Eva Ihnenfeldt: Selbstzweifel tun weh, sind bedrohlich, können krank machen. Selbstzweifel haben Macht über uns. Wenn sie kommen, kann man sie höchstens für eine kurze Zeit verdrängen – doch sich wirklich davor schützen kann man nicht. Auch der erfolgreichste Sportler kennt Selbstzweifel, auch der skupelloseste Machtmensch kann sich in ihnen verlieren, auch die glücklichste Kindheit ist kein Bollwerk gegen Selbstzweifel – wenn denn nur jemand die entsprechenden empfindlichen Punkte anpiekt.
Ursachen von Selbstzweifel:
Selbstzweifel entstehen im Spannungsfeld von Urteilen und Verurteilt werden. Sie sind dem Verstand untergeordnet. Ein Tier kann keine Selbstzweifel empfinden – und manche Menschen können es auch nicht, was diese vor vergleichbare Schwierigkeiten stellt wie Autismus den hochsensiblen Menschen. Wo der Autist Reize nicht einordnen, verwerfen und gewichten kann, kann der Mensch ohne Selbstzweifel Urteile nicht verstehen und treffen – ihm fehlt die moralische Instanz – das lebendige Über-Ich.
Selbstzweifel können auch mit dem Gewissen verglichen werden. Ein Mensch ohne Selbstzweifel ist ein Mensch ohne Gewissen. Das Gewissen ist eine Errungenschaft der menschlichen Zivilisation, denn das Gewissen setzt voraus, dass man sich aktiv in die Natur „einmischen kann“. Aus dem Wunsch, die Natur um sich selbst herum positiv zu beeinflussen, bildet sich das Gewissen, das „die Götter gnädig“ stimmen möge.
Selbstzweifel, Urteile und Gottesdefinition
Vieles spricht dafür, dass die ersten Götterbilder im menschlichen Geist gebildet wurden, als er mit dem Ackerbau begann. Gott war vielleicht zunächst ein Synonym für „Wetter“ – denn nichts konnte dem Menschen und seiner Familie so sehr schaden wie das unkalkulierbare Wetter. Trotz Fleiß, Klugheit, Sensibilität und Stärke hatte das Wetter die Macht, die ganze Familie in einem einzigen Jahreszyklus zu vernichten. Also war es sinnvoll, über Selbstzweifel (vielleicht will das Wetter mich für irgendetwas „Böses“ strafen) Dinge zu kreieren, die diesen unfassbaren Gott des Wetters besänftigten: Rituale, Werte, Gesetze und Gebete.
Selbstzweifel damals und heute
Wenn wir vor neue Herausforderungen gestellt werden, unvertrautes Terrain betreten, eine Familie gründen, Karriere machen, wenn wir krank werden, alt werden, alles verlieren… regen sich Selbstzweifel – auch beim Mafiaboss und auch beim tiefreligiösen Mönch. Bin ich dem gewachsen? Werde ich die Götter gnädig stimmen? Werde ich mein Schicksal bewältigen? Werde ich stark, gesund und fröhlich bleiben – werde ich weiterhin an mich glauben? Sicher ist es lächerlich, wenn Berlusconi über seinen Arzt verlauten lässt, der Staatschef könne auch mit 74 Jahren noch sechsmal in der Woche Sex haben – doch was sich dahinter verbirgt, sind Selbstzweifel, die über den „Arzt-Priester“ als Beschwörung den Potenzgott gnädig stimmen sollen.
Selbstzweifel: wie man sie erkennen kann
Unser Verstand ist ständig beschäftigt mit Urteilen und der Auswertung von Urteilen über uns. Das ist sozusagen seine Funktion, um den Gewalten um uns herum aktiv begegnen zu können – das ist das, was uns vom Tier unterscheidet. Wir brauchen unsere Selbstzweifel wie ein Messgerät, das uns durch das Leben führt. Bei manchen Menschen liegen die Selbstzweifel so tief vergraben, dass man Stein und Bein schwören könnte, sie hätten überhaupt keine (z.B. Chefs, die über ihre Mitarbeiter völlig rücksichtslos herrschen), oder sie lassen einen Menschen pervertieren wie den Anführer in einer Schulklasse, der schwächere Mitschüler erpresst und quält.
