9.7.2015, Gastbeitrag von Evelyn Moeck: An den Grundfesten der deutschen Wohlfahrtsverbände wird in letzter Zeit gründlich gerüttelt. Ist es an der Zeit, Marketingstrategien zu ändern oder wird das Feld anderen überlassen?
Eigentlich ist diese Leitidee so alt wie auch simpel. Engagiere dich sozial oder tue etwas gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt! Kombiniere dies geschickt mit den Kernaufgaben deiner Organisation. Und das Wichtigste – rede darüber! Die moderne Geschäftswelt verpackt diese Aktivitäten unter den Begriff Corporate Social Responsibility (CSR). Sie reorganisiert dabei ganze Wertschöpfungsketten und Lieferantenbeziehungen.
Corporate Social Responsibility – nur ein Feigenblatt?
Auch in Deutschland tut sich mittlerweile einiges und immer mehr Unternehmen benennen sogenannte CSR-Beauftragte. Sie werden eingesetzt, um mögliche Missstände in den eigenen Reihen frühzeitig zu unterbinden. Idealerweise werden unter dem Mandat der Geschäftsführung Lücken in der Firmenethik identifiziert und hoffentlich behoben, bevor der kundige Verbraucher oder Bürger sie entdeckt.
Ein Augenöffner war der dramatische Einsturz einer Nähfabrik in Bangladesch. Dies bewirkte die Neuorganisation der Lieferantenbeziehungen in der Textilindustrie. Man mag bemängeln, dass sich diese CSR Aktivitäten oft als ein Feigenblatt darstellen. Oft wird darunter dann weniger nachhaltig weiter gewirtschaftet. Festzuhalten bleibt, dass die deutsche Geschäftsethik aufgerüttelt ist. Dies geschieht nicht zuletzt dadurch, weil der Verbraucher Untätigkeit abstraft. Der mündige Bürger stellt zu Recht die Frage, ob die Organisationsformen und Strukturen von Wohltätigkeit und Gutmenschentum noch ins 21. Jahrhundert passen. Die digitale Revolution greift auch in diesem Thema um sich und stellt etablierte Systeme in Frage.
Sonderstatus für die deutsche Wohlfahrtspflege
Diese Entwicklung macht auch vor den Toren der Wohltätigkeitsorganisationen nicht halt. Also jenen Einrichtungen, die mit staatlichen Mitteln dem Sozialstaatsprinzip Rechnung tragen und sich um Bedürftige und Arme kümmern. Deutschland hat sich mit einem Zusatz zum Maastrichter Vertrag in der EU einen Sonderstatus dafür errungen, die grundsätzliche Arbeit der Wohltätigkeitsorganisationen nicht anzutasten. Durch diesen Passus kann sich die deutsche Wohlfahrt dem europäischen Wettbewerbsumfeld weitestgehend entziehen und das bewahren, was über Jahre aufgebaut wurde. Denn Wohltätigkeit hat in Deutschland eine sehr lange Tradition. Nach vielen Wirren der Industrialisierung, Weltkrieg, Inflation und Nationalsozialismus ist das sogenannte Sozialstaatsprinzip in unserer Verfassung als fester Grundsatz verankert. Wir können uns glücklich schätzen, heute in einem Land zu leben, in dem eine große Umverteilungsmaschine staatliche Mittel in Einrichtungen der Wohlfahrtspflege lenkt.
Die Träger der Wohlfahrt und wie das System funktioniert
Zusätzlich kümmert sich ein Heer von fast drei Millionen Freiwilligen und Ehrenamtlichen um Bedürftige in unserer Gesellschaft – ohne Gegenleistung! Der deutsche Staat hat die Verantwortung dafür übernommen, in Not geratenen Bürgerinnen und Bürgern zu helfen und benachteiligte Gruppen zu unterstützen. Zu den Trägern der Wohlfahrt in Deutschland gehören vor allem die Diakonie und die Caritas, die mit je ca. 500.000 Mitarbeitern zu den größten nichtstaatlichen Arbeitgebern in Deutschland zählen. Gefolgt werden die zwei großen von dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, der Arbeiterwohlfahrt, dem Deutschen Roten Kreuz und der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland.
Um dieses System zu finanzieren, hat sich das sogenannte sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis etabliert, in dem der Sozialhilfeträger Mittel bereitstellt und finanziert, die Wohlfahrtseinrichtung die Dienstleistung erbringt und der Hilfebedürftige empfängt. Ohne Ehrenamtliche wäre diese Leistung nicht zu stemmen. Hinzu kommt eine überdurchschnittliche Spendenbereitschaft der Deutschen. Das geschätzte Volumen an Spenden und zweckgebundenen Einzahlungen für karitative Zwecke wird auf ca. 3-5 Mrd. € im Jahr geschätzt. Hinzu kommen Ausgaben für Sozialhilfe in Höhe von 25 Mrd. € jährlich.
Eine gewaltige Maschine also, die sich um das Wohl des Volkes verdient macht. Gutes wird hier zweifellos geleistet, aber redet man auch darüber? Vergeblich sucht man schlagkräftige Abteilungen für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit in den Wohlfahrtsverbänden. Gerade in den Bereichen Ehrenamt, freiwilliges Engagement, öffentliche Daseinsfürsorge scheint die Umsetzung des alten Wahlspruches zu scheitern.
