Unsere Arbeitswelt ist – dank der digitalen Revolution – im Umbruch. Das betrifft unter Anderem die Einstellung und die Möglichkeiten von Arbeitszeit. Xing-Spielraum veranstaltet zu diesem Thema eine Blogparade, die noch bis zum 20. November 2015 läuft. Die besten Blogbeiträge werden im New Work eBook veröffentlicht, das Anfang 2016 erscheinen soll. Im Folgenden mein persönlicher Beitrag – als Social Media Marketing-Beraterin und Marketing-Dozentin – und mit besonderem Blick auf die neu entstehende „Gig Economy“.
Ist die Digitale Revolution eine Bedrohung in Bezug auf Arbeitszeiten?
Gewerkschaften mahnen schon seit Längerem, dass die strikte Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit nicht mehr so selbstverständlich funktioniert, und dass man Arbeitnehmer vor den damit verbundenen Belastungen schützen muss. Ich persönlich bin da ganz anderer Meinung: Ich wünsche mir eine Berufswelt, in der die Menschen ihre Arbeit nicht als „lästiges Übel“ betrachten, um Geld zu verdienen und sozial aufzusteigen, sondern in der jeder mit seinem Beruf ebenso verbunden ist wie mit seinem privaten Umfeld. Ich wünsche mir eine Welt, in der Menschen freiwillig arbeiten, weil sie es lieben, sinnvoll tätig zu sein und weil sie stolz sind auf ihr Können und ihre Leistung. Ich wünsche mir eine Welt, in der Freunde, Familie, Arbeitskollegen und Einflussnehmende (z.B. Lehrer, Medien, Vorgesetzte) in die gleiche Richtung schauen, sich gegenseitig befruchten und sich entspannt ergänzen.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang „Gig Economy“?
Gig Economy bezeichnet einen Trend, bei dem Menschen als Selbstständige Jobs annehmen, um sich zu finanzieren, und ihre weitere Arbeitszeit in persönliche Projekte stecken. Uber, Airbnb, Textbroker, freelancer.com…unzählige Vermittlungsplattformen und Unternehmen entstehen gerade und bieten Jobs an für Menschen, die als Freelancer Geld verdienen wollen. Manche sind erschreckend schlecht bezahlt, andere durchaus lukrativ. Über soziale Netzwerke wie Xing und Facebook tauschen sich die Freelancer aus und empfehlen sich gegenseitig gute Angebote. Wird „Jobben“ so etwas wie „Shoppen“ – mit Angeboten und attraktiven Treue-Rabatten für gewiefte Gig Profis?
Die Finanzkrise 2009 gab dieser neuen Branche einen enormen Schub. Vor Allem in den USA, in der Heimat des Kapitalismus und der Selbstverantwortung ohne weitreichende soziale Sicherungssysteme, gibt es immer mehr Freelancer, die sich mit verschiedenen Jobs finanzieren – und ihre Arbeitszeit flexibel einteilen müssen (und wollen?).
Risiken und Chancen der Gig Economy
Risiken: Keine Frage, wenn ich als Webdesigner, Texter oder Lieferant ständig auf der Jagd bin nach gut bezahlten Jobs, geht dabei die langfristige Planbarkeit meines Lebens verloren. Wer weiß schon, was in 5 Jahren sein wird? Unter diesen Umständen ist es nicht mehr so selbstverständlich, ein Haus zu bauen und/ oder eine Familie zu gründen. Wie bin ich im Krankheitsfall abgesichert? Wie sorge ich vor für Zeiten, in denen ich nicht mehr arbeiten kann, weil ich ganz einfach zu alt bin? Wie schütze ich mich vor der ständigen Angst, nicht mehr am Markt gefragt zu sein? Wie bedrohlich ist der Wettbewerb der Freelancer, der zu immer weiterem Honorarverfall führen kann? Kann ich wirklich auf die gesunden Kräfte des freien Markts vertrauen? Oder bedeutet „Freier Markt“ Verelendung und skrupellose Ausbeutung der Vereinzelten, die sich nicht wehren können?
