Zwei Welten, zwei Philosophien: Social Media in den USA und in Deutschland (Video-Interview)

Nina Grenningloh ist Social Media Beraterin in Los Angeles. Seit sieben Jahren lebt die Deutsche in L.A., hat dort ihre große Liebe gefunden und geheiratet. Nina kennt also als „Wanderer zwischen den Welten“ sehr genau die Unterschiede bei Social Media zwischen den USA und Deutschland – und genau über dieses Thema haben wir per Skype lange gesprochen: Zwei Welten, zwei Philosophien: Social Media in den USA und in Deutschland…

Wir haben auch ein Skype-Interview zum Thema per YouTube hochgeladen (12 Minuten) und gehen dort mehr ins Detail. Ab jetzt wollen wir jeden Monat per YouTube und Skype deutsches und amerikanisches Social Media Verhalten gegenüber stellen. Unser nächstes Thema heißt dann: Datenschutz! (Und dann klappt die Technik auch besser – versprochen)

SteadyNews: Nina, vor wenigen Wochen warst Du im Frühling 2012 mit Deinem Mann für ein paar Wochen in Deiner alten Heimat – in Iserlohn. Was ist Dir besonders aufgefallen im Gespräch mit Deinen Freunden, Deiner Familie und ehemaligen Studienkollegen? Wie sieht man soziale Web-Aktivitäten in Deutschland – im Vergleich zu L.A. und den USA?

Nina Grenningloh: Ich war im Mai seit über einem Jahr das erste Mal wieder in Deutschland und mir ist aufgefallen, dass es einen Unterschied im Umgang mit dem sozialen Web im Vergleich zu den USA gibt. Ganz besonders in Los Angeles, das stark beeinflusst wird vom Silicon Valley und seinen technologischen Innovationen, sind die Internetnutzer geradezu hungrig nach den neuesten Apps und Social Media Neuerungen.

Ein Beispiel ist Instagram, das innerhalb von drei Monaten nach dem Launch im Oktober 2010 schon über eine Million Nutzer hatte. Schon einen Tag nach dem Launch belegte Instagram in den USA Rang 67 unter den Top 300 Apps. Zum Vergleich: In Deutschland lag das App einen Tag nach der Einführung gerade mal auf Position 288.

Natürlich ist der US-Markt größer als der deutsche Markt, aber dennoch bin ich überzeugt, dass den Amerikanern die Freude am Neuen einfach im Blut liegt. Dagegen wartet man in Deutschland oft erst ab, wie sich ein neues Produkt entwickelt und ob sich die Investition lohnt. Das gleiche gilt eben auch im Bereich soziale Medien.

Viele meiner Freunde in Deutschland sind zwar inzwischen auf Facebook und haben smart phones, aber die wenigsten machen sich diese Geräte auch im Alltag in der Weise zunutze wie ich das in Los Angeles erlebe.

SteadyNews: Was ist Deine persönliche Meinung? Kannst Du die Vorbehalte gegenüber den „Datenkraken“ Google und Facebook verstehen? Teilst Du die Sorge vieler Deutsche, dass soziale Netzwerke im Internet die Menschen sozial verkümmern und vereinsamen lassen?

Nina Grenningloh: Die Sorge, dass uns das Internet und soziale Netzwerke einsamer machen, besteht nicht nur in Deutschland. Im April hat Psychologin Sherry Turkle, die Professorin am berühmten Massachusetts Institute of Technology ist, in der New York Times einen Artikel zu diesem Thema geschrieben. Darin weist sie darauf hin, dass wir Gefahr laufen, unsere soziale Kompetenz zu verlieren, wenn wir uns zu abhängig von Social Media machen.

Turkle argumentiert, dass wir Menschen mithilfe von Social Media im Prinzip auf Abstand halten – nicht zu nah, nicht zu weit weg – eigentlich genau da, wo wir nicht mehr wirklich emotional verbunden sind.

Ich teile Turkles Ansicht, dass wir den Wert der Konversation wiederentdecken müssen bzw. nicht aus den Augen verlieren dürfen.

Social Media ist ein prima Vehikel, um wichtige Botschaften zu verbreiten. Zum Beispiel nutzt die wohltätige Organisation ONE Social Media sehr clever, um für ihren Kampf gegen extreme Armut und vermeidbare Krankheiten Unterstützer zu finden. Unternehmen und Marken können genauso wie Du und ich auf Facebook, Twitter, YouTube und Co. bedeutsame Dialoge führen – solange sie diese auch offline weiterführen und in Gespräche einbinden, die wir von Angesicht zu Angesicht führen.

SteadyNews: Vom Privaten zum Business: Was sind Deine Erfahrungen in den USA, wie nutzen dort Unternehmen Social Media? Was sind die Unterschiede zu Deutschland, wo der professionelle Einsatz von Facebook, Twitter und Blog bei den meisten Unternehmen noch in den Kinderschuhen steckt. Was gefällt Dir besonders gut, was findest Du weniger gut?

Nina Grenningloh: Unternehmen in den USA haben deutschen Firmen gegenüber einen Vorsprung was den Einsatz von Social Media in Marketingkampganen betrifft. Das liegt einfach daran, dass US-Unternehmen eher mit Social Media Campaigning angefangen haben und aus anfänglichen Fehlern gelernt haben.