Bild: Wohlfahrtsmarken sind ein beliebtes Mittel zur Finanzierung der deutschen Wohlfahrtspflege. Hier sind die offiziellen Wohlfahrtsmarken 2015 abgebildet. Wann wacht Dornröschen auf?
Quelle: www.wohlfahrtsmarken.de
Die Bill und Melinda Gates Foundation und was sie antreibt
Ausgerechnet aus den USA kommt nun eine Organisation, die diese Landschaft gründlich aufrüttelt. Seit 1999 schreibt die Bill und Melinda Gates Foundation ein neues Kapital in der Entwicklungshilfe und bringt das bis dato eingespielte Gefüge gehörig durcheinander. Mit einem Stiftungskapital von 37 Mrd. € (42 Mrd. USS), das sich vor allem aus dem Privatvermögen des Microsoft Gründers Bill Gates und der Investorenlegende Warren Buffet zusammensetzt, ist die Organisation nicht nur reich, sondern auch ehrgeizig. Die Stiftung engagiert sich in Themen internationalen Ausmaßes und tangiert damit in Teilen das, was die Wohlfahrtspflege leisten soll.
Bis 2030 will sie Polio eliminieren, Malaria zerstören oder Aids zum Aufgeben zwingen. Pro Jahr wird eine Fördersumme von bisher 4 Mrd. US$ ausgeschüttet. Auch schreckt die Organisation nicht vor Unternehmensbeteiligungen zurück, um ihre Ziele zu erreichen. In den USA ist die Gates Stiftung ebenfalls aktiv und unterstützt Projekte, die sich auf bessere Zugänge zu Ausbildungsprogrammen benachteiligter Jugendlicher konzentrieren. Das Motto der Stiftung: „Alles Leben hat den gleichen Wert“.
Tue Gutes und rede darüber 2.0
Klare Zielvorgaben, gezieltes Einwerben von Spenden der Stakeholder und eine unmissverständliche Wertekommunikation zählen zu den wesentlichen Unterscheidungsmerkmalen der Gates Foundation im Vergleich zu den deutschen Wohlfahrtsverbänden. Die Stiftung wird geführt wie eine Firma und sucht bewusst den Schulterschluss zur Privatwirtschaft. Für eine Organisation aus den USA ist es undenkbar, Hilfen dieses Ausmaßes vom Staat zu erwarten. Es geht um nichts anderes als die besten Ideen und Mitstreiter, die dem Anliegen der Gates Foundation zum Erfolg verhelfen.
Susan Desmond Hellmann, die Geschäftsführerin der Gates Foundation umschreibt den Ansatz der Organisation folgendermaßen „Unternehmen, die klar ihre Ziele kommunizieren, haben Zugang zu den besten Dingen und den smartesten Menschen. Warum kann man nicht daran arbeiten, sie dazu zu bringen, benachteiligten Menschen zu helfen? Die heutige Generation erwartet zu Recht von Unternehmen, sich sozial verantwortlich zu verhalten. Wer also mit den Besten arbeiten will, muss Gutes tun!“ Melinda Gates sprach jüngst auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart und rief die Weltgemeinschaft auf, mehr für den Kampf gegen Hunger und Krankheit zu tun. Wann haben wir eine solche Medienkampagne zuletzt von Misereor und Brot für die Welt wahrgenommen?
Ein Aufruf zu mehr Marketing – gerade in Deutschland
Die Millionen an Ehrenamtlichen in den deutschen Wohlfahrtsverbänden, der deutsche Steuerzahler und diejenigen, die Spenden zur Verfügung stellen, dürfen zu Recht eine ernsthaftere und professionellere Kommunikation erwarten.
Was wäre nicht alles möglich? Es gibt unzählige Geschichten von Menschen in Not, die durch die Hilfe anderer wieder auf die Füße gekommen sind. Diese Themen reichen von der Unterstützung Alleinerziehender, bis zur Ausbildung benachteiligter Jugendlicher, von der Katastrophenhilfe bis zur Bahnhofsmission, von der Migrationshilfe bis zur Behindertenwerkstatt. Sind schon alle Träume erfüllt oder könnte die Einbindung der Privatwirtschaft sogar noch mehr bewirken? Wie kann sie eingebunden werden und was kommt für die Unternehmen dabei heraus? Was ist eigentlich mit der Politik, dem Gesetzgeber und anderen staatlichen Stellen? Klare Zielvorgaben, gezieltes Einwerben vom Engagement der Stakeholder und eine unmissverständliche Wertekommunikation würden helfen, entscheidende Weichen zu stellen – in jeder Organisation. Auch hier wird der mündige Bürger eine Meinung entwickeln und seine Entscheidung treffen – ob für den nächsten Job, den nächsten Spendenempfänger oder den Kooperationspartner der Zukunft.
Tut nicht nur Gutes, sondern redet auch darüber – mit allen Kommunikationsmitteln!
Evelyn Moeck
Die Autorin ist Freiberuflerin und engagiert sich in gesellschaftspolitischen Themen seit über 15 Jahren. Sie unterstützt Organisationen bei ihrer Geschäftsprozessanalyse und beim strategischen Marketing. Sie erreichen Evelyn Moeck unter
Twitter: @emox_consulting
E-Mail: [email protected]
Tel. +49-030-34359775