Chancen: „Ich arbeite, um zu leben“ war jahrhundertelang eine Selbstverständlichkeit. Früher ererbete man den Beruf in der Regel von Vater und Großvater (für Frauen als finanziell Ausgelieferte war die Rolle sowieso vorbestimmt), man kämpfte Schritt für Schritt um erträglichere Arbeitsbedingungen und Schutz vor all den schlimmen Konsequenzen, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden waren. Von der Krankenversicherung bis zur 35 Stunden Woche – alle Errungenschaften der Gewerkschaften gehen bis zum heutigen Tag auf die Grundeinstellung zurück, dass Arbeit verkauftes Leben ist, dass es „Besitzer meiner Arbeitskraft“ gibt, denen ich trotzen muss, um nicht zu verelenden an Körper, Seele, Geist.
Ist es nicht wunderbar, wenn junge Menschen dank unserer Wohlstandsgesellschaft eine ganz neue Einstellung zu Arbeit und Arbeitszeit bekommen? Ich unterrichte viel junge Akademiker und Studenten im Marketing, und seit Jahren stelle ich fest, dass die Begeisterung, sich mit eigenen Projekten selbst zu verwirklichen, unbekümmert steigt. Vor allem in den Metropolen wie Berlin und Hamburg gibt es immer mehr Kreative, die tatsächlich Wohnraum über Airbnb vermieten, die Freelancer-Jobs annehmen über die zahlreichen Plattformen, die gut vernetzt in Communities gemeinsam Projekte organisieren, und die sich bewusst vor hohen Verbindlichkeiten hüten, um die Freiheit zu bewahren, Zeit und Inhalt flexibel zu gestalten.
Ein Designer eröffnet einen Designer-Blog mit Affiliate-Links, die Cutterin arbeitet als alleinerziehende Mutter für Filmproduktionen in der Postproduction, die Absolventin in der Tourismusbranche fährt immer wieder monatelang in die entferntesten Winkel der Welt und lässt sich ihre Reisen durch Blogbeiträge für Reiseveranstalter bezahlen. Viele arbeiten als Dozent mit freien Lehraufträgen, die ihnen Raum lassen für weitere Projekte (abends, am Wochenende, in lehrfreien Zeiten). Wie ausgebeutetes Prekariat wirken diese Menschen nun gar nicht auf mich, eher wie selbstbestimmte Kreative, die sich nicht fremdbestimmt in Hierarchien einfügen wollen, die einen eigenen Willen haben und die fleißig und diszipliniert ihre Träume leben.
Arbeitszeit spielt als Begriff nur in soweit eine Rolle, weil die Aufträge gemanangt werden müssen. Zeitmanagement ist ein Problem, dass diese Gig Economy Freelancer nur zu gut kennen. Man macht sich häufig morgens beim Frühstück einen „Stundenplan“, um die verschiedenen Lebens- und Arbeitsbereiche zu händeln: Partner morgens mit dem Auto zur Arbeit fahren, danach zum Kunden. Kinder um 16 Uhr abholen und gemeinsam den Nachmittag genießen – abends nach 20 Uhr wieder an den Schreibtisch. Mails checken alle 15 Minuten vom Smartphone aus, zwischendurch ein paar Status-Updates in Foren und sozialen Netzwerken, um im Gespräch zu bleiben. – Für die einen ein Horror – für die anderen der Inbegriff von Selbsterfüllung und Freiheit.
Fazit: Was braucht die Gig Economy, um sich weiter zu entfalten?
Ich selbst gehöre, obwohl ich schon weit über 50 bin, auch zu dieser Gig Economy, gehörte schon dazu, als es den Begriff noch gar nicht gab. Seit über 10 Jahren baue ich Projekte und Unternehmen auf, die mich visionär begeistern, indem ich mich mit Freelancer-Jobs finanziere. Eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer war es 2004, eine Social Media Agentur 2008, eine Akademie für die Weiterbildung von Social Media Managern mit IHK Zertifkat 2011. Zurzeit bilden wir in der Metropole Ruhr ein Unternehmensnetzwerk für kleine und mittlere Unternehmen im digitalen Wandel – in Verbindung mit der Crowdinvesting-Plattform Geldwerk1.