Dazu kommt noch, dass US-Verbraucher soziale Medien selbstverständlicher nutzen und Netzwerke wie Facebook oder Twitter im Alltag nutzen. Laut Nielsen Bericht vom 3. Quartal 2011 verbringen Amerikaner mehr Zeit auf Facebook als auf jeder anderen Website, die sie besuchen. Und nahezu 40 Prozent aller Social Media Nutzer in den USA pflegen ihre soziale Netzwerke vom Handy aus. Semiocast veröffentlichte im Januar neue Twitter Nutzerzahlen: die USA lag mit rund 107 Millionen Accounts auf Nummer 1, Deutschland schaffte es gerade mal auf Rang 18.

Bei solchen Zahlen ist es ganz klar, dass sich amerikanische Unternehmen immer clevere Ideen ausdenken, wie sie die Konsumenten im Netz auf sich aufmerksam machen. Nehmen wir zum Beispiel die YouTube Kampagne des Unternehmens Blendtec. Um seine Küchenmixer bekannter zu machen, drehte Blendtec witzige Videos, in denen es hieß „Will it blend?“. Die YouTube Videos wurden der Renner auf Social Media. Eines der bekanntesten Videos zeigt wie ein iPad im Blendtec Mixer „püriert“ wird.

Solche Kampagnen zeigen wie erfinderisch man sein kann muss wenn es darum geht, sein Produkt in den sozialen Medien bekannt zu machen.

SteadyNews: Bei uns in Deutschland ist die Suche nach Fach- und Führungskräften ein großes Problem. Hat man in den USA schon über Social Media Lösungen gefunden, die auch für uns als Vorbild dienen könnten? Kannst Du ein paar praktische Tipps für Unternehmen geben, die nach Mitarbeitern suchen?

Nina Grenningloh: In den USA nutzen Jobsucher und Personalvermittler LinkedIn. Auch Unternehmen präsentieren sich inzwischen auf LinkedIn mit einem Business Profil und machen sich damit attraktiver für Jobsuchende.

Junge Technologieunternehmen fragen Bewerber immer häufiger statt eines traditionellen Bewerbungsanschreibens ein YouTube Video online zu stellen, indem sie sich dem Arbeitgeber vorstellen. Neue Social Media Netzwerke, wie Brazen Careerist, krempeln die klassische Jobsuche in „Career Management“ um. Dabei machen sich die Bewerber das eigene Netzwerk zunutze und können sich gegenseitig über offene Stellen benachrichtigen.

Unternehmen, die nach Mitarbeitern im Social Media Bereich suchen, sollten sich die Social Media Profile der Bewerber anzuschauen. So erhalten Personalchefs und Marketingleiter einen Eindruck davon wie sich Bewerber im sozialen Netz präsentieren und über welche Themen sie bloggen.

SteadyNews: Wo siehst Du die Trends zurzeit – was sind die wichtigsten Neuerungen im Bereich Social Media? Glaubst Du, Facebook wird seine Vormachtstellung noch ausbauen? Was macht Google+? Was macht Twitter? Wie verändert Social Media den Alltag der Menschen? Wo werden wir 2015 sein?

Nina Grenningloh: Ich glaube Social Media wird mehr und mehr in unseren Alltag integriert. Und Unternehmen werden von dieser Integration profitieren und größere Marketingbudgets für Social Media Kampagnen bereitstellen.

Die Konvergenz zwischen Social Media und dem „wirklichen Leben“bei Kampagnen wird zunehmen. Zum Beispiel hat das Vail Ski Resort in Utah mit EpicMix ein App kreiert, das mithilfe von RFID Scannern an allen Skiliften die Aktivitäten der Vail Touristen direkt in die sozialen Netzwerke wie Facebook speist. Durch das Scannen des Liftpasses können Nutzer mittels EpicMix automatisch ihre einzelnen Abfahrten speichern und dann ihre Ergebnisse auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken mit Freunden teilen.

Applikationen wie die von Vail Ski Resort helfen sozialen Netzwerken wie Facebook ihre Vormachtstellung zu halten. Facebook zum Beispiel hat jüngst Gowalla erworben, ein soziales Netzwerk, das ähnlich wie Foursquare, den Nutzern erlaubt mit ihren mobilen Geräten örtlich „einzuchecken“. Damit will Facebook seine „location-based“ Services ausbauen.

Auch Twitter wird sich als soziales Netzwerk weiter etablieren. Im US Fernsehen ist es inzwischen üblich, Twitter Handles und Hashtags entsprechend zum Inhalt einzublenden. Darüber hinaus werden die weiter steigende Popularität von Tablets und Fernsehgeräten mit Internetanschluss dazu beitragen, dass wir quasi von überall auf unsere soziale Netzwerke zugreifen können. Im Jahr 2015 werden wir uns wahrscheinlich daran gewöhnt haben, dass wir überall und zu jeder Zeit vernetzt sind und können es uns gar nicht mehr anders vorstellen.

Letzte Frage: Nina, vielen Dank für das spannende Interview. Zum Schluss möchte ich Dich nur noch fragen, was Du Dir persönlich wünscht. Was möchtest Du unseren deutschen Lesern gern sagen?

Nina Grenningloh: Ich möchte gern mit einem Zitat von einem meiner Lieblingsautoren, Seth Godin, enden. Godin sagt über Social Media: “How can you squander even one more day not taking advantage of the greatest shifts of our generation? How dare you settle for less when the world has made it so easy for you to be remarkable?”

Auf Deutsch bedeutet das etwa: „Wie kannst Du nur noch einen weiteren Tag verschleudern und Dir nicht die wichtigsten Veränderungen unserer Generation zunutze machen? Wie kannst Du es wagen, Dich mit weniger zufrieden zu geben, wenn die Welt es Dir so einfach gemacht hat, außergewöhnlich zu sein?“

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