Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Idee. Sie wollen viele Menschen für Ihre Idee gewinnen, um diese durch die Unterstützung der Vielen erfolgreich werden zu lassen. Die Idee kann kommerziell motiviert sein, politisch, sozial, ökologisch, religiös… Was auch immer er ist, es soll viele Menschen erreichen und viele Menschen begeistern. Das, was früher ohne Protegiere, Kapital und einflussreiche Netzwerke undenkbar erschien, ist heute – dank des Internets – ein Phänomen geworden, das zum Erfolgsmodell für Wirtschaft und gesellschaftliche Bewegungen wurde: Skalierbarkeit! heißt dieses Phänomen, und etablierte Akteure beginnen, diese Ideen und Bewegungen zu fürchten…
Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit nachzudenken…
…Sie stoßen im Internet durch Zufall auf eine Idee. Wahrscheinlich ist ein soziales Netzwerk das Transportmittel, wahrscheinlich hat ein Freund, dem Sie vertrauen, diese Idee an Sie durch einen Link und eine Empfehlung weitergetragen. Vielleicht kam die Idee auch über eine E-Mail oder ein persönliches Gespräch eines Empfehlenden zu Ihnen – oder (etwas unwahrscheinlicher) haben Sie diese durch Zufall bei Google oder YouTube selbst entdeckt.
Die Idee spricht Sie emotional an – Sie sind berührt. Mag es Staunen sein, mag es Empörung sein, mag es Glück, Sehnsucht, Gerechtigkeitsempfinden oder der Wunsch nach Besitz oder Erleben sein – Sie beginnen neugierig zu werden und klicken auf den Link, der Ihnen empfohlen wurde.
Die Botschaft berührt Sie so intensiv, dass Sie weiter forschen. Sie wollen mehr darüber wissen. Sie finden weitere Informationen, Videos, Empfehlungen, Gruppen, Blogs, Veranstaltungshinweise, Seiten, auf der Sie Kunde, Sponsor bzw. Mitstreiter werden können. Vielleicht schlagen Sie sofort zu und machen mit – vielleicht lesen Sie ein Buch darüber oder gehen zu einer Veranstaltung in Ihrer Nähe.
Was macht Ideen stark im Web?
Im Umkehrschluss können wir nun betrachten, was wohl die Idee so stark gemacht hat, dass Sie es bis zu Ihnen geschafft hat. Egal ob es sich um eine gesellschaftliche Initiative handelt, um eine politische Bewegung, um eine Spendenaktion oder um die Geschäftsidee eines StartUps, die auf ein latentes Bedürfnis von Ihnen trifft – in jedem Fall gab es da etwas und Jemanden, der es geschafft hat, den Stein ins Rollen zu bringen. Mag es sein, dass dies in der heutigen Zeit auch ohne Massenwerbung in Fernsehen, Radio und Zeitung möglich ist? Mag es sein, dass es heute sogar weit wirksamere Methoden gibt als Werbespots, die von Agenturen gegen Geld erstellt wurden?
Welche Faktoren braucht man, um eine Bewegung stark zu machen?
Zurzeit habe ich die große Freude, wieder einmal einen Marketing-Lehrauftrag mit Studentinnen/ Studenten durchzuführen. Schon in der ersten Vorlesung haben die jungen Menschen so klar und eindeutig definiert, wie heute Ideen zu den Menschen kommen, dass ich baff war. Endlich muss ich nicht mehr die Grundlagen von Social Media erklären („Wie funktioniert eigentlich Twitter?“), endlich reicht die Zeit, um strategisch zu arbeiten und selbstverständlich die Werkzeuge des interaktiven Webs einzusetzen. Hashtags, Facebook-Privatsphäre-Einstellungen, Vernetzung von Blog mit sozialen Netzwerken, die Eigenarten von WhatsApp, Instagram und Pinterst – kein Thema mehr – wir gehen in die Tiefe!
