Soll ich mich selbstständig machen? Risiken und Chancen im Jahr 2023

Auch wenn in den Medien weiterhin auf den immensen Fachkräftemangel hingewiesen wird, gibt es immer mehr Menschen, die trotz intensiver Bemühungen Probleme haben, einen Job zu finden. Prognosen zufolge kann es sein, dass Deutschland in eine Zeit steigender Arbeitslosigkeit gerät. Ich erinnere mich an die Zeit, als Deutschland zum „kranken Mann Europas“ erklärt wurde und die Hartz-Reformen eingeführt wurden. Existenzgründer wurde vorbildlich gefördert mit Weiterbildungen und Finanzierungsprogrammen, während die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zu Verarmung und sozialem Abstieg führte. Wie ist es heute? Hier der Versuch, die Risiken und Chancen einer Selbstständigkeit miteinander abzuwägen.

Risiken für Gründer und Selbstständige

Finanzamt, Steuern und Buchhaltungspflichten

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Die Buchhaltungs- und Steuerpflichten sind für viele potenzielle Gründer das Hauptargument, warum sie ihre Ideen und Pläne direkt wieder aufgeben. Auch wenn es im Vergleich zur Gründungswelle Anfang der Jahrtausendwende digitale Unterstützung wie Buchhaltungssoftware für Selbstständige gibt – ohne eigenes Wissen und Tun geht es nicht. Jede/r Gründungswillige sollte sich intensiv mit dem Thema Steuern auseinandersetzen. Ob es Bücher sind, kommerzielle (Online)-Weiterbildungen, Gründer-Wettbewerbe, Angebote der IHK’s oder Förderungen durch die Agentur für Arbeit – je intensiver man sich einarbeitet in Unternehmensformen, Rechnungswesen, Buchhaltung und Steuergesetze, desto besser kann man Entscheidungen treffen und sich auf die zukünftigen Pflichten als Selbstständige/r vorbereiten.

Ende der Sozialleistungen bei Urlaub, Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit

Wenn ein/e Selbstständige/r Urlaub machen will, fallen doppelte Kosten an: Zum einen wegen der fehlenden Einnahmen in der Urlaubszeit, zum anderen wegen der Urlaubskosten. Wird man krank, drohen zum einen Probleme mit Kunden, zum anderen gibt es für viele Selbstständige keine Ausgleichszahlungen. Ab dem 43. Krankheitstag gibt es bei den gesetzlichen Krankenkassen eventuell Krankengeld – maximal 113 Euro täglich. Ein weiteres Problem ist die Altersvorsorge. Welche Absicherungen sind geschützt, falls die Selbstständigkeit scheitert? Auch hier hilft nur eins: Fragen nachgehen, sich informieren und sich Hilfe holen – zum Beispiel über ein von der Arbeitsagentur gefördertes AVGS-Gründungscoaching.

Finanzielle Unsicherheit

Entscheidet sich ein Mensch für die Selbstständigkeit, entscheidet er oder sie sich für einen Weg, der keine Sicherheit bietet. Das, was gestern noch hervorragend funktionierte, funktioniert vielleicht morgen schon nicht mehr. Unternehmertypen (ob Soloselbstständige oder Arbeitgeber mit Angestellten) sind Menschen, die bereit sind, die vielen Risiken zu tragen und sich immer wieder über Strategien und Neuausrichtungen zu verändern in ihren Geschäftsfeldern und Produkten.

Familie und soziales Umfeld

Eines der größten Risiken bei der Selbstständigkeit ist, dass das private Umfeld geschwächt wird. Selbstständige arbeiten häufig „selbst und ständig“. Neben den erzielten Einkommensleistungen müssen viele unbezahlte Stunden mit Buchhaltung/ Steuerpflichten, Kundengewinnung, Netzwerken, Fortbildung etc. verbracht werden – welche Familie macht das schon mit? Auch das soziale Umfeld reagiert auf die Veränderung des zuvor abhängig Beschäftigten mit seinen klaren Arbeitszeiten, Wochenenden und Urlaubstagen. Viele Menschen in Deutschland erwägen aus diesen Gründen eine kleine Nebenerwerbsselbstständigkeit. Die Vollzeit-Gründer sind häufig Migranten, die ihre Familien über ihren Geschäftsaufbau finanzieren und aus der Motivation heraus sehr viel arbeiten, damit es „ihre Kinder einmal besser haben“.

