheidend darauf zurück, dass Deutschland mit annähernd 1.600 Betrieben fast die Hälfte (!) der weltweit circa 3.400 Hidden Champions stellt (Zahlen aus 2020). Auch Österreich und die Schweiz sind weltweit Spitzenreiter unter den Hidden Champions. Mehr als 80 Prozent dieser „heimlichen Gewinner“ stammen aus dem verarbeitenden Gewerbe.
Die Zukunft des Mittelstands
Der deutsche Mittelstand als „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“ steht heute vor zahlreichen Herausforderungen, die sich seit der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine verschärft haben. Zum einen geht es für das energieintensive verarbeitende Gewerbe darum, in der Produktion Ressourcenschonung und digitale Innovation voranzutreiben, zum anderen ist es Aufgabe der Wirtschaftspolitik, den Aufbau erfolgreicher StartUps im digitalen Wissens- und Datenbereich voranzutreiben.
Für diese Transformation ins digitale Zeitalter sind kompetente Fachkräfte erforderlich – wie sollte sonst die Aufrechterhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet werden? Außerdem braucht Deutschland einen gesellschaftlichen Wandel, der dieser digitalen Transformation positiv gegenübersteht.
Inzwischen denkt jedes vierte kleine und mittlere Unternehmen darüber nach, aufzugeben. Bürokratie, Energiekosten, Steuerlast und Fachkräftemangel werden als Gründe genannt. Größere Mittelständler erwägen aus oben benannten Gründen immer häufiger die Verlagerung ihrer Produktion ins Ausland. Ob es Deutschland gelingt, den digitalen Wandel erfolgreich zu vollziehen, bleibt abzuwarten.
Deutschland als das Land der Ingenieure und der Innovation hat ganz sicher die Chance, ein erneutes „Wirtschaftswunder“ zu gestalten, doch dafür sind sowohl die gesellschaftliche Akzeptanz als auch das Festhalten an der sozialen Marktwirtschaft und der sozialen Teilhabe der Mitarbeitenden erforderlich.
Verliert Deutschland seinen USP (sein Alleinstellungsmerkmal) „Made in Germany“, verliert es auch seine Bedeutung als Exportweltmeister. Internationale Konzerne sind in Bezug auf ihren Standort flexibel – mittelständische Unternehmen leben davon, an ihrem Standort eine gesellschaftlich stabilisierende Bedeutung zu haben.