Selbstzweifel kann man jedoch – auch wenn diese durch Gewöhnung an ständige Selbstzweifel tief vergraben sind – wunderbar durch körperliche Symptome identifizieren. Der Sitz der Selbstzweifel ist der Sitz unseres autonomen Nervensystems – und Zweifel äußern sich genau hier. Folgende Symptome lassen zum Beispiel auf Selbstzweifel schließen:
- Atembeschwerden
- Schluckbeschwerden
- Rückenschmerzen
- Schulter- und Nackenverspannungen
- Ohrensausen/ Tinnitus
- Kopfschmerzen
Selbstzweifel drücken von oben (vom Über-Ich – von der übergeordneten Autorität) auf unser Einverständnis mit uns selbst. Wir denken, wir sind nicht richtig so, wie wir sind – und wir haben panische Angst davor, dass es unsere Umgebung merkt. Denn sobald sie es merkt, wird sie sich gnadenlos auf uns stürzen – wie eine Armee dieses „Gottes“, der ja nicht zufrieden ist mit uns.
Was löst Selbstzweifel aus?
- Mädchen und Frauen leiden häufig an Selbstzweifeln gegenüber ihrer sexuellen Attraktivität. Sie fühlen sich zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, zu blond oder zu brünett
- Jungen und Männer leiden häufig an Selbstzweifeln gegenüber ihrer Stärke, ihrer Macht. Sie fühlen sich zu schwach, zu dumm, zu verletzbar, zu weich.
- Männer wie Frauen leiden häufig an Selbstzweifeln bezüglich ihres Charakters, ihres Wesenskerns – denn selbstverständlich liegen die Wurzeln des Über-ichs vor allem in der Definition von „Gut“ und „Böse“. Sie fühlen sich zu habgierig, egoistisch, ignorant gegenüber dem Leid in der Welt.
- Selbstzweifel entstehen immer dann, wenn wir empfindlich sind gegenüber Urteilen über uns. Das Kind empfindet Selbstzweifel, wenn die Eltern es „nicht richtig“ finden, Schüler empfinden Selbstzweifel, wenn sie von Lehrern abwertend beurteilt werden. Das Mitglied einer sozialen Gemeinschaft empfindet Selbstzweifel, wenn es ausgestoßen wird, verlacht, verurteilt, bestraft.
Selbstzweifel: Bekämpfen oder Annehmen
Vor wenigen Monaten erlebte eine strahlende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, durch den Vorwurf eines erschlichenen Doktor-Titels den Absturz vom höchsten Thron der Bewunderung zur maximalen öffentlichen Aburteilung. Er war durch einen plötzlichen Umschwung der öffentlichen Meinung (der „Jesus-Effekt“) gezwungen, sich mit Selbstzweifeln auseinanderzusetzen, seine Werte und seinen Glauben neu zu definieren. Fast immer gehen Menschen, die einen solchen Absturz erleben, geläutert aus der Krise hervor. Doch eine solche Selbszweifel-Läuterung kann nur erfolgen, wenn man sich in der akuten Situation damit auseinandersetzt. Sobald Selbstzweifel chronisch werden, machen sie krank. Menschen mit tiefsitzenden Selbstzweifeln neigen zu Süchten, Depressionen, Machtmissbrauch, Unterwerfung, Sadismus und/ oder Abstumpfung.
Bekämpfen von Selbstzweifeln heißt auch, Selbstzweifel zu unterdrücken. Affirmationen wie „Ich bin stark“ „Ich bin gut“ „Ich bin wertvoll“ „ich bin schön“ sollen die nagenden Selbstzweifel niederschreien. Ein Mensch, der sich bemüht, sich über Suggestionen umzuprogrammieren, geht noch tiefer in die Fremdbestimmung, die die Konsequenz unverarbeiteter Selbstzweifel darstellt. Sekten wie Scientology stehen in dem Ruf, bei Selbstzweifeln anzusetzen, um über Umprogrammiererungen den Menschen fremdzubestimmen.
