Unten verlinkt ist ein dreißigminütiger Audiobeitrag vom Deutschlandfunk – 14. April 2025, der sich mit dem Thema „Wie viel Freiheit lassen wir (noch) zu?“ beschäftigt. Ich selbst erlebe in vielen Gesprächen über politische Themen, dass mein Gegenüber sehr schnell abbricht, mit den Worten „So etwas darf man ja nicht mehr sagen in Deutschland“. Dabei geht es um den Umgang mit der Brandmauer gegen rechts, um Migrationspolitik, Bürgergeldbezieher, Gaza, Woke-Regeln, Klimawandel, und die Energie- und Kriegspolitik. Ich verstehe sehr gut, dass der Staat sich bemüht, das Klassenzimmer Deutschland durch strenge Regeln, Sperren und Sanktionen unter Kontrolle zu halten – doch lässt sich das auf die Dauer bewerkstelligen?
Klassenzimmer Deutschland
Man stelle sich vor, Deutschland wäre ein Klassenzimmer. Die Regeln in diesem Klassenzimmer sind streng: Keine Äußerungen, die gegen die gelehrten ethischen Normen des Lehrkörpers verstoßen; schlechte Beurteilungen in Klausuren und Prüfungssituationen bei Kritik an diesen ethischen Normen; Bestrafung von Abweichungen offizieller Anweisungen; Lehrmaterial und Medieninhalte, die auf die pädagogischen Ziele abgestimmt sind. Alternative Medien werden nach Möglichkeit von den Hausmeistern konfisziert.
Ist diese Pädagogik auf Dauer erfolgreich?
Alles ganz wunderbar, solange es keine schulfernen Informations- und Diskussionstreffs gibt. Wir stellen uns nun weiter vor, dass die Schüler sich in ihrer Freizeit in Jugendzentren treffen, die von dem Lehrkörper nicht überwacht werden können. Dort diskutiert man in Peer-Groups, wie sehr den Jugendlichen die pädagogischen Manipulationen, die Verbote, Angstmachereien, Belohnungen und Sanktionen auf die Nerven gehen.
Anfangs wird nur gemault und geschimpft. Später trauen sich schon die ersten Mutigen, im Unterricht die Lehrer vorlaut zu provozieren. In Phase zwei fliegen Aufsatzhefte durch die Klasse, die aufgrund „unethischer“ Äußerungen schlecht bewertet worden sind. In Phase 3 übernehmen die rebellischen Schüler die Macht – und aus die Maus.
Mein Leben am Gymnasium in den Siebziger Jahren
Genau in einer solchen Zeit hatte ich das Glück, Schülerin auf dem Gymnasium zu sein. Wie leicht es ging, dass unsere Lehrer sich uns Linken (damals waren die Rebellen links) anpassten, weil sie keine Chance hatten, durch Autorität und Strafen ihre Regeln durchzubringen! In der Oberstufe haben wir sogar einige unserer Lehrer geduzt, und einige waren dankbar, wenn sie mal zu unseren Partys eingeladen wurden.
OK, ein Staat ist kein Klassenzimmer. Und doch glaube ich, dass man sich auch als Staat sehr genau überlegen sollte, ob man dem störrischen Volk wirklich autoritär so sehr überlegen ist, dass man seine pädagogischen Regeln dauerhaft durchsetzen kann. Der Kampf gegen Hate-Speech erscheint mir wie ein Kampf gegen Drachen, denen immer zwei Köpfe nachwachsen, wenn einer abgeschlagen wird.
Auch wenn die ethisch/ politischen Grundsätze noch so konstruktiv, nachhaltig und mitfühlend weise sind – durch Verbote und Einschränkungen lässt sich nur dann dauerhaft etwas durchsetzen, wenn der Staat Gewalt anwendet. Belohnung der Guten und Bestrafung der Bösen funktionieren nur dann, wenn die Starken die Schwachen unterdrücken können. Das halte ich in Deutschland nicht für durchführbar – schon allein, weil wir nicht genügend Gefängnisse dafür haben.
Unsere Bildungseinrichtungen und Medien geben sich redlich Mühe, eine einheitliche ethische Richtung vorzugeben, welche die deutsche Gesellschaft positiv verbindet und motiviert – doch ich fürchte, dieses Framing und Nudging wird irgendwann zusammenbrechen.
Landesinstitut für Schule und Medien – Die Kunst der Beeinflussung als pdf (5 Seiten)
Ich habe es selbst erlebt, wie schnell es ging – von den ersten zarten Studentenprotesten gegen nationalsozialistisch geprägte Ideologien an Unis und Schulen bis zur Militarisierung durch Baader-Meinhof und Co nach dem Mord an Benno Ohnesorg.
Meine Meinung: Lockert die Verbote und lasst Diskussionen und freie Meinungsäußerungen wieder offen zu. Ja, das digitale Zeitalter ist wie eine chaotische Insektenplage des Geistes – aber ich fürchte, da müssen wir nun durch. Es gibt kein Zurück.
Deutschlandfunk Audiobeitrag (30 Minuten)- Wieviel Freiheit lassen wir (noch) zu?