Scheitern

Das größte Risiko ist neben des Verlusts von Familie und sozialem Umfeld das Scheitern der Selbstständigkeit. Im schlimmsten Fall droht eine Privatinsolvenz und der Fall in Bürgergeld-Alimentierung. Auch wenn den meisten Selbstständigen meistens etwas einfällt, wenn eines ihrer Geschäftsfelder zusammenbricht, ist diese Gefahr immer da. In der Coronazeit haben viele Freiberufler, Gastronomen, Einzelhändler, Künstler etc. die bittere Erfahrung gemacht, den Staat um Unterstützung bitten zu müssen. Heute ist die wirtschaftliche Lage weltweit so unsicher, dass niemand eine zuverlässige Prognose abgeben kann. Scheitern ist immer möglich, und da Selbstständige nur bei handfesten Sicherheiten kreditwürdig sind, kann auch ein vorübergehender Einkommenseinbruch manchmal nicht durch Liquidität aufgefangen werden.

Chancen für Gründer und Selbstständige

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Hier fasse ich zusammen, warum ich persönlich noch nicht eine Minute bereut habe, dass ich mich 2004 selbstständig gemacht habe.

Mein soziales Umfeld hat sich nach meiner Gründung verändert. Ich habe viele Gründer, Selbstständige und Unternehmer kennengelernt, habe Netzwerke selbst initiiert und bin welchen beigetreten. Wir haben uns unterstützt und unterstützen uns auch heute noch, Netzwerken gehört zur Selbstständigkeit dazu. Ohne das Prinzip von Nehmen und Geben sind Unternehmertypen verloren. Ohne Tipps und Empfehlungen geht es nicht, ohne Austausch von Wissen und praktischer Hilfe ebenso nicht. Das ist eines der schönsten Aspekte der Selbstständigkeit: Freundschaft und Verlässlichkeit definiert sich neu.

Selbstverwirklichung und Selbstwirksamkeit

Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr Menschen psychisch erkranken. Das Gefühl, fremdbestimmt ausgeliefert zu sein, belastet Jugendliche wie Erwachsende. Ist man selbstständig und selbst verantwortlich für die eigene Existenz, gibt diese Notwendigkeit enorme Kraft und Stabilität.

Das Gefühl, selbst Gestalter des eigenen Lebens zu sein, kann glücklich machen und die Gesundheit erhalten. Wir Menschen stehen zwischen den beiden Polen Freiheit und Sicherheit. Heute, in unserer digitalisierten Welt, nutzen gerade junge Menschen Wege der Selbstständigkeit, die es im analogen Zeitalter nicht geben konnte.

Die sogenannten Digitalen Nomaden ziehen durch die ganze Welt, arbeiten an ihrem MacBook, vernetzen sich mit anderen digital arbeitenden Selbstständigen und finden immer wieder Wege, um genügend Einnahmen zu erzielen. (Fashion-)Designer und andere Freischaffende verkaufen ihre Werke online und haben vielleicht noch eine weitere Einkommensquelle – zum Beispiel als Dozent oder Trainer. Online-Händler ziehen mit dem Markt von Produkt zu Produkt und handeln häufig über Marktplätze wie ebay oder Amazon.

Fazit: In der Zeit der riesigen Arbeitslosigkeit Anfang der Jahrtausendwende haben sich viele Arbeitslose aus purer Verzweiflung selbstständig gemacht – kaum einer hat diesen Schritt bereut. Heute gibt es einen anderen Trend: Statt Existenzgründungen zu fördern, ist der Weg hin zum Bürgergeld (ehemals Hartz IV) leichter geworden. Zwar macht die Alimentierung durch die Öffentliche Hand langfristig oft physisch und psychisch krank, doch sie stellt einen verständlichen Ausweg dar. Ob es bei steigender Arbeitslosigkeit auch wieder verstärkt Förderungen einer Existenzgründung geben wird, bleibt abzuwarten.

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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