Annehmen von Selbstzweifeln ist der zunächst schwierigere Weg, aber auch der erfolgreichere. Vor einigen Jahren gab es auf Jahrmärkten als Gag T-Shirt’s zu kaufen mit dem Aufdruck „Ich war als Kind schon Scheiße“. Allein die spontane Reaktion auf so einen Spruch zeigt, wie das Annehmen von Selbstzweifeln befreien kann.
Annehmen heißt, sich geborgen fühlen, sich geliebt fühlen, ganz so wie man ist. Ohne Geborgenheit, Vertrauen und „Sinn“ – ohne stabiles „Über-ich“ sind wir unseren Selbstzweifeln schutzlos ausgeliefert wie ein Neanderthaler dem Wetter. Wie dieses Über-Ich gestaltet ist, ist weniger wichtig als dass es überhaupt eines gibt. Ob man seinen „Sinn“ dadurch findet, dass man in die Kirche geht und betet – oder ob man sich durch den Glauben an ein kosmisches Gesetz geleitet fühlt, ist nicht erheblich. Wichtig ist die Sehnsucht, die uns treibt, Sehnsucht, die uns an uns selbst arbeiten lässt und die uns den Schlüssel liefert für Kreativität, schöpferische Gestaltungsfreiheit und lebenslange Persönlichkeitsentwicklung.
Menschen ohne die Fähigkeit zu Selbstzweifeln sind von dieser Kraftquelle abgeschnitten. Menschen mit Selbstzweifeln steht über ihr Gewissen – über ihr Über-Ich – eine geistige Quelle zur Verfügung, die Verurteilungen in Freiheit verwandeln kann, und Fremdbestimmung in die Entdeckung des eigentlichen Seins.
Und was immer hilft: Einfach mal herzhaft lachen :-))
Autorin des Essays über Selbstzweifel ist
Eva Ihnenfeldt
PR-Agentur und Social Media Agentur SteadyNews
Rheinlanddamm 201
44139 Dortmund
Tel.: 0231/ 77 64 150
E-Mail: [email protected]
Hi Eva! Ein interessantes Thema, dass du da recherchiert hast! Das Problem mit den Selbstzweifeln kenne ich nur zu gut. In der Zeit wo ich meine Firma gegründet habe, waren meine Selbstzweifel gelegentlich so groß, dass sie mich sogar in meinem Vorhaben aufgehalten haben.
Es ist wie du beschrieben hast, man muss sich den Zweifeln stellen und sie akzeptieren bzw. annehmen. Erst dann entdeckt man das Potential dieser Zweifel. Sie halten einen im Erfolgsfall auf dem Boden der Tatsachen. Und zwischen diesen Erfolgserlebnissen, geben sie einen gewissen Rahmen, dass man sich innerhalb eines Projekts oder seiner Arbeit nicht verzettelt.
Inzwischen sehe ich es so, wie du es beschrieben hast:
„Wir brauchen unsere Selbstzweifel wie ein Messgerät, das uns durch das Leben führt.“
Hat man das einmal für sich selbst erkannt, werden die Selbstzweifel zu einem Messgerät auf das man sich mit zunehmender Erfahrung gut verlassen kann.
Viele Grüße,
Raphael
Ein wichtiges, grundlegendes Thema liebe Eva :: Danke dafür!
Ich fühlte mich sofort angesprochen, denn Selbstzweifel kenne ich persönlich aus meiner Kindheit, als vor allen mein Vater mich nicht loben, sondern nur kritisieren konnte. Er war dabei aber auch nicht konstruktiv und lies mich mit meinen Zweifeln, ob das, was ich geschaffen hatte, gut war oder wirklich so unperfekt, alleine.
Heute weiss ich, dass harte Perfektion gar nicht das Ziel ist, sondern die weiche Teilhabe, Mitnahme und Begeisterung der Menschen im Vordergrund steht. Gemeinsam etwas schaffen, an Projekten arbeiten, sich füreinander interessieren.