Sehr schnell haben die jungen Menschen zusammengetragen, welche Eigenschaften eine Bewegung (eine Idee) braucht, um die Menschen zu erreichen und zu begeistern:
- Konkreter Anlass – Anknüpfungspunkt durch eine „Geschichte“ – Storytelling
- Emotionale Begeisterung: Hoffnung, Empörung, Staunen, Begierde, Wut, Mitgefühl, Freude…
- Zentraler Mittelpunkt – zentrale Verdichtung durch eine Persönlichkeit
- Organisation, Beharrlichkeit, unternehmerische Entwicklung der Idee
- Intensive Nutzung der webbasierten sozialen Netzwerke
- Nutzung webbasierter Plattformen und Seiten wie Crowdfunding, Monitoring-Tools, Blogs, Foren etc.
- Sympathie, Vertrauen, Glaubwürdigkeit
- das Gefühl von Gemeinschaft
Wenn diese Faktoren zusammenkommen, ist Viralität die logische Konsequenz. Da, wo Rosa Parks wie durch ein Wunder am 1. Dezember 1955 eine Bürgerrechtsbewegung unter Führung des großen Martin Luther King’s ausgelöst hat, weil sie all die Qual und Unterdrückung der Schwarzen in ihrer Heldengeschichte ausdrückte (sie weigerte sich, im Bus für Weiße ihren Sitzplatz zu räumen) – man braucht immer eine Geschichte! – ist heute dieses Wunder viel leichter zu wiederholen – dank Web 2.0. Wie schade, dass gerade junge Menschen, die voller Idealismus sind, häufig das Social Web scheuen, das sie zu Recht die Kontrollgewalt der Geheimdienste verurteilen…
Was StartUps daraus lernen können
Auch StartUps haben in den meisten Fällen nicht nur einfach die Motivation, mit irgendetwas reich werden zu wollen (so übersteht man normalerweise die ersten Jahre der Selbstausbeutung nicht), sondern ziehen ihre Motivation aus einer „weltverändernden Idee“. Mag es auch die Idee sein, junge Mädchen mit älteren Vermögenden für Sexabenteuer zusammenzubringen, mag es auch die Idee sein, den eigenen Körper durch Nahrungsergänzungsmittel brutal zu dopen – ohne den emotionalen Glauben an die eigene Idee kann auch ein zwielichtiges StartUp nicht erfolgreich sein. Denn ohne Glaubwürdigkeit findet man keine Fans, dann geht es schief.
Etablierten Unternehmen geht diese Leidenschaft, dieser Glaube an die eigene Idee, oft durch den operativen Alltag verloren. Spätestens, wenn der Gründer stirbt, ist es schwierig, die Kraft der Idee zu erhalten. Häufig schaffen das dann nur noch Marken, die es zu so viel Einfluss gebracht haben, dass sie sich mit Massenwerbung und den Machtstrukturen im Hintergrund am Leben erhalten. Für den Mittelstand ist so etwas nicht möglich. Er existiert nur durch drei Komponenten: Exklusive Produkte, Preisführerschaft, Fan-Base bei den Kunden.
Was können Mittelständler von StartUps lernen?
Viele mittelständische Unternehmen haben durchaus noch den Geist der Idee bewahrt. Sie sind stolz auf ihre Produkte, auf ihre Mitarbeiter, sind mit ihren Kunden und Lieferanten loyal und vertrauensvoll verbunden. Sie vertreten ideelle Werte und sind verantwortungsvoll im Umgang mit Kapital und Ressourcen.
Diese Mittelständler müssen erkennen, dass sie von jungen Menschen lernen müssen. Konzerne haben sich immer selbstverständlicher als Aufgabe gesetzt, StartUps mit Kapital, Knowhow und Netzwerken zu unterstützen, um sich selbst zu retten – auch kleine und mittlere Unternehmen müssen das tun! Wir müssen die „Bewegenden“ und die „Etablierten“ zusammenbringen, müssen voneinander lernen und uns gegenseitig unterstützen. Mittelständler müssen jungen aufstrebenden Internet-Firmen und Agenturen Aufträge geben, müssen ihre Mitarbeiter im engen Kontakt zu den „Jungen Wilden“ weiterbilden, müssen sich über Veranstaltungen und Kongresse in die Welt des Web 2.0 einleben und sich mit den Digital Natives vernetzen. Die Wirtschaft wird gerade revolutioniert durch den Geist der Bewegung – wer das nicht begreifen will, wird bald ein Existenzproblem bekommen.
Bidquelle: Pixabay_WikiImages