Mein Leben macht mir unglaublich viel Spaß, weil es mich herausfordert und mir Sinn gibt. Ich arbeite nicht, um zu leben, ich lebe, um zu arbeiten. Arbeitszeit ist für mich die Zeit, in der ich Dinge tun muss, die ich nicht mag: da können durchaus mal familiäre und gesellschaftliche Verpflichtungen zu gehören, und natürlich gehört Hausarbeit dazu, so langweilig… Ich werde immer anspruchsvoller mit der Qualität meiner Beschäftigungen, denn meine Art zu arbeiten hat mich verwöhnt. Ich ahne, was ich kann, und ich bin stolz auf meine Leistung und darauf, dass ich so viel Lob, Begeisterung und Bestätigung ernte.
Trotz Alledem bleibt die Frage der sozialen Absicherung: Ein Freelancer-Unternehmer-Leben ist unweigerlich verbunden mit Aufs und Abs, mit Rückschlägen und Unsicherheiten. Es ist schwierig, sich auf regelmäßige Versicherungsbeiträge für Arbeitsunfähigkeit und Alter einzulassen, wenn die monatlichen Einkünfte unberechenbar sind. Das alte Modell der Sozialversicherung muss reformiert werden, um die neue Schicht der kreativen Freelancer und Entrepreneure einzuschließen.
Ich plädiere dafür, dass unser Steuer- und Sozialversicherungssystem so angepasst wird, dass Freelancer und Entrepreneure jeden Monat prozentual ihren Beitrag leisten – an Steuern und als Schutz gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit und Alter. Es ist möglich, die freien Arbeiter einzugliedern in unser Sozialsystem, und die veraltete Hürden abzuschaffen. Wenn der niedrigste Krankenkassenbeitrag in der GKV bei 360 Euro liegt für Selbstständige, ist das unangemessen. Viele Freelancer machen Umsätze von ca 2.000 Euro monatlich, da kann das nicht sein.
Arbeitszeit frei einzuteilen, ist belastend, ist aber auch ein Geschenk. Spontan einen halben Tag in der Woche frei machen für einen Ausflug mit den Kindern in den Zoo; spät aufstehen und bis in die Nacht arbeiten; Homeoffice genießen und zwischendurch mit dem Hund spazieren gehen – die Gig Economy ist durchaus eine Chance, doch sei muss sozial abgesichert sein – das Fernziel wäre die bedingungslose Grundsicherung für jeden Menschen.
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Eva Ihnenfeldt
KMU-digital
Marketing und Social Media
Tel.: 017680528749
E-Mail: [email protected]
Blogparade von Xing Spielraum: Machen Sie mit – bis zum 20. November 2015:
- An der Blogparade nimmt teil, wer bis zum 20. November 2015 einen Beitrag dazu schreibt und auf den Beitrag hier auf XING spielraum verweist und verlinkt.
- Es kann jeder mitmachen, der über einen eigenen Blog verfügt und zum Thema #Arbeitszeit einen Standpunkt hat.
- Schreiben Sie Ihren Beitrag so, wie er am besten in den Kontext Ihres Blogs passt – die Überschrift muss nicht den Titel dieses Aufrufs enthalten.
- Wenn Sie Ihren Beitrag veröffentlicht haben, posten Sie bitte den Link zu Ihrem Beitrag als Kommentar unter diesen Aufruf. So erfahren wir, dass Sie teilgenommen haben.
- Nach dem 20. November verfassen wir abschließend ein Resümee und verlinken alle Teilnehmer-Beiträge in einem Sonderbeitrag hier auf XING spielraum. Wer sich an der Blogparade beteiligt, stimmt zu, dass sein Beitrag in den Überblicksartikel aufgenommen wird.
- Die besten Beiträge werden in unser New Work eBook aufgenommen, dessen Veröffentlichung für Anfang 2016 geplant ist.
[…] Von der geregelten Arbeitszeit zur Gig-Economy – Risiko oder Chance? Unsere Arbeitswelt ist, dank der digitalen Revolution, im Umbruch. Das betrifft unter Anderem die Einstellung zur Arbeitszeit. Im Folgenden mein Beitrag zur Xing-Blogparade – mit besonderem Blick auf die neu entstehende „Gig Economy“… […]