Dennoch fühle ich mich auch heute oft nicht ‚wahr‘ genommen, nicht verstanden. Auch mein Verständnis den Entscheidern gegenüber, dass sie ja wenig Zeit und viel Stress haben, sich meinen Ideen und Vorschlägen zu widmen, fördert die Zweifel an meinem Sein. Als wenn ich in einem anderen Zeitfenster lebte. Dabei wird meine Anprache meistens mit Begeisterung aufgenommen. Doch warum gehts oft nicht weiter?
Nur durch Hartnäckigkeit und „Wiedervorlage“ kommt der Erfolg, doch dann sind Ideen schon ein alter Hut. Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen, aber da hat keiner Termine frei… *lol*
Ich denke, die wichtigste Aufgabe der Zukunft ist – neben der Ausübung von Toleranz und Vermeidung von Vergleichen – das Zusammenbringen von kreativen und nichtkreativen Personen, von mehr und weniger stark zweifelnden Menschen. So kann der kreative den Anstoss geben für die Aufgaben der Zukunft. Abarbeiten und Wiedervorlegen ist dann die Herausforderung für die tägliche Arbeit ohne Selbstzweifel.
Wenn jeder seinen persönlichen Stand annehmen könnte, ohne sich miteinander zu vergleichen (z.B. kreativ / nichtkreativ), dann könnte es was werden mit der gemeinsamen Gestaltung von Zukunft. Andere zu unterdrücken und nicht zuzuhören gehörte dann der Vergangenheit an…
Hallo lieber Thomas, lieber Raphael,
ganz lieben Dank dafür, dass Ihr Euch auch als Menschen mit der Fähigkeit zu Selbstzweifeln „geoutet“ habt – manchmal glaube ich, dazu gehört fast so viel Mut, wie sich als „schwul“ zu outen – überall wird einem ja eingeredet, mam müsse sich „cool“, „super“ und „gut“ fühlen, sonst wäre man nicht erfolgreich…
Ich glaube, Thomas hat recht: wenn sich die Kreativen zusammenschließen und sich untereinander stützen, sind sie den „Nie-Zweiflern“ sogar übelegen – denn die „guten Ratten“ gewinnen ja doch gegen die „bösen Ratten“ – weil sie sich gegenseitig helfen :-)))
http://steadynews.de/allgemein/hilfsbereitschaft-ist-kein-widerspruch-zur-evolution-sondern-ihr-ergebnis
Hmmm .:. so hatte ich das nicht gemeint (schon gar nicht verglichen mit ‚Ratten‘!)
Ich meinte, das der „nicht Kreative“ dem „Kreativen“ mehr zur Seite stehen sollte – und umgekehrt.
Hast Du den Beitrag über die „Ratten“ gelesen? Das ist wirklich interessant, dass die hilfsbereiten Nagetiere den egoistischen überlegen sind – Ratten sind ja nicht schlechter oder besser als andere Tiere… nur eben besonders schlau 🙂
aaaah .:. jetzt versteh ich. ist auch logisch das sich die einstellung von hilfsbereitschaft in der evolution durchsetzen musste, weil alles andere (nur der stärkere) viele erfindungen nicht gemacht hätte…
hier dein artikel über die ratten (als info nachtrag!) http://steadynews.de/allgemein/hilfsbereitschaft-ist-kein-widerspruch-zur-evolution-sondern-ihr-ergebnis
From Ruhr with love
Thomas
Ach ja, man kann so schnell so viel falsch verstehen – auch so ein Nachteil der „Nie Zweifelnden“ – sie wissen immer alles und können sich nicht korrigieren. Guck mal, ich hab heute noch ein so schönes Lied gefunden – passt zwar nicht direkt, aber ohne Selbstzweifel kann man sicher nicht so viele Abentuer erleben wie mit – ich mag den Text sehr gern, macht Mut: http://www.youtube.com/watch?v=leSI39GViYE